Endspiel in Tripolis

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Da saßen wir also in der libyschen Wüste, gut 500 Kilometer von Tripolis entfernt. Gaddafi, damals noch der jugendliche "Robin Hood“ Arabiens und "Rächer der enterbten Völker“, blickte über Sanddünen hinweg und sagte: "Wir müssen in Libyen ein so gutes Beispiel dafür geben, was eine Revolution zu leisten vermag, dass ganz Arabien den Erfolg sieht!“ Mehr als drei Jahrzehnte sind seither vergangen. Gaddafis "gutes Beispiel“ war in den 42 Jahren seiner Herrschaft jedenfalls nicht gut genug, um in der arabischen Welt als Erfolg erkannt zu werden.

Die Fairness gebietet es, ein differenzierteres Bild zu zeichnen, als derzeit in Mode ist: Eine Diktatur, das war Gaddafis Libyen sicher - vermutlich brutaler als irgendwo sonst im Orient. Ein "Pate“ des Terrors auch. Und jedenfalls bereichert der "Bruder Oberst“ die Galerie jener Machthaber, auf die neben Begriffen wie "Exzentriker“ und "Wirrkopf“ auch psychiatrische Befunde zutreffen. Noch ist eine Gesundenuntersuchung bei Amtsantritt von Spitzenpolitikern nicht vorgeschrieben.

Wer aber in Libyen nicht aufmuckte und den Wahnsinn an der Spitze ertrug, der hatte es besser als sonst in Afrika üblich. Hatte mehr Bildungschancen, mehr Frauenrechte, mehr Sozialleistungen, bessere Grundversorgung. Dem Herrschafts-Clan blieb angesichts gigantischer Öleinnahmen noch immer genug Kleingeld für die eigene Tasche.

Zwischen Interessen und Rechten

Gaddafis Libyen war ein Modellfall für das Dilemma der Politik zwischen Wirtschaftsinteressen und Menschenrechten. Wie verbrecherisch das Regime auch agierte, für die Industriestaaten waren Milliardengeschäfte zu machen. Österreich hat diese Chancen genützt: 2010 war Libyen unser größter Außenhandelspartner in Afrika, mit mehr als 40 Prozent Zuwachs gegenüber dem Jahr zuvor. Baustelle war überall: Neue Eisenbahnen, Spitäler, Straßen, Wasserkanäle ... Jeder Versuch, heimische Firmen dafür an den Pranger zu stellen, ist lächerlich.

Weit mehr schon (wenn auch vom Geschäft leider nicht ganz zu trennen) ist über andere Vorleistungen der Vergangenheit zu reden, vor allem im Sicherheitsbereich: Da war viel augenzwinkernde Nachsicht mit Attentätern, Folterern, Waffenschiebern etc. in unserem Land Endspiel in Tripolis und viel anlassbezogenes Vergessen der eigenen Rechtsstandards. Freilich: Da ist ganz Europa zur Selbstkritik aufgerufen, das den Despoten einmal isolierte und dann wieder umarmte und hoffähig machte. Die "Festung Europa“ setzte zu gerne auf "stabile“, von keinen Wahlen gefährdete Partner am Südrand des Mittelmeeres, die uns gegen ein wenig Reputation das Flüchtlingsheer aus Afrikas Kriegs- und Hungerzonen stoppten.

Der unberechenbarste Aufstand

"Wir müssen in Libyen ein so gutes Beispiel dafür geben, was eine Revolution zu leisten vermag“: Gaddafis Worte von einst haben heute eine neue Aktualität. Ob die vor dem Endsieg stehende Revolte künftig ein "so gutes Beispiel“ geben wird, "dass ganz Arabien den Erfolg sieht“, weiß niemand.

Sicher ist es der unberechenbarste Aufstand im Großraum zwischen Algerien und Syrien:

Risiko 1: Unter Gaddafis Faust waren alle staatlichen Institutionen, alle Parteien, ja das ganze politische Leben verschwunden. Die NATO-unterstützte Rebellion hat - anders als bei den Nachbar-Revolutionen - auch noch den letzten starken Machtfaktor zertrümmert: die Armee.

Risiko 2: Das neue Libyen wächst aus blutigen Gefechten. Ähnliche Erfahrungen (Irak, Afghanistan) zeigen: Die Waffen niederzulegen ist weit schwieriger, als nur Protestplakate wegzuräumen.

Risiko 3: Was die kommenden Führer vorerst charakterisiert, ist ein beunruhigender Pluralismus von alten "Gaddafi-Spezis“ und "Islam-Fundis“. Den Test auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratiegesinnung haben sie noch vor sich.

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