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Belastung für das „Paket“

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Bis vor wenigen Jahren konnte man in Südtirol kaum einen staatlich bediensteten Italiener finden, der Deutsch sprach. Die Italiener demonstrierten ihre Präsenz in Südtirol mit Vorliebe durch den ausschließlichen Gebrauch des Italienischen. Heute hingegen müssen die Italiener Deutsch lernen, um in Südtirol die Italianitä verteidigen zu können. Diesen für die deutschsprachige Bevökerumg vorteilhaften Wandel hat das „Paket“ gebracht. Ein großer Teil der von der römischen Zentralregierung an die Provinz Bozen gemachten Zugeständnisse wurde bereits verwirklicht, nur die zwei „harten Brocken“, Elektrizitätswirtschaft und Neueinteilung der Senatswahlkreise, blieben noch unerledigt.

Ein weiteres heißes Eisen ist immer noch die Doppelsprachigkeit. „Uberall wurden beachtliche Schritte erzielt, außer im Gebrauch der deutschen Sprache in öffentlichen Ämtern“, sagte der Südtiroler Landeshauptmann Silvius Magnago kürzlich bei einem Pressegespräch in Innsbruck. Die Italiener haben sich auf die neue Situation nicht vorbereitet, ob aus Nachlässigkeit oder aus Absicht, läßt sich nicht beweisen. Jedenfalls versuchen nun die Gewerkschaften der öffentlich Bediensteten, eine Verlängerung der Übergangsperiode zu erreichen, was allerdings einer Aufweichung der im Paket festgelegten Durchführungsbestimmungen gleichkommen würde, die sich zum Nachteil der deutschsprachigen Bevölkerung auswirken müßte. Sollte diese Verzögerungstaktik tatsächlich forciert werden, könnte dadurch neuer politischer Sprengstoff entstehen und die positive Entwicklung in Südtirol stören. Ein Urteil darüber wird erst im kommenden Herbst nach endgültiger Erfüllung der Durchführungsbestimmungen zur Südtiroler Autonomie möglich sein. Bekanntlich hat die Südtiroler Volkspartei einer halbjährigen Verlängerung des Durchführungstermines zugestimmt, nachdem der Termin 20. Jänner 1974 wegen innenpolitischer Schwierigkeiten nicht eingehalten werden konnte. Natürlich gerät dadurch auch der Operationskalender zwischen Österreich und Italien in Verzug. Die Südtiroler Politiker werden sich in den nächsten Monaten nicht wegen zu geringer Beschäftigung zu beklagen haben. Nach den Herbstwahlen sind nun erst einmal die Koalitionsverhandlungen zu bewältigen, Gemeinderatswahlen stehen bevor, das Landesbudget 1974 muß erst aufgestellt werden, der SVP steht ein Obmannswechsel ins Haus, da Landeshauptmann Magnago für dieses Amt nicht mehr kandidieren will, und schließlich muß man mit den Durchführungsbestimmunge und dem Operationskalender an ein Ende kommen.

Das Gerangel um die neue Südtiroler - Landesregierung hat bereits eingesetzt, vor Mitte Februar ist jedoch mit dem Ergebnis nicht zu rechnen. Die deutsche Volksgruppe hat bei der letzten Wahl die Zweidrittelmehrheit überschritten. Auch das ist eine Auswirkung des Pakets, da durch die Seßhaftigkeitsklausel 7000 italienische Wähler ausfielen. Allerdings verdanken auch die drei deutschsprachigen Splitterparteien ihren Anerkennungserfolg (1 Vollmandat, 2 Restmandate) dem Paket. Die SVP ging mit 20 Mandaten (19 Vollmandate, 1 Restmandat) aus den Wahlen hervor, so daß nun den 23 Angehörigen der deutschen Volksgruppe zehn Italiener gegenüberstehen. In den Koalitionsverhandlungen wird eine Mittelinksregierung angestrebt, wobei sich die Deutschsprachigen eine Vertretung von sieben Landesräten und einem Ersatzmitglied erwarten, während man den Italienern wie bisher drei Landesräte und ein Ersatzmitglied zugesteht.

Erst wenn die neue Landesregierung gebildet ist, kann mit einer wirksamen Arbeit begonnen werden. Das Jahr 1974 soll die Durchführung der nach den Wahlen von 1973 geschaffenen neuen Landesgesetze bringen. In drei Monaten wurden nämlich nicht weniger als 60 Gesetze beschlossen, einige davon sind für Italien bahnbrechend. So will Südtirol als erste Provinz Italiens die Krankenhaus-

misere lösen. Neu für Italien ist auch ein Müllabfuhrgesetz. Es gibt nun ein Fürsorgegesetz und ein Bkitspendegesetz. 20 Milliarden Lire werden für den Schulhausbau bereitgestellt und die Gemeinden erhalten außerdem innerhalb der nächsten fünf Jahre vom Land 55 Milliarden Lire für die Durchführung öffentlicher Arbeiten. Auch in der Wohnbauförderung ist Südtirol nun in Italien führend. Während in den anderen Provinzen nur 5 Prozent der Wohnbauten mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, sind dies in Südtirol 25 Prozent.

In diesem Jahr also wird sich der Wert des Paketes endgültig herausstellen. Die Fortschritte der letzten Jahre sind vielversprechend. Die Lebensbedingungen der Südtiroler haben sich fühlbar gebessert. Das politische und menschliche Klima ist freundlicher und es ist nur schwer denkbar, daß die Regierung in Rom an neuerlichen, durch Verzögerungs-manöver hervorgerufenen Schwierigkeiten interessiert sein könnte. Der Sommer 1974 wird darüber Gewißheit bringen.

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