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Ausblick vom Rumpfgipfel

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Grüne Fahnen des Propheten Mohammed und Oberst Gaddafis, verwirrende und widersprüchliche Schlagworte aus der gleichfarbigen Staatsbibel, italienische Kanaldeckel aus der Kolonialzeit Mussolinis und viele neugierige Menschen — überall. Aber auch mißtrauisch-verschlossen blickten sie auf das massivste Treiben in ihrem Land seit der Machtübernahme des Gaddafi-Regimes im Jahr 1969.

Vertreter von 51 Mitgliedsstaaten der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) sollten sich i

hier zu ihrem 19. Jahrestreffen zusammenfinden. Bloß 30 „Fortschrittliche" waren gekommen. Zehn Tage vergingen, bis das vorbereitende Außenministertreffen und weitere vier, bis das OAU-Gipfeltreffen wegen mangelnder Beschlußfähigkeit als gescheitert galt. Das Quorum, die Mindest-teilnehmerzahl von 34, konnte trotz hektischer Kulissendiplomatie nicht erreicht werden.

Schuld daran waren „die amerikanische Intrige, und die ihrer

Afrika-Alliierten". Das sagte Oberst Gaddafi in der neuen Volkshalle und das sagte im OAU-Pressezentrum auch Oued-dey Goukouni, der von Hissen Habre ausgebootete Tschad-Präsident. So einfach wie es die Gastgeber und ihr Dreißiger-Anhang darzustellen versuchten, lagen die Dinge freilich nicht.

Die Neurizehnergruppe gemäßigter Araber- und Schwarzafrikastaaten hielt sich von Tripolis wegen der illegalen Zulassung der West-Sahara-Polisariorepublik (RASD) fern. Sie tat es aber auch wegen des ebenso lautstarken wie sterilen Politrummels radikaler Afrika-Regime und Befreiungsbewegungen gegen Amerika, gegen den Westen und gegen Süd-Afrika.

Dies alles zu einer Stunde, da dem Nachrichtenmagazin „Jeune Afrique" zufolge 42 von 50 Afrikastaaten finanziell pleite sind und 47 von 50 mit dem verbal gegeißel-

ten süd-afrikanischen „Rassistenregime" einen stets schwungvollen Handel betreiben: ja sogar einen oft lebenswichtigen, ohne den der Mangel an Versorgungsgütern, Medikamenten, Baumaterial, Kindernahrung und vielem anderen noch größer wäre als er bereits ist.

Vom Flüchtlingselend — mit 14 Millionen Unglücklicher hält Afrika einen kontinentalen Weltrekord — gar nicht zu reden: Es war nicht zu ermitteln, ob die Problematik des jämmerlichen menschlichen Alltags beim Treffen in Tripolis in auch nur einer der vielen OAU-Kommissionen realistisch erörtert worden wäre.

Hinter der vorgehaltenen Hand gestanden Angehörige der „befreiten" portugiesischen Ex-Kolonien und Untertanen der neoimperialen pro-sowjetischen Stadthaltereien von Angola, Mo-zambique, Guinea Bissao, Cap Verde, Principe und San Tome,

daß sie — ungeachtet, oder gerade wegen der „brüderlichen" kubanisch-fortschrittlichen Hilfe — echten Beistand heute nur beim bislang verpönten „kapitalistischen" Mutterland Portugal suchen und finden. Dasselbe gilt für das in Tripolis nicht präsente Aquatorial-Guinea in bezug auf Spanien.

Das Gastgeberland des OAU-Rumpfgipfeltreffens hat sich selber, sowie sein auf dem Kontinent als auch in der Araberwelt isoliert gebliebenes System als Allheilmittel für die Übel unserer Zeit empfohlen. Um dieses Rezept zu durchleuchten, saßen wir im Schiffshotel „Garnata" zwei Nächte hindurch mit Oberst Gaddafis Cheftheoretiker, Berater und Amerika-Experten Ahmed Shahati beim (symbolischen) Kaminfeuer beisammen.

Man mußte dabei zum Schluß kommen, daß nur ein so reiches Land wie Libyen sich das Experi-

ment der Volksherrschaft, der Volkskontrolle des Volkes durch das Volk, d. h. die Grüne-Buch-Theorie in der Praxis leisten konnte.

Ein Reüssieren im Alltag, mit so wenig Sachkenntnis, mit so wenig persönlichem Einsatz, mit so wenig Effizienz, mit so wenig Sinn für rationelle Sparsamkeit hätte sogar die Vereinigten Staaten vor hundert Jahren bankrott gemacht. Das „Grüne Buch" konnte sich nur ein 2,5 Millionen Einwohner starkes Libyen mit dem jährlichen Erdöleinkommen von 21 Milliarden Dollar leisten.

Das war einmal, jetzt ist es anders. Inmitten einer beispiellos mörderischen Hitze muß Tripolis, erkennen, daß es an Atemnot und mangelnder Ellenbogenfreiheit leidet. Ahmed Shahati bestätigte, daß im April 1983 ein Wissenschaftlerkongreß in Tripolis zur Neufassung des „Grünen Buches" zusammentreten wird. Daraus folgert sich ein Umdenken und Umschalten in den Köpfen und Herzen.

Der Jugend wird dies leichter fallen. Ohnehin fragt sie schon: Wozu das viele Soldatenspielen, wo uns von außen her in Wirklichkeit niemand bedroht?

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