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„Mald’Africa“

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„Keine Kolonien — kein Ball“, sagte der römische Hocharistokrat, als man ihn fragte, ob er nicht zu Ehren der englischen Prinzessin Margaret eine Tanzunterhaltung veranstalten wolle.

Die Italiener mögen nach persönlicher Veranlagung und regionaler Eigenart, nach Herkunft, Erziehung, Vermögen, Bildung und politischer Überzeugung noch so verschieden sein — in dem Verlangen nach der Rückgabe ihrer Kolonien sind sie alle einig. Das „Mal d’Africa“, das eigenartige Heimweh nach dem Land südlich des Mittelmeers — durchaus vergleichbar der Italiensehnsucht der Nordländer —, beherrscht alle Schichten der Bevölkerung. „Wir sehnen uns alle so sehr nach der Rückkehr nach Tripolis“, sagte Jolanda Calvi di Bergolo, die älteste Tochter des italienischen Königs, im Sommer 1942 zum Schreiber dieser Zeilen, „und unsere Dienstboten fragen jeden Tag, wann wir denn endlich wieder nach Afrika fahren werden.“ Für den einfadien Mai aber ist die „quarca sponda“, das vierte italienische Meeresufer, das Land der großen Kolonisations- und Auswanderungsmöglichkeit, weit und geräumig und doch nicht allzu ferne, das Land, in das Italien seit mehr als einem Menschenalter seine besten Menschen, Kapital und Arbeit, Blut und Schweiß investiert hat. Mag Abessinien, das „Impero“ nur eine Episode, ein kurzer Traum cäsarischer Größe gewesen 6ein, auf Libyen und vor allem auf Tripolitanien kann kein Italiener verzichten.

So ist es bezeichnend, daß nicht nur die rechte, sondern auch die linke Opposition ihre Angriffe gegen die Regierungspolitik immer auf der Linie führt, die Regierung tue nicht genug — oder nicht das Richtige — um die Kolonien zurückzuerhalten. In diesem Sinne wurde das „Sforza-Bevin- Kompromiß“ in diesem Frühjahr von der äußersten Rechten wie von der Linken als Ausdruck einer schwächlichen, „englandhörigen“ Politik bekämpft. Kaum aber war in der Generalversammlung der VereintenNationen dieser englisch-italienische Kompromißvorschlag am 18. Mai am Widerstand der beiden „Blöcke“ — der Ostblockstaaten und des „arabischen Blocks“ — sowie an einer seltsamen Kette von Mißverständnissen und Regiefehlern gescheitert (die entscheidende eine Stimme war zuletzt die von Haiti gewesen, dessen Vertreter nach der Abstimmung erklärte, seine Ablehnung zu bedauern; er habe als sicher angenommen, daß das Projekt der italienischen Treuhänderschaft über Tripolitanien durchgehen werde), als die Rechts- wie die Linksopposition die Regierung mit Vorwürfen überhäufte, weil ihre ungeschickte Außenpolitik an diesem Mißerfolg schuld sei. Togliatti und Nenni erwiesen sich dabei als mindestens ebenso leidenschaftliche Vorkämpfer der italienischen Kolonialherrschaft wie der Abgeordnete Russo Perez vom „Movimento Sociale Italiano“. Hätte man, so meinte Togliatti, die Freundschaft der Ostblockstaaten statt jener der englischen Imperialisten gesucht, so würde man die Kolonien viel eher zurückerhalten.

Für Rom wie für London erhob sich nach dem Scheitern des „Bevin-Sforza“-Planes die Frage, was nun geschehen solle. Konnte man dasselbe Projekt, nur vielleicht mit etwas sorgfältigerer diplomatischer Vorbereitung, im Herbst noch einmal vor die Vereinten Nationen bringen, ohne eine neuerliche Ablehnung zu riskieren? Die italienische Regierung gab bald eindeutig zu verstehen, daß sie trotz dem Mißerfolg ari dem Abkommen festhalten wolle, getreu der von Sforza ausgegebenen Parole, daß Italien nur m i t, nie aber gegen den Willen Englands wieder nach Afrika zurückkehren könne.

Der Mißerfolg am Lake Success aber hatte doch gezeigt, daß diese, auf dem Denken der Kolonialpolitik alten Schlages aufgebaute Formulierung allein nicht mehr genüge, und daß zu dem Wohlwollen Englands — und der Freundschaft Israels, mit dem Italien in den letzten Monaten geradezu herzliche Beziehungen angeknüpft hat — zumindest eine weniger feindliche Haltung der arabischen Länder treten müsse. So erweiterte Degasperi selbst jene Formulierung seines Außenministers in dem Sinne, daß Italien auch nicht gegen den Willen der einheimischen Bevölkerung zurückkehren könne. Der römische Aufenthalt der Vertreter dieser Bevölkerung auf der Rückreise von Lake Success gab Gelegenheit zur Aussprache und zur Erklärung der italienischen Regierung, der Kolonialbevölkerung weitgehende Selbstregierung zuzugestehen. Gleichzeitig erfolgte in London eine ähnliche Erklärung für die Cyrenaika und die Anerkennung des Emirs Idriss el Senussi, des „Großen Senussi“, als Regierungoberhaupt.

Auf dem neuen, mit dem Schlagwort „Selbstregierung“ überschriebenen Weg wird es gewiß noch manche Schwierigkeit geben. Frankreich ist — vor allem wegen möglicher Rückwirkungen auf die Unabhängigkeitsbewegung des „Destur“ in Tunis — nicht sehr entzückt von dieser Entwicklung und hat vor allem sofort für den unter seiner Verwaltung stehenden Fezzan erklärt, daß dieses Gebiet weder durch die englischen noch durch die italienischen Versprechungen berührt werde und daß sich bis zu einem endgültigen Beschluß der Vereinten Nationen über die italienischen Kolonien hier nichts an dem Status ändere. Eine weitere Schwierigkeit liegt in dem Wort von der „Einheit Libyens“, das in den Reden der arabischen Politiker innerhalb und außerhalb der ehemaligen italienischen Kolonien sowie in den Glückwunschschreiben der arabischen Führer an Emir Idriss in der letzten Zeit gefährlich oft auftauchte. Man gibt sich auch in Rom keiner Täuschung darüber hin, daß einflußreiche englische Kreise — vor allem unter den in Nordafrika selbst tätigen Verwaltungsbeamten und Offizieren — Italien die koloniale Konkurrenz in der faschistischen Epoche noch immer nicht verziehen haben, sich außerdem durch die Versprechungen und die Waffenbrüderschaft mit den Arabern aus der Kriegszeit gebunden fühlen und sich deshalb einer Rückkehr Italiens nach Nordafrika mit allen Kräften widersetzen, so die italienfeindliche Einstellung der Araber noch bestärkend. Das Verhalten der britischen Verwaltungsbehörden bei den jüngsten arabischen Demonstrationen in Tripolis gegen das „Bevin-Sforza“-Abkommen war in diesem Sinne eine deutliche Warnung.

So ist die Zukunft noch voll dunkler Rätsel und Fragezeichen. Es wird der ganzen diplomatischen Gewandtheit der Italiener bedürfen, wenn sie unter Ausnützung der im Bevin-Sforza-Plan zum erstenmal wieder sithtbar gewordenen europäischen Solidarität das ersehnte Ziel der Rückkehr nach Afrika erreichen wollen.

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