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Bruderzwist in Südtirol

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Am 19. Mai 1964 herrschte in den Redaktionen der italienischsprachigen Blätter in Bozen Freude und Frohlocken. Konnte man doch wieder einmal registrieren, daß die Südtiroler einander in den Haaren lagen. Dabei waren es nicht die schwülen Vorsommertage, welche die Gemüter in Südtirol „erhitzten”, sondern nur Zeitungsartikel der Bozener „Dolomiten”.

In dieser Artikelfolge, ursprünglich dem „Mailänder Prozeß und der Südtirolpolitik” gewidmet, war allerdings genug Explosivstoff vorhanden. Dr. Franz von Walther, Sohn des gegenwärtigen Handelskammerpräsidenten, unterzog darin die Südtirolpolitik der heutigen Parteiführung einer scharfen Kritik und warf ihr unter anderem auch vor, an den Sprengstoffattentaten des Jahres 1961 beteiligt gewesen zu sein. Gewisse Exponenten der gegenwärtigen Parteiführung hätten die Bevölkerung systematisch verhetzt, einer Politik der Verständigung, wie sie bis 1957 betrieben worden sei, habe man eine Politik der Schlagworte und des unfruchtbaren Volks- tumskampfes vorgezogen.

„Will die SVP wieder zu einer schlagkräftigen Verfechterin unserer Rechte werden”, hieß es weiter im letzten Artikel, der mit dem Titel „In Europa soll uns wieder ein Vaterland erstehen” versehen war, „so muß sie sich endlich von der Hypothek der Scharfmacher und Zweideutler befreien …” Der Tonfall wurde immer ultimativer: „Wir geben Euch aber nur noch drei Jahre Zeit. Bis dahin sind es nämlich genau zehn Jahre, seitdem wir auf konkrete und für die Erhaltung und Festigung unseres Volkstums sehr wichtige Erfolge verzichten müssen.” Sollte dem jedoch nicht so sein, „dann hättet Ihr eindeutig bewiesen, daß Ihr zur Schwäche verurteilt seid, weil Ihr Euch nicht von den Scharfmachern befreit, und daß Ihr die Belange unseres Volkes nicht wahrnehmen könnt.”

Die Antwort

Diese Sprache war eindeutig. Sie stellte eine offene Kampfansage der „Dolomiten” und ihres Direktors Dr. Toni Ebner an die SVP dar.

Der Fehdehandschuh war also gefallen. Die Südtiroler Volkspartei verfügt wohl als einzige Partei Westeuropas über keine eigene Zeitung oder Zeitschrift. Sie hat zwar das Recht, die zwei ersten Seiten der Athesia-Wochenzeitung „Der Volksbote” zu gestalten, doch kann dieses Recht jederzeit widerrufen werden. Überdies dürften zwei Seiten in der Woche kaum ausreichen, um auch nur zu den wichtigsten politischen Ereignissen Stellung zu nehmen. Im April 1963 trat die neue Zeitschrift „Südtiroler Nachrichten” in die Bresche.

Jetzt konterte nun das Blatt in einem mit „Antwort an die .Dolomiten’ “ betitelten Artikel: „Der .geschätzte Mitarbeiter’ der Tageszeitung .Dolomiten’, Dr. Franz von Walther, hat in einer kürzlich erschienenen Artikelserie einen Überblick über den derzeitigen Stand des Südtirolproblems geben wollen. Dieses Bestreben müßte an und für sich gelobt werden. Denn seit dem mißglückten .Aufbau’-Putsch von 1961 und seit dem Debakel, das die .Dolomiten’ mit ihrem Schützling Raffeiner bei den letzten Parlamentswahlen erlebt haben, hat das ,Tagblatt der Südtiroler1 nicht mehr viel über Südtirol, geschweige denn über die Belange und Probleme der SVP geschrieben..

Kritik, so schrieben die „Südtiroler Nachrichten” weiter, sei notwendig und nützlich. Sie müsse aber konstruktiv und unzweideutig sein.

Nachdem die „Südtiroler Nachten”, die in den Augen italienischer Kreise als Sprachrohr der Benedik- ter-Dietl-Brugger-Giuppe gilt, ausführlich auf alle Argumente der „Dolomiten” eingegangen waren, ging man zum Gegenangriff über.

Dem Chefredakteur der „Dolomiten”, dem früheren SVP-Kammer- abgeordneten in Rom, Dr. Toni Ebner, und seinem politischen Freundeskreis wurde u. a. vorgeworfen, daß er auf den Sturz der gegenwärtigen Parteiführung und somit auf die Rückeroberung der von ihnen bis 1957 gehaltenen Machtposition hinarbeite, daß diese Kampagne gegen die SVP sogar so persönliche Formen angenommen habe, daß man beispielsweise den 50. Geburtstag des Landeshauptmanns und SVP-Obmanns Dr. SUvius Magnago mit keinem Wort erwähnte, desgleichen nicht seine grundsätzlichen Erklärungen während der letzten Budgetdebatte im Südtiroler Landtag, seine Reden im Ausland usw. Während Ebner heute ständig die sogenannten „Radikalen”, nämlich all jene SVP-Exponenten, die nicht in sein politisches Konzept paßten, angreife und sie aller möglichen „Schandtaten” bezichtigte, sei doch gerade er und sein Freundeskreis es gewesen, die in Südtirol „tapfere Reden” gehalten hätten. So habe Dr. Riz 1958 auf einer Versammlung in Bozen u. a. erklärt, daß man „jeden Quadratzentimeter unseres Südtirolers Bodens” verteidigen werde, und Dr. Ebner habe 1956 das Zitat geprägt: „Nur Gott ist heilig, nicht aber die Brennergrenze!”

Eine neue Partei im Herbst?

Die schärfsten Reden in Südtirol aber, so wies das Blatt in einer ausführlichen Zitatensammlung nach, habe ausgerechnet jener Mann, nämlich der frühere SVP-Senator Doktor Josef Raff einer gehalten, der 1957 die imposante Kundgebung von Sigmundskron, die eine Wende in der Südtirolpolitik einleitete, im römischen Senat bedauert, ja verurteilt, 1963 bei den Parlamentswahlen gegen die Partei kadidierte und sich zu diesem Zweck sogar mit der autonomiefeindlichen italienischen Liberalen Partei verbündet habe. Und eben Dr. Raffeiner, der für die kommenden Landtagswahlen im Herbst dieses Jahres die Bildung einer eigenen Partei angekündigt habe, sei durch Dr. Ebner zwei Tage vor den Parlamentswahlen im April 1963 durch einen Wahlaufruf unzweideutig unterstützt worden.

Zwei schwere Vorwürfe

Vor allem aber wandten sich die „Südtiroler Nachrichten” gegen zwei Vorwürfe. Die „Dolomiten” hatten den um das parteifreundliche Blatt gruppierten Exponentenkreis in ihrem letzten Artikel nämlich nicht nur unterstellt, daß sie mit „Tendenzen des Nationalsozialismus und des Neofaschismus” zumindest im Unterbewußtsein sympathisierten und somit „Rechtsextremismus” betrieben, sondern auch, daß ihr „Katholizismus eine Glaubensverirrung, um nicht zu sagen eine Häresie, sei, und zwar nicht nur vom streng katholischen Standpunkt aus betrachtet, sondern vom christlichen Standpunkt schlechthin”.

Zum ersten Vorwurf entgegneten die „Südtiroler Nachrichten”, daß gerade sie ständig gegen gewisse ungebetene Freunde aus Österreich und Deutschland (Burger, Welser usw.) gewettert hätten.

Was aber den Vorwurf der „Häresie” angehe, so könne man sich, so meinte das Blatt, nicht genug darüber wundern, daß solche Zeilen ausgerechnet zu einer Zeit erscheinen könnten, da in Rom das ökumenische Konzil tage. „Unsere christliche Weltanschauung”, schrieben die „Nachrichten”, „braucht sich nicht anzupreisen und bedarf keiner Bestätigung. Denn man praktiziert die christlichen Moralprinzipien ja nicht nur in ein paar Zeitungsartikeln, sondern im Leben selbst.”

Nach den „Südtiroler Nachrichten”, allerdings einige Wochen zu spät, antwortete auch das Parteipräsidium der SVP in einer ausführlich dokumentierten Stellungnahme auf die Vorwürfe. Darin wurden unter anderem die großen Fortschritte (UNO-Resolution, durch die das Südtirolproblem endgültig internationalisiert wurde, die Einsetzung und die Ergebnisse der 19er-Kom- mission, die einen „wesentlichen Fortschritt” darstellen, daneben aber vor allem der psychologische Fortschritt im Denken und Handeln der italienischen Politiker) aufgezählt, die man in zäher Arbeit in den letzten Jahren erringen konnte, daneben aber betont, daß Wunder in der Politik kaum möglich seien. „Wenn auch nicht alles richtig gemacht worden sei, und wer mache alles richtig?” sagte Dr. Magnago beim letzten SVP-Landeskongreß vom 13. Juni, „so dürfe doch nicht geleugnet werden, daß man vieles richtig gemacht habe.”

Soweit Dr. Benedikter. Die Polemik ist seitdem nicht mehr zur Ruhe gekommen. Die unbefangenen, aufrichtigen Freunde Südtirols in Österreich verfolgen diese Entwicklung mit Sorge und hoffen nur, daß die persönlichen Zwistigkeiten doch allmählich hinter die gemeinsamen Angelegenheiten zurücktreten, ln diesem Sinne stellt „Die Furche” auch ihre guten Dienste gerne zur Verfügung. „Die Furche”

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