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Gute Saat ist aufgegangen

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Ais Österreich im September 1946 während der Verhandlungen um den italienischen Friedensvertrag den vielbesprochenen „Pariser Vertrag“ mit Italien unterzeichnete und damit seine mit großem Ernst und leidenschaftlicher Liebe genährte Hoffnung auf den Rückerwerb Südtirols begrub, haben sich nur wenige in unserem schnierzgeprüften Vaterlande eine Vorstellung von irgendeiner positiven Tragweite dieses Vertrages machen können. Obwohl Österreichs Außenminister sich bemühte, die Aktivseite dieses Abkommens seiner Überzeugung entsprechend in das Licht des allgemeinen Verständnisses zu rücken die österreichische Presse ihre Enttäuschung verbarg und das Gewicht ihrer Betrachtung den erzielten Erfolgen zuzuwenden suchte, las und hörte der Durchschnittsösterreicher damals nichts anderes als den neuerlichen Verzicht auf das kostbarste Stüde österreichischen Alpenbodens. Seither ist es wieder ruhig geworden um Südtirol und das, was die Südtiroler erregte, fand wenig und manchmal gar keinen Widerhall im österreichischen Zeitungsraum. Man rührt nicht gern an alten Wunden.

Inzwischen sind nahezu zwei Jahre vergangen und in dieser Zeit haben sich die politischen Kräfte rund um den Pariser Vertrag erheblich geändert. War vor zwei Jahren Italien schwach und gedemütigt, als kriegführende Feindmacht niedergeworfen und gebrandmarkt, Österreich hingegen ein von den kriegführenden Feindmächten überwältigter und nun wiederhergestellter, befreiter Staat, so ist das Verhältnis heute fast umgekehrt. Italien ist in kurzer Zeit ein sich seiner machtpolitischen Schlüsselstellung am Mittelmeer sehr bewußter und von den atlantischen Mächten mit freundlichem, nicht gerade altruistischem Verständnis behandelter Teilstaat der werdenden westeuropäischen Union geworden, während das befreite Österreich von seiner Befreiung bisher nur träumen darf.

Dieser Wechsel im politischen Kräftespiel hatte auch seine Wirkung auf den Ausbau des Pariser Vertrages. Wie erinnerlich, hatte das Pariser Abkommen drei Punkte zum Hauptinhalt: 1. Die Gewährung eines Autonomiestatuts an Südtirol durch die italienische Regierung. 2. Erlaß eines Gesetzes, welches den abgewanderten Südtirolern den Wiedererwerb der italienischen Staatsbürgerschaft und das Recht auf Rückkehr in die Heimat sichert, und 3. die Herbeiführung eines Wirtschaftsabkommens, das eine wesentliche Erleichterung des Waren- und Personenverkehrs zwischen Nord- und Osttirol einerseits und Südtirol andererseits zum Inhalte hat. Ferner steht im Vertragstext zu lesen, daß die italienische Regierung bei der Verwirklichung der genannten Vertragsgegenstände sich mit der österreichischen Regierung ins Einvernehmen zu setzen und daß die Verwirklichung selbst im Geiste größter Weitherzigkeit zu erfolgen habe.

Die ersten beiden Abmachungen sind — wenigstens dem Gesetz nach — verwirklicht worden. Der Weg dazu war steinig, aber er wurde bewältigt und dies sogar termingerecht. Die Verwirklichung des dritten Punktes hingegen läßt noch auf sich warten.

Es ist bedauerlich, daß der Termin (15. Februar 1948) nicht eingehalten wurde, aber es ist befriedigend zu hören, daß der hierauf bezügliche Notenwechsel zwischen der österreichischen und der italienischen Regierung seit einigen Monaten im Gange ist.

Die Umkehrung im politischen Kräftespiel äußerte sich bald nachteilig für das zu erzielende Ergebnis, indem sie dem italienischen Standpunkt bei den entsprechenden Verhandlungen ein Gewicht verlieh, dem der österreichische Verhandlungspartner für die Durchsetzung seines Standpunktes kaum etwas entgegensetzen konnte. So wurde schließlich ein Kompromiß erzielt, das zwar die Mängel eines Kompromisses an sich trägt, aber dennoch der Südtiroler Bevölkerung eine Bahn freigibt, auf welcher sie innerhalb bestimmter Grenzen ihren eigenen Weg zu gehen imstande ist. Südtirol steht nun kurz vor dem Zeitpunkt, an dem das im vergangenen Winter erlassene Autonomiestatut in praktische Wirklichkeit gesetzt wird. Um Ostern wurde eine Kommission aus Vertretern Südtirols, der auch die beiden am 18. April gewählten Senatoren angehören, und des Trentino eingesetzt, welche die Vorschläge für die Durchführungsbestimmungen zum Autonomiestatut zu verfassen hatte. Audi die italienische Regierung arbeitet an einem Vorschlag, und sobald dieser fertiggestellt ist, wird eine gemischte Kommission die endgültigen Durchführungsbestimmungen festlegen. Desgleichen ist in Rom das Wahlgesetz für die erste' Wahl in den Landtag ausgearbeitet worden, das noch vor dem 13. September erlassen werden muß. Die Südtiroler Volkspartei rechnet daher damit, daß nodi im Dezember dieses Jahres die Wahlen in den Regionallandtag zu Trie’nt, beziehungsweise in den Provinziallandtag zu Bozen stattfinden werden. Damit ist der erste Gegenstand des Pariser Vertrages, die Verwirklichung einer Autonomie für Südtirol in einer — wenn auch nicht alles — so dodi vielversprechenden Weise in Fluß gekommen und es wird nun an den Südtirolern selbst liegen, der Welt zu beweisen, wie glücklich die Minderheitenfrage in einer Nation geregelt werden kann, wenn die Staatsmacht nicht mit dem Liktorenbündel hantiert, sondern verständnisvolles Entgegenkommen an den Tag legt.

Schwieriger scheinen sich die Dinge um den zweiten Gegenstand des Pariser Vertrages zu gestalten. Zwar hat auch hier die italienische Regierung noch kurz vor Ablauf des festgesetzten Termins das „O p- tantendekret“ herausgebracht. Aber dieses Dekret enthält in seinem Artikel 13 eine kritische Stelle, zu deren Überwindung es nichts als nur guten Willens von selten der entscheidenden Persönlichkeiten bedarf. Bekanntlich bestimmt das Optantendekret Modalitäten, unter denen den Südtirolern, die vor Abschluß des berüchtigten Aus- siedlungsvertrages Hitler - Mussolini (1939) die italienische Staatsbürgerschaft besaßen, zufolge dieses Vertrages die deutsche Staatsbürgerschaft annahmen und nicht selten sogar ihre Heimat verließen, wieder die italienische Staatsbürgerschaft und damit das Recht auf Seßhaftmachung in Südtirol zurückerwerben können. Es ist verständlich, daß die italienische Regierung sich dagegen schützen will, daß solche Elemente, die sich zum Nationalsozialismus bekannt haben und während der Zeit der deutschen Besetzung Südtirols deutsche Vertrauensstellen innehatten oder sich der italienischen Bevölkerung gegenüber feindselig verhielten, wieder die italienische Staatsbürgerschaft erwerben. Das Optantendekret enthält auch solche Schutzbestimmungen und sieht eine Kontrollkommission vor, die jeden einzelnen Optionswerber auf Herz und Nieren zu prüfen hat und Einspruch gegen die Wiederverleihung der italienischen Staatsbürgerschaft erheben kann. Die Praxis hat nun gezeigt, daß bis jetzt, nachdem die auf ein Jahr befristete Optionsmöglichkeit der abgewanderten Südtiroler bereits den sechsten Monat läuft, noch kein einziges Optionsgesuch aus Österreich oder Deutschland bearbeitet worden ist, daß von den in Südtirol selbst eingereichten Gesuchen gegen mehr als tausend Einspruch erhoben wurde. Die Einsprüche erfolgten nicht selten auf allgemeine Anschuldigungen hin, die zu entkräften dem „Angeklagten“ schon deshalb nicht möglich ist, da weder ihm noch seinem Anwalt Akteneinsicht gewährt wird und er seinem Beschuldiger nicht vor einem Richter gegenübertreten darf, um sich zu verteidigen. So ist bei dem Kontrollverfahren der Optionsgesuche der Verleumdung und Anklagen, die sehr egoistischen Gründen entspringen, Tür und Tor geöffnet. Auf der am 12. Juli in Bozen stattgefundenen vierten Landesversammlung der Südtiroler Volkspartei ist dieser Tatbestand vom scheidenden Obmann Erich Amon einer ernsten Erörterung unterzogen worden. Der gleiche Umstand veranlaßte auch kurz vorher die Parlamentsabgeordneten der Südtiroler Volkspartei zu einer Beschwerde bei Innenminister S c e 1 b a, der die Abstellung der Mißstände in Aussicht stellte. Es ist also mit Fug zu erwarten, daß hier bald eine erfreuliche Änderung eintritt, so daß dann auch die Bearbeitung der Optionsgesuche der in Österreich und Deutschland lebenden Südtiroler in Fluß kommen wird.

Das Optionsdekret ist nicht nur für den einzelnen Südtiroler, der davon betroffen wird, von entscheidender Wichtigkeit, sondern auch für Südtirol als Ganzes und nicht zuletzt für Österreich. Die große Belastung, die das verarmte Österreich mit der Beherbergung von Tausenden von Flüchtlingen aus Ost- und Südosteuropa auf sich genommen hat, kann durch eine umfangreiche Rücksiedlung der in Österreich lebenden Südtiroler ganz erheblicHerleichtert werden. Die im Verlaufe der Aussiedlung in unser Land gekommenen Südtiroler waren hier liebe Gäste, aber wer hätte nicht Verständnis dafür, daß sie nach dem Wandel der Dinge in ihre Südtiroler Heimat zurückstreben? Das Interesse Südtirols an ihrer Rückkehr liegt vor allem in dem Umstand, daß es alle seine Landsleute braucht, wenn es aus seiner Autonomie ein fruchtbringendes Instrument der Selbstverwaltung machen soll. Um die Rücksiedlung der Abgewan- derten möglich zu machen, bedarf es freilich noch der Lösung so mancher, besonders wirtschaftlicher Probleme, zu welchen besonders jene der Pensionen, Altersrenten, Invalidenfürsorge, Versicherungen, Übernahme in den öffentlichen Dienst usw. gehören. An diesen Fragen, so zweitrangig sie dem Laien auch erscheinen mögen, hängt für die große Mehrheit der abgewanderten Südtiroler die Existenz. Die Unsicherheit, wie diese Fragen gelöst werden, erklärt es, daß der anfänglich flotte Anlauf von Optionsgesuchen bei den italienischen Geschäftsstellen in Österreich bald wieder abflaute und nun eine Stockung eingetreten ist, die wohl erst dann überwunden werden wird, wenn die bereits begonnenen Verhandlungen zwischen den beiden Regierungen zu einem positiven Ergebnis geführt haben.

Inzwischen scheint sich in Südtirol selbst in politischer Beziehung ein fühlbarer Klimawechsel bemerkbar zu machen. Dieser trat besonders im Wahlkampf um den Bozener Gemeinderat in Erscheinung. Am Vorabend der Wahl, am 10. Juli, hielt der Staatssekretär im italienischen Außenministerium, der christliche Demokrat Brusasca, eine Rede vor einer großen Versammlung seiner Parteiangehörigen in Bozen, in der er die Notwendigkeit der Pflege des universalen Gedankens für die Gestaltung des neuen Europas hervorhob. Dabei hielt er den Bewohnern Südtirols vor Augen, daß sie dazu berufen seien, der Welt ein Beispiel der fruchtbaren Zusammenarbeit zweier aus Konflikten sich befreiender Volksgruppen zu geben. Brusasca übernahm es, in seiner sympathischen Rede die Einheimischen als „S u d t i r o 1 e s i“ zu bezeichnen, eine Benennung, die vor wenigen Jahren noch unter Italienern verpönt gewesen wäre. Brusasca wurde nach seiner Rede mit Beifall und Glückwünschen über schüttet. Es war eine schöne und wertvolle Kundgebung der versöhnlichen Haltung des größten Teiles der italienischen Bewohner von Bozen. Die Wahl selbst ergab 13 Sitze für die Südtiroler Volkspartei, 11 Sitze für die Democrazia cristiana und den Rest für die übrigen italienischen Parteien. Bei der Bürgermeisterwahl gaben alle Gemeinderäte der Südtiroler Volkspartei gemeinsam mit jenen der Democrazia cristiana ihre Stimme dem christlichen Demokraten Lino Z i 11 e r. Im Gemeindeausschuß stehen drei Herren der Südtiroler Volkspartei drei Herren der italienischen Parteien gegenüber. So wurde in der Gemeindevertretung von Bozen, das bekanntlich seit 1939 eine italienische Dreiviertelmehrheit besitzt, ein Kräfteverhältnis erzielt, das eine für Südtirol fruchtbringendes Zusammenwirken verspricht.

Die günstige Aufnahme, welche die Südtiroler Abgeordneten sowohl im Parlament als auch im Senat erfahren haben, sowie die vorerst glückliche Lösung der Probleme um die Bozener Gemeindevertretung lassen die Südtiroler selbst, wie auch jeden, mit dem Geschick Südtirols geistig verbundenen Österreicher viel Gutes für die nächste

Entwicklung dieses gottgesegneten Landes erhoffen. Eine Saat ist aufgegangen; möge die Reife unter glücklichen Umständen erfolgenJ

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