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Der lange Weg nach Trient

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Am 28. November trafen sich je vier Vertreter der Südtiroler Volkspartei und der Christlichdemokraten von Bozen und Trient im Bozener Landhaus zu einem ersten Gespräch über die delikate Frage einer eventuellen Wiederbeteiligung der SVP an der Regionalregierung.

Nach Indiskretionen von zuverlässiger Seite sollen sich bei diesem Kontaktgespräch folgende grundsätzliche Standpunkte gezeigt haben:

1. Die DC würde die Wiederbeteiligung der SVP an der Regicnalre- gierung freudig begrüßen. Sie wäre bereit, dafür „einiges auf den Tisch zu legen”.

2. Die SVP denkt jedoch trotz dieses „Liebeswerbens” zur Zeit nicht daran, ihren bisherigen Standpunkt zu revidieren. Eine Rückkehr in den Trientiner Regionalpalast, so argumentiert man, würde einer Verleugnung der seit der grandiosen Kundgebung von Sigmundskron für die SVP-Politik gültigen Prinzipien gleichkommen. Über diese Frage, meint man in SVP-Kreisen, könne man erst wieder nach dem Abschluß der zwischenstaatlichen Verhandlungen über Südtirol und nach dem Wirksamwerden der Beschlüsse der Neunzehnerkommission reden.

Der Weg nach Trient ist also noch lang und voller Dornen: Die für Oktober angesetzten Südtirolverhandlungen der beiden Außenminister sind (wieder einmal!) auf unbestimmte Zeit verschoben, die Beschlüsse der Neunzehnerkommission noch nicht einmal vom Ministerrat geprüft, geschweige denn vom Parlament genehmigt worden!

Weiterhin: Konstruktive Opposition?

Da die SVP aller Voraussicht nach weiterhin in einer konstruktiven Opposition bleiben wird, dürfte die Bildung der neuen Regionalregierung nicht gerade leicht werden. Am aussichtsreichsten unter allen möglichen Kombinationen erscheint noch eine Koalition der DC mit den Sozialdemokraten, Sozialisten und der Trentiner-Tiroler Volkspartei. Sie würde zwar über eine nur sehr knappe Mehrheit verfügen, jedoch noch am ehesten den Realitäten entsprechen. Falls sich die DC jedoch entschließen sollte, den SVP-Dissi- denten Dr. Josef Raffeiner in die Regionalregierung hineinzunehmen, dürfte sich die Haltung der SVP, welche dies als einen ausgesprochenen Affront gegen sich empfinden müßte, erheblich versteifen, ja unter Umständen zu einer entschiedenen Opposition führen.

97 Prozent für „Edelweiß”

Haben die Ergebnisse der Südtiroler Landtagswahlen umwälzende Veränderungen der bisherigen politischen Struktur gezeitigt? Diese Frage muß verneint werden. Im wesentlichen haben die Wahlen vom 15. November keine Überraschungen gebracht. Die Südtiroler Bevölkerung hat auch diesmal der SVP und ihrem Listenzeichen „Edelweiß” mit überwältigender Mehrheit (zirka 97 Prozent) das Vertrauen ausgesprochen und damit jedem Spaltungsversuch eine klare Absage erteilt.

Die „Tiroler Heimatpartei” des trotz seines hohen Alters sich unermüdlich in Opposition befindlichen Exsenators Dr. Raffeiner, konnte die führende Rolle der SVP in keiner Hinsicht gefährden. Mit einer überaus geringen Stimmenzahl (5258) gelang ihr auf Grund der Wahlarithmetik ein knapper „Achtungserfolg”, nämlich die Eroberung eines Restmandates, das sonst die Neofaschisten erobert hätten. Die Südtiroler haben also trotz allem wieder einmal Glück im Unglück gehabt: Der Landtag bleibt von einem zweiten rede- und schreifreudigen Jünger Mussolinis Gott sei Dank verschont!

Beunruhigend ist in der Provinz Bozen die stete Zunahme der kommunistischen Stimmen. Gegenüber den Landtagswahlen nahm die KPI, die auch einige Südtiroler Kandidaten, darunter den Vinschgauer Karl Stecher, als „Zugpferde” für die deutschsprachige Wählerschaft auf die Liste gesetzt hatte, um über 1500 Stimmen zu! Allein in Bozen konnte sie einen Stimmengewinn von mehr als 1100 Stimmen für sich buchen. Wenngleich dabei auch lokale Gründe, wie etwa die Reduzierung der Arbeitszeit in den

Lancia-Werken, eine sicherlich bedeutsame Rolle gespielt haben — das ständige Wachstum der Kommunisten muß alarmieren, zumal es sich mit dem „nationalen Trend” (siehe Ergebnisse der Gemeindewahlen vom 22. November!) deckt.

Stimmengewinne verzeichneten die Liberalen, die ihre Stimmenzahl fast verdoppeln konnten und erstmals ein Mandat eroberten, sowie die Sozialdemokraten Saragats. Die Neofaschistische Partei, MSI, verlor zwar über 1000 Stimmen, bleibt aber dennoch, was für die Situation in Südtirol wirklich sehr bezeichnend ist, die drittstärkste Partei des Landes. Leichte Stimmenverluste mußten auch die Christlichdemokraten und die Sozialisten, denen die linksradikale Splitterliste PSIUP fast

Ebenfalls größere Stimmengewinne verzeichnete (was dem nationalen Trend entspricht) die Liberale und die Sozialdemokratische Partei.

Von den 25 Sitzen im Südtiroler Landtag besetzt die SVP nun 16, die

2000 Stimmen „abwerben” konnte, in Kauf nehmen.

In der Nachbarprovinz Trient erlitten die DC durch eine Splitterliste ihres Exsenators Carbonari, die PSI und die Neofaschisten (die mehr als 1600 Stimmen verloren) stärkere, die KPI (ausnahmsweise!) schwächere Stimmenverluste. Erfreulich für die Südtiroler Volkspartei war der ebenso eindrucksvolle wie überraschende Wahlerfolg ihrer Trentiner Schwesterpartei PP TT.: Die Partei um den rührigen Regionalassessor Doktor Pruner, der sich vor allem um die Betreuung armer Bergbauerngebiete große Verdienste erworben hat, gewann mehr als 4600 neue Stimmen und somit ein zweites Mandat.

DC drei, alle übrigen Parteien (mit Ausnahme der Republikaner und der PSIUP) je einen Sitz. Die Südtiroler besitzen nach wie vor die Zweidrittelmehrheit, da bei grundsätzlichen politischen Fragen voraussichtlich auch Dr. Raffeiner trotz allen sonstigen Differenzen und Ressentiments mit der SVP „mitziehen” dürfte.

Vertrauensvotum für Dr. Magnago

Landeshauptmann und Parteiobmann Dr. Silvius Magnago hat seine führende Rolle als Sprecher der Südtiroler neuerlich eindrucksvoll festigen können. Mit 56.808 Vorhigs- stimmen hat er einen überwältigenden persönlichen Wahlerfolg errungen. Praktisch jeder zweite Südtiroler Wähler hat ihm, teilweise auch durch eine intensive Flugzettelwerbeaktion befreundeter Kreise, ermuntert, seine Stimme gegeben. Auf Grund dieses grandiosen Vertrauensvotums wird Dr. Magnago mit allergrößter Wahrscheinlichkeit weiterhin die beiden wichtigsten Posten, die Südtirol zu vergeben hat, bekleiden.

Die erste Frau im Landtag

Auf den nächsten beiden Plätzen findet man die Namen zweier bekannter Landespolitiker, der Assessoren Dr. Peter Brügger und Dr. Alfons Benedikter. Sofort nach ihnen rangieren die beiden Kandidaten des „Katholischen Verbandes der Werktätigen”, der seine Machtposition durch die Disziplin seiner Anhängerschaft wieder einmal eindrucksvoll unterstrich. Eine seiner Kandidaten, Frl. Waltraud Gebert aus Bruneck, ist die erste Frau im Südtiroler Landtag. Enttäuschend war hingegen die „Wahldisziplin” des „Südtiroler Bauernbundes”, der trotz seiner zahlreichen Mitglieder seinen Kandidaten, Dr. Heinold Sieger (bisheriger Direktor) nur im Mittelfeld placieren kannte.

Neu unter den Landtagsabgeordneten’ ist auch Dr. Egmont Jenny, ein Bozener Arzt, der, wie die „Dolomiten” zu melden wußte, angeblich auf Druck von Wiener Sozialisten (offensichtlich war damit Außenminister Dr. Kreisky gemeint) auf die Liste gekommen sei. Dr. Jenny repräsentiert eine linksgerichtete Richtung namens „Soziale Gerechtigkeit”. Damit ist die Sammelpartei SVP innerhalb von wenigen Jahren sowohl von rechts („Aufbau”) als auch von links „aufgeweicht” worden.

500 Stimmen für einen Toten

Betrüblich war die Feststellung, daß gewisse Schichten der Südtiroler Bevölkerung anscheinend entweder pressemäßig nicht erfaßt, oder von den zuständigen Parteiorganen nicht zufriedenstellend betreut werden. Über 500 Südtiroler gaben dem am 25. Oktober bei einem Autounfall tödlich verunglückten Dr. Anton Schatz aus Brixen die Stimme! Am meisten Stimmen erhielt er seltsamerweise aber nicht in entlegenen Gebirgsdörfern, sondern in der Stadt Meran! Nicht mehr wiedergewählt wurden u. a. der frühere Generalsekretär Dr. Hans Stanek, der im Sommer dieses Jahres in Mailand freigesprochen worden war, sowie der verantwortliche Direktor der „Südtiroler Nachrichten”, Dr. Franz Wahlmüller. Während Dr. Stanek seinen Mißerfolg vor allem auf seine wenig geschickte Haltung in Mailand, die ihm viele Sympathien verscherzte, zurückführen darf, fiel Dr. Wahlmüller einem beschämenden „Schurkenstreich” (so die „Südtiroler Nachrichten”) zum Opfer. Am Tag vor den Wahlen wurden im ganzen Meraner Bezirk (der ihn zu seinem Kandidaten aufgestellt hatte) gegen ihn gerichtete Flugzettel gestreut, ja von Haus zu Haus getragen! !

Solche Ereignisse sind natürlich stets geeignet, die Freude über die neuerlich — nehmt alles nur in allem! — bestandene Bewährungsprobe etwas zu trüben. Sie dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es den Italienern auch diesmal nicht gelungen ist, in die Südtiroler Bevölkerung einen echten Zwist hineinzutragen. Die Front der SVP ist zwar etwas lädiert worden, bleibt jedoch nach wie vor der maßgebliche Machtfaktor in der Südtiroler Landespolitik.

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