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Entscheidende Tage für Südtirol

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Südtirol erlebt heuer den heftigsten Wahlkampf seit 1945. Die in der letzten Zeit akut gewordenen Spannungen innerhalb der Südtiroler Volkspartei, die Stagnation der Arbeiten des 19er-Ausschusses und die endlose Verschleppung des Prozesses gegen die Südtiroler politischen Häftlinge sind letzten Endes die Ursachen dafür, daß in den Wahlreden der Südtiroler Politiker wenig Optimismus zu finden ist. Die Hoffnungen, bald zu einer Lösung des für alle Betroffenen leidigen Problems zu gelangen, haben sich zumindest für die nächste Zukunft als vorschnell und trügerisch erwiesen.

Anlaß zu einiger Verwirrung und zu vielen Polemiken hat die Aufstellung der Südtiroler Parlamentskandidaten für die Wahlen am 28. April gegeben. Vor einigen Wochen hatte der Parteiausschuß für eine Sensation ersten Ranges gesorgt und den seit mehr als 21 Monaten inhaftierten Generalsekretär der SVP, Dr. Hans S t a n e k, als Kandidaten für den Senatswahlkreis Bozen aufgestellt. Stanek, von dem die Führung der Partei überzeugt ist, daß er die Verbrechen, deren er von der italienischen Justiz bezichtigt wird, nicht begangen hat, hätte im Fall seiner Wahl automatisch aus dem Gefängnis entlassen werden müssen. Man hatte aber dem Umstand, daß im Fall seiner Kandidatur der Prozeß gegen die anderen Häftlinge auf längere Zeit verschoben werden könnte, zuwenig Beachtung geschenkt.

Freiwillige Rücktritte

Als diese Vermutung nach Konsultierung eines namhaften Mailänder Juristen zur Gewißheit wurde, trat Stanek auch auf Drängen verschiedener Parteikreise, die durch seine Aufstellung schwere Belastungen in den Beziehungen zum italienischen Staat befürchteten, zurück. Schon vorher war der ursprüngliche Senatskandidat für den Wahlkreis Brixen, der von der Kurie geförderte Mittelschuldirektor Dr. David Kofier aus Bruneck, mit der Begründung, er fühle sich der hohen Aufgabe nicht gewachsen, zurückgetreten. Die von ihm an den Tag gelegte Bescheidenheit, das Selbstabwägen seiner Möglichkeiten, verdient allen Respekt. Für Bozen wurde nun neuerlich Dr. Luis Sand, für Brixen der verdiente und beliebte Sterzinger Bürgermeister, Hans S a x 1, nominiert. Senator Sand kandidiert auch für den Trentiner Wahlkreis Pergine.

Der weitaus heftigere Kampf entspann sich um die Kandidatenliste für das Abgeordnetenhaus. Die Vertreter der Richtung „Aufbau“, als deren Motor der dynamische Rechtsanwalt Dr. Roland Riz gilt, verlangten mit äußerster Schärfe seine Wiederkandidatur. Riz wurde durch einige Wirt-schafrsverbände und zirka zwei Dutzend Bürgermeister unterstützt, von der Mehrheit des Parteiausschusses jedoch abgelehnt. Die Sitzung dieses Gremiums soll sehr dramatisch verlaufen sein: Nach Ablehnung der Kandidatur von Dr. Riz verließen die Vertreter des „Aufbau“ den Saal und kamen nicht wieder. Sie weigerten sich außerdem, andere Kandidatenvorschläge einzubringen.

Der Kampf hinter den Parteikulissen, der nicht neu ist, aber noch nie

mit solcher Schärfe und in der Öffentlichkeit geführt wurde, hat zu vielen Spekulationen Anlaß gegeben und den Interessen Südtirols sicherlich nicht sonderlich genützt. Vor allem die italienische Presse hat mit großer Schadenfreude dem Ringen der „feindlichen Brüder“ zu-

gesehen und die baldige Spaltung der Südtiroler Volkspartei prophezeit. Doch hat es auch an mahnenden Stimmen nicht gefehlt: So hat etwa die angesehene Zeitung „II Giorno“ gemeint, daß mit einer Zersplitterung der SVP weder den Interessen Südtirols noch auch jenen Italiens gedient sei. Auch die Kirche steht Spaltungstendenzen in der SVP eher ablehnend gegenüber.

Strapaziertes Vertrauen

Die Verwirrung im Südtiroler Volk selbst ist nicht gering. Man hat Kandidaten aufgestellt, aber versäumt, zu erklären, warum man ihnen das Vertrauen, das anderen entzogen wurde, geschenkt hat. Dabei ist die Partei bei der Auswahl der Kandidaten nach ganz bestimmten Richtlinien vorgegangen. Bei Dr. Riz beispielsweise wurde erklärt, keine Partei der Welt würde einem Kandidaten, der so schwerwiegend gegen die Parteidisziplin verstoßen habe, nochmals ihr Vertrauen schenken. Die Gründung der Richtung „Aufbau“ in einer schweren Schicksalszeit Südtirols sei in Wirklichkeit ein Putschversuch gewesen.

rechtigt sie unter Umständen auch sein mögen, die großen, lebenswichtigen Probleme des Landes in Frage gestellt werden.

Die „neuen Männer“

Wer sind nun die „neuen Männer“ der SVP? Aus welchen Lagern kom-

men sie? Von den Altparlamentariern ist Dr. Karl Mitterdorfer geblieben. Er hat seine Bastionen im KVW (Katholischer Verband der Werktätigen) und beim Klerus. Dr. Toni Ebner, Direktor der „Dolomiten“, der drei Legislaturperioden hindurch Südtirol im Parlament vertrat, hat eine neuerliche Kandidatur abgelehnt. Ausgeschieden ist auch Senator Karl Tinzl, der „Nestor“ der Südtiroler Politik; er aus Altersgründen. Bis zuletzt hat er sich unermüdlich für die Lebensrechte der Südtiroler eingesetzt. Neu kandidieren der stellvertretende

Vorsitzende der SVP, Regionalrat Hans Dietl, der Obmannstellvertreter des Bezirks Bozen, Dr. Egmont Jenny, der Bürgermeister von Brixen, Doktor Valerius Dejaco, und die beiden Agrarwissenschaftler Ing. Karl Vaja und Dr. Karl Zanon. Dietls Wahl gilt ebenso wie die Dr. Mitterdorfers als so gut wie sicher. Dietl ist stellvertretender Obmann des Südtiroler Bauernbunds und genießt vor allem auch in den (meist wahlentscheidenden) Bezirken Pustertal und Vintschgau große Sympathien. Seine Stärken sind Konsequenz, Verläßlichkeit und Fleiß. Der Kampf um den dritten Platz dürfte zwischen Dr. Egmont Jenny und Doktor Valerius Dejaco geführt werden. Jenny war Vizepräsident der Hochschülerschaft in den Nachkriegsjahren, hat sich Verdienste anläßlich der Folteraffären erworben und gilt als dynamischer, durchschlagskräftiger Mensch, der für faule Kompromisse nichts übrighat. Dr. Dejaco ist als redegewandter und streitbarer Bürgermeister von Brixen bekannt geworden. In seiner Heimatstadt selbst ist er jedoch umstritten, weil er dem „Aufbau“ nahestehen soll. Tatsächlich hat ihn diese Richtung als Senatskandidaten präsentieren wollen.

Im Alleingang

Um die Verwirrung jedoch fast vollkommen zu machen, meldete Rechtsanwalt Dr. Josef Raffeiner in letzter Minute seine Kandidatur als unabhängiger Kandidat, also außerhalb der Südtiroler Volkspartei, für die Senatswahlen an. Raffeiner, Mitbegründer der SVP und Altsenator, ein Mann von hohen Qualitäten, war 195 8 von der damaligen Parteileitung ausgebootet worden, weil er sich geweigert hatte, den Südtiroler Autonomieentwurf im römischen Senat einzubringen. Auch der Sigmundskroner Volkskundgebung war er demonstrativ ferngeblieben, ja, hatte sie im Parlament öffentlich bedauert. Raffeiner will mit seinem Schritt „eine gewisse Parteidiktatur brechen“. Er hat aber, real gesehen, keinerlei Chancen, obwohl er von der „Aufbau“-Gruppe (zirka ein Fünftel des Parteiausschusses, also eine zahlenmäßig kleine Fraktion) insgeheim unterstützt werden dürfte. Die Kandidatur Raffeiners dürite als Versuchsballon für weitere Experimente ausgenützt werden. Auch die unentwegte Hundertschaft der Siidtiroler Sozialdemokraten, die, selbst uneinig, nicht einmal die notwendigen Unterschriften zur Einreichung einer eigenen Liste zusammengebracht haben, hat Wahlhilfe versprochen.

Um die mit viel Vorschußlorbeeren bedachte 19er-Kommission ist es inzwischen sehr still geworden. Seit Mitte Jänner hat keine Sitzung der Vollkommission mehr stattgefunden, nur der Unterausschuß, welcher die für Südtirol lebenswichtige Frage der Autonomie behandeln soll, ist spora-

disch in Trient zusammengetreten. Es bedarf eines großen Optimismus, um zur Zeit noch an die Möglichkeit eines günstigen Abschlusses ihrer Arbeiten zu glauben.

Auch um die Angelegenheit des Prozesses gegen die Südtiroler Häftlinge ist nichts zu vernehmen. Man weiß heute — nach 22 Monaten! — nicht einmal, ob der Prozeß in Bozen (wie es die Verteidiger, der Staatsanwalt usw. wünschen) oder in einer oberitalienischen Stadt (wie es der Generalprokurator von Trient, Tartaglia, fordert) abgehalten wird. Das „Wann“ ist sowieso die Gretchenfrage, an der sich die Gemüter entzünden. Der Staat scheint jedenfalls neuerlich bestrebt zu sein, jeder Chance, das Vertrauen der Bevölkerung, das nach all den bitteren Erfahrungen der letzten Jahre und durch die Foltermethoden von 1961 ohnedies schwerstens angeschlagen ist, wiederzugewinnen, eher auszuweichen. Die Früchte einer solchen Politik zeigen sich in den regelmäßig wiederkehrenden Dummheiten einiger Heißsporne, die Südtirol mit Bomben helfen wollen.

Es gilt, Terrain aufzuholen

Bis zu den Wahlen am 28. April wird es sich erweisen, ob es der SVP gelingt, durch viel Arbeit und Geduld das oft durch eigene Ungeschicklichkeit verlorene Terrain wieder aufzuholen. Das Vertrauen der Wählerschaft zur politischen Führungsschicht muß wiederhergestellt werden, damit Störkandidaten und selbstsüchtigen Gruppen und Interessenverbänden der Wind zu ihrer Propaganda von vornherein aus den Segeln genommen wird. Sollte die Partei jedoch versagen, so würde dies wahrscheinlich das Ende ihrer Einheit, die heute noch eine absolute Notwendigkeit ist, bedeuten.

Die kommenden Wochen werden jedenfalls eine Reform, eine Klärung oder eine noch viel größere Krise, als sie heute schon besteht, bringen. Es werden entscheidende Tage für die weitere Entwicklung des Landes zwischen Etsch und Eisack sein.

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