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Vor neuer Radikalisierung

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Der Fahrplan war zwischen Rom und Bozen bis ins Detail vereinbart, die Endstation in Sicht: „Pakef'-Abschluß, das heißt volle Verwirklichung der im Jahr 1972 erlassenen, aber bis auf den heutigen Tag noch unvollständigen Autonomie für die deutschund ladinischsprachige Bevölkerung Südtirols.

Doch der Zug blieb samt dem ausgeklügelten Fahrplan im letzten Augenblick stecken, die Regierung Giovanni Gorias eine Woche zu früh auf der Strecke. Am Freitag, 11. März, wurde ihr ein regierungsinterner Streit über den Weiterbau eines Atomkraftwerks bei Rom zum Verhängnis.

Wenige Tage später - am Mittwoch, 16. März — war, nun vergeblich, die Regierungssitzung anberaumt gewesen, auf der die letzten noch ausstehenden Autonomiebestimmungen genehmigt hätten werden sollen: insbesondere die Gleichstellung der zwei Sprachen vor Gericht und im öffentlichen Dienst, die Einschreibung der Kinder in die deutschen beziehungsweise italienischen Kindergärten und Schulen und die Regelung der Autonomierechte für die Ladiner.

Mit dem Sturz der Regierung Goria war buchstäblich in letzter Minute vereitelt worden, worauf sich in den Wochen vorher die Südtiroler Volkspartei und die römische Regierung in mühseligen Verhandlungen geeinigt hatten, beide Seiten ständig unter dem Druck nicht nur der oppositionellen Kräfte, sondern auch der Uberzeugung, daß eine Einigung wenn nicht jetzt, dann lange nicht mehr zustande kommen wird.

In Südtirol herrscht nämlich“ bereits Vorwahlklima: im Herbst wird der neue Landtag gewählt. Die Entscheidungen dieser Wochen werden mit Sicherheit die kommenden Landtagswahlen nachhaltig beeinflussen: ein Erfolg bei den Autonomieverhandlungen gibt den gemäßigten Kräften Auftrieb, ein Scheitern den radikalen Kräften.

Die Fronten in den Auseinandersetzungen dieser vergangenen Wochen verliefen denn auch folgerichtig nach diesem Muster: auf der einen Seite die Südtiroler Volkspartei mit ihrem charismatischen Obmann Silvius Magnago (der in seiner Partei hart für das Ja zum Kompromiß mit Rom ringen mußte) und mit der SVP die römischen Regierungsparteien; auf der anderen Seite alle jene Kräfte, die aus den unterschiedlichsten, oft sogar entgegengesetzten Motiven den Paket-Abschluß in dieser Form vehement ablehnen: die Neufaschisten („Ausverkauf Italiens“), die Alternativen („Scheinlösung“), die zwei kleinen rechtsstehenden Südtiroler Parteien Heimatbund und Freiheitliche („Verrat an Südtirol“).

Die letzte Chance, die Autonomie doch noch rechtzeitig vor den Landtagswahlen unter Dach und Fach zu bringen, liegt in einer raschen Regierungsbüdung in Rom. Ansonsten rückt der Paket-Abschluß weit in die Ferne, mit allen vorhersehbaren Folgen: einer Radikalisierung bei den Landtagswahlen vor allem auf italienischer Seite und damit der Aussicht, daß die Neufaschisten nicht nur in der Gemeinde Bozen - wie seit Mai 1985 -, sondern auch im Landtag die stärkste italienische Partei werden; und der Gefahr, daß die erwünschte Annäherung zwischen Rom und Wien weiter auf sich warten läßt.

Denn diese Annäherung geht über Südtirol - und erst dann, wenn der Streit um Südtirol überwunden ist.

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