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Rede in Bozen

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Als Ministerpräsident Dr. Degasperi und Österreichs Außenminister ihre Verhandlungen über Südtirol mit dem Autonomieübereinkommen beschlossen, da wurde dieser Austrag in vielen europäischen Staatskanzleien laut als ein Muster des Verständigungswillens und fruchtbarer Friedensarbeit begrüßt. Mit klopfendem Herzen hatte das österreichische Volk die Vorbereitungen begleitet. Aus der schäumenden See der internationalen Politik war ein Stück Land, gesichertes, friedliches Land emporgetaucht. Das Beispiel hat seitdem keine Nachfolge gefunden. Die Schüsse, die in Jerusalem den Grafen Bernadotte und seinen Begleiter niederstreckten und den schwer um sein Leben ringenden zionistischen Staat mit einem neuen Unglück beluden, sind vielmehr ein Signal, wie weit sich das Denken mit der Maschinpistole in die Menschheit eingefressen hat, da selbst ein Mann, der im Namen und mit der Autorität der Vereinten Nationen als Friedensstifter zwischen die Kämpfenden tritt, seine Mission mit dem Leben bezahlen muß.

In dieser unheimlichen Weltatmosphäre, die mit unberechenbaren Spannungen geladen erscheint, ist ein heller Sonnenstreifen die Rede geworden, die jüngst der italienische Außenminister in Bozen hielt, und in der er, ausgehend von der Stellung und erhöhten Verantwortlichkeit, die Deutsch» südtirol durch seine größeren Rechte gewonnen hat, eine engere wirtschaftspolitische Verbindung Italiens und Österreichs ins Auge faßte. Zweimal schon seit dem Ende des ersten Weltkrieges fällt das Stichwort „Zollunion zwischen Italien und Österreich" in die Debatte. Das erstemal war es an jenem heißen Augusttag vor 26 Jahren, da in dem alten Skaligerschlosse Veronas Bundeskanzler Dr. Seipel dem italienischen Außenminister Dr. Schanzer gegenübersaß und der führende österreichische Staatsmann die letzten Möglichkeiten, aber auch die Notwendigkeit auseinandersetzte, Österreich aus höchster Gefahr, vor dem unmittelbar drohenden Untergang zu retten. Der Reststaat des alten Österreich, den die Friedensverträge als das traurige Monument staatsmännischer Blindheit übriggelassen hatten, war unter der Last seiner Kriegswunden und auferlegten Verpflichtungen zusammengesunken; der Dollar notierte mit 75.000 Kronen, an den Grenzen Böhmens und Jugoslawiens waren eindeutige militärische Vorkehrungen zum Begräbnis des Nachbars wahrnehmbar. Also entweder Eingreifen des Völkerbundes, der bisher zum Handeln nicht zu bewegen war, oder wirtschaftlicher Zusammenschluß mit dem einzigen aktionsfähigen Nachbarstaat. Diese Alternative wurde zu dem großen Alarm, der das bisherige faule Schweigen Europas zerriß. Die Aufnahme des österreichischen Kanzlers war seitens der Regierung und Öffentlichkeit Italiens von einer ungeheuchelten Herzlichkeit gewesen, in der alte politische Gegensätze ausgelöscht waren. Für die Zollunion sprachen gewichtige wirtschaftspolitische Gründe: Triest, das bedeutendste Emporium der Adria, hatte seine Stellung als Stapelplatz des österreichischen Handels erhalten und mußte ohne diesen Lebensstrom verkümmern; die neugewonnenen ehemaligen österreichischen Provinzen hingen mit tausend Fäden noch an dem Wirtschaftsorganismus Österreichs, der auch aus seiner Montanindustrie dem Nachbarn Wertvolles zu bieten hatte. Aber sosehr offenbarte sich damals da kleine Österreich als die Stelle, an der Veränderungen nicht einseitig herbeigeführt werden können, ohne für den europäischen Frieden gefährlich zu werden, daß nicht die Zollunion die Lösungwerden konnte — die Zollunion mit Italien, die der Kleinen Entente als Bedrohung erschien —, sondern die Völkerbundhilfe für Österreich als Forderung des europäischen Friedens dem aufgerüttelten Verständnis entsprang. Triest hat für diese Lösung einen sichtbaren Preis aus seinem Wohlstand und seiner handelspolitischen Geltung bezahlt, den zweiten bezahlten seit dem letzten Weltkrieg die Mächte, die bis zum heutigen Tage nicht zu einer Dauerhaftigkeit versprechenden sinnvollen Ordnung der „Triester Frage" — eine solche gibt es noch immer als eines der gefährlichen Wundmale Europas — gelangen konnten.

Und nun abermals aus dem Munde eines führenden italienischen Staatsmannes das Wort: „Zollunion“ zur Kennzeichnung einer Politik, die tiefreichende gemeinsame Interessen verfolgen möchte. Graf Sforza hat diesen Wunschplan in Worte geformt, die außerhalb der Schulgrammatiken jener Sprache des Gemütes angehören, die der Österreicher am besten versteht. Es mag sein, daß der Gedanke einer Zollunion der beiden Staaten, so einladende wirtschaftliche Ausblicke er zu eröffnen vermöchte, erst einer ruhigeren Zeit zur Verwirklichung vorbehalten bleiben muß, einer Zeit, deren Luft nicht vergiftet ist von dem Mißtrauen und der Furcht. Wie immer es aber damit bestellt sein mag —, daß der Repräsentant der italienischen Außenpolitik mit so warmen Worten seine Freundschaft für Österreich bezeugen und den Wunsch nach einer Verdichtung der Beziehungen aussprechen konnte, läßt erkennen, daß der konstruktive Gedanke, der dem österreichisch-italienischen Vertrag über Südtirol zugrunde liegt, weiterwirkt. In Bozen hat eine mit Verstand und Herz gepflegte Nachbarlichkeit ihren Ausdruck gefunden: das reale Ergebnis einer konsequenten Politik zweier Staaten, die nicht zuletzt Voraussetzungen in dem Naturell der Bevölkerungen und deren vielfachen alten Kulturverflechtungen findet. Es ist ermutigend die Linie dieser Entwicklung, die so seltsam kontrastiert zu der Friedlosigkeit des allgemeinen Weltbildes, von ihrem Ausgangspunkt, der autonomen Sicherstellung des Südtiroler Volkstums, über die bisherige loyale Ausrichtung nach diesem Vertrag bis zu der Bozener Rede des italienischen Außenministers zu verfolgen.

Diese wertvolle Dokumentation der Freundschaft hat Graf Sforza durch eine besondere Note akzentuiert. In engem Zusammenhang mit seiner Erörterung der Beziehungen zu Österreich sprach er ein schönes menschliches Wort des Protests gegen die Grausamkeit und Härte, mit der Millionen des deutschen Volkes ihrer Heimat beraubt wurden. Den Schuldigen schleudert der italienische Außenminister die Anklage ins Gesicht: „Menschenverschleppung — der furchtbarste Schandfleck unserer Kulturepoche!" Endlich ein Staatsmann, der als Anwalt der Menschlichkeit und der Menschenwürde an die Seite des Papstes tritt!

Auch die Kundgebungen der Staatenlenker sind wie Flugsand. Sie wandern mit den politischen Winden in die Einöden verstaubter Registraturen. Nur wenige entgehen diesem Schicksal. Das ritterliche Wort des Außenministers der Regierung Degasperi wind von Millionen heimatberaubter Menschen nicht vergessen werden. Auch nicht vom österreichischen Volke, das, in seiner Befreiung noch gebunden und zu großzügiger Hilfe nicht mächtig, eine Völkerwanderung einstiger Staats- und Volksgenossen in Elend ziehen sehen mußte, f.

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