Die neuen "sudtirolesi“

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Mit der Landtagswahl in Südtirol ging nach fast 25 Jahren die Ära Luis Durnwalder zu Ende. Anfang Dezember wird Arno Kompatscher zum Landeshauptmann gewählt.

Von der italienischen Krise merkt man in Südtirol nichts. Den Menschen geht es hier besser als im restlichen Italien. "Man kann sagen, was man will, aber den Wohlstand, den wir haben, verdanken wir ausschließlich der Südtiroler Volkspartei“, schrieb ein italienischer Pensionist in einem posting. Das Zusammenleben ist so friedlich wie nie in den letzten 95 Jahren. Die Bozner italienische Zeitung Alto Adige beschwört die Gemeinsamkeit von Italienern und Deutschen und nennt beide sogar "sudtirolesi“ und nicht mehr "altoatesini“.

Die Italiener haben sich damit abgefunden, dass die Deutschsprachigen die Macht im Land ausüben. "Ein Italiener kann bei uns bestenfalls der Vize hinter einem Mann der SVP werden“, meint Florian Kronbichler, der als Grüner der erste deutsche Abgeordnete aus Südtirol im römischen Parlament ist, der nicht der SVP angehört. Auf der Liste der hundert einflussreichsten Südtiroler, die eine Zeitung aufgestellt hat, rangieren 95 Deutsche. Zur Schwäche der italienischen Volksgruppe trägt bei, dass sie niemanden hat, der ihre Interessen vertritt. Im Landtag sind sie nur mit Ein- und Zwei-Mann-Fraktionen vertreten. Es gibt "mehr italienische Parteien im Landtag als Abgeordnete“, lautet ein bitterer Scherz. Das ist ein Grund, dass viele Italiener die SVP wählen, obwohl diese ihrer Bestimmung nach eine ethnische Partei der Deutschen ist.

Problemzone Schule

Immer mehr Südtiroler, vor allem auf dem Land, finden es nicht mehr der Mühe wert, Italienisch zu lernen. In den deutschen Schulen ist Englisch viel beliebter geworden als die Staatssprache. Die Zweisprachigkeit ist aber weiter die Voraussetzung für eine Anstellung im öffentlichen Dienst. Eine Fachärztin aus Rom, die einen Südtiroler geheiratet hat, macht gerade am Goethe-Institut in Berlin einen Deutschkurs, damit sie die Zweisprachigkeitsprüfung machen kann, ohne die sie in Bozen nicht praktizieren darf.

Die Gebildeten und Wohlhabenden unter den Italienern dagegen schicken ihre Kinder in die deutschen Schulen, was die italienischen zu Restschulen für die werden lässt, die nicht recht mitkommen. "Italienische Unterwanderung“ klagen die Rechten, "der unvermeidliche Trend zur zweisprachigen Schule“, meint Kronbichler. Eine der großen Errungenschaften der Südtirol-Autonomie, die nach der Muttersprache getrennte Schule, ist jedenfalls zu einer Problemzone geworden.

"Wir werden an der muttersprachlichen Schule festhalten, weil das die Grundfeste zur Erhaltung unserer Identität ist“, erklärt ein SVP-Bürgermeister aus der Gegend von Bozen, "aber wir müssen sie durch Elemente der Zweisprachigkeit ergänzen, weil das auch unsere Leute wollen.“ Bei den Deutschen herrscht die Sorge, andernfalls könnte der deutschen Schule das Schicksal der italienischen blühen.

Die Landtagswahl vom 27. Oktober war eine Zäsur. Weit über die Südtiroler Volkspartei hinaus erhoffen sich viele Südtiroler vom künftigen Landeshauptmann einen Neuanfang für das Land. Angeblich sind sogar junge Leute vor der Urabstimmung im letzten Frühjahr der SVP nur deshalb beigetreten, um Kompatscher zum Spitzenkandidaten wählen zu können. Das Wahlergebnis vom Sonntag war ein Glück für ihn. Dass die SVP zum erstenmal seit dem Krieg die absolute Mehrheit verloren hat, gibt ihm die Möglichkeit zu einem Neuanfang in der Partei und damit im Land, anderseits kann er sagen, dass es ohne ihn viel schlimmer gekommen wäre.

Mit der Korruption aufräumen

Die Südtiroler haben in den letzten Jahren Erfahrungen gemacht, die sie nur in Italien für möglich gehalten hatten. "Wird Südtirol Sizilien?“ fragten Kommentatoren provokant. Gemeint ist der Korruptionsfall um die Landeselektrizitätsgesellschaft SEL. Das Land hat bei der Vergabe von Konzessionen für E-Werke massiv zugunsten seiner eigenen SEL manipuliert - bis hin zur "Nachbesserung“ der Anbote durch die SEL, nachdem ihre Leute in die Offerte der privaten Konkurrenz illegal hatten Einsicht nehmen dürfen. Die E-Wirtschaft hat einen hohen Symbolwert in Südtirol. Die Stauseen und Druckrohrleitungen gelten als Fanal für die "faschistische Überwältigung“. Hier aufzuräumen wird keine leichte Aufgabe für Kompatscher.

Die Turbulenzen in der SVP sind nur das Symptom für tiefere Verschiebungen in der Südtiroler Politik. Die SVP hat den Alleinvertretungsanspruch für die Volksgruppe verloren. Auf der politischen Rechten bieten zwei Parteien einen vermeintlich einfachen Weg zur Lösung der Südtirol-Frage an: Sie wollen die Schwäche des italienischen Staates ausnützen und das Selbstbestimmungsrecht einfordern. Eine vage Konzeption von einem "Freistaat Südtirol“ haben die Freiheitlichen, die Partei Südtiroler Freiheit möchte zurück nach Österreich.

Dass beide Parteien bei der Wahl deutlich zugelegt haben, wird in Südtirol selbst gelassener gesehen, als es sich von außen ausnehmen mag. Die Freiheitlichen haben ihren Wahlkampf ohnehin nicht mit der Selbstbestimmung bestritten, sondern nach dem Muster ihrer österreichischen Gesinnungsgenossen mit einer Anti-Ausländer-Agitation und der Forderung nach mehr Integration - in die deutsche Volksgruppe versteht sich.

Rechtsruck der Jugend am Land

Dennoch ist in den beiden Parteien der SVP vor allem am Land eine ernste Herausforderung erwachsen. Erstaunlicherweise muss sich die SVP weniger Sorge um ihre Basis in den Städten machen als um die Jugend am Land, die nach rechts driftet und zunehmend empfänglich für die "Los von Rom“-Parolen ist.

Die SVP hat aber gar keine andere Wahl, als die Grenzen nach rechts deutlich zu ziehen, die Autonomie-Politik fortzusetzen und alle Experimente mit der Selbstbestimmung abzulehnen, auch wenn das juristisch trickreich und wenig spektakulär ist. SVP-Obmann Richard Theiner möchte die politische Basis der SVP erweitern und sie auch den Italienern öffnen. Sie soll von einer Volkstumspartei zu einer Volkspartei werden.

Auf Kompatscher lastet nun eine hohe Erwartung, er hat aber auch große Sympathien auf allen Seiten. Kompatscher gehört einer Generation an, die mit den Wohltaten der Autonomie - einschließlich dem hohen Wohlstand - wie selbstverständlich aufgewachsen ist: Gebildet, modern, selbstbewusst und zugleich bescheiden. Bei einer Versammlung mit Italienern im Wahlkampf sagte er "Via la proporzionale“, "weg mit dem ethnischen Proporz“, was er nach Protesten aus der Partei wieder zurücknehmen musste. Kompatscher will jedenfalls eine "Weiterentwicklung“ der Autonomie. Dabei dürfte er auch bereit sein, so manches Dogma der Südtirol-Politik infrage zu stellen.

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