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Fahnen in Südtirol

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Rom und Südtirol verbindet derzeit eine gut geregelte und anständig geführte Zwangsehe. Dem Schritt zu einer Liebesverbindung stehen noch viele Hindernisse entgegen.

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Rom und Südtirol verbindet derzeit eine gut geregelte und anständig geführte Zwangsehe. Dem Schritt zu einer Liebesverbindung stehen noch viele Hindernisse entgegen.

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Wenn der Südtiroler Landtag in Bozen tagt, dann wehen seit kurzem am Amtsgebäude die italienische Nationalflagge und daneben die Tiroler- und die Europafahne. Ins Leben gerufen hat dieses ungewohnt flaggenfreundliche Schauspiel zuerst Rom und dann Bozen: Rom, weil dort Ministerpräsident Bettino Craxi auf der Suche nach Wählerstimmen die Idee gehabt und auch durchgesetzt hat, Gemeinden, Regional- und Provinzialverwaltungen oftmaliges grün-weiß-rotes Flag-

genhissen aufzuzwingen; Bozen, weil es sich nicht ohne weiteres damit abfinden wollte. Hier bedeutet Flagge zeigen mehr als anderswo in Italien auch Farbe bekennen.

Und so kam es, wie es eigentlich kommen mußte. Aus der Fahnenverordnung in Rom wurde ein Fahnenstreit in Bozen: Wortgefechte und Saalverweisungen im Landtag, Beschwörung von Tiroler Vergangenheit und „italia-nitä“, Schmähartikel und Gerichtsklagen, kurzum ein großer Tag für alle, die auch heute noch mit den Farben einer Fahne Politik betreiben. Nach langem Hin und Her das Fazit: in Zukunft hängen die drei erwähnten Fahnen am Amtsgebäude.

Und das sagt vielleicht mehr aus als manche gescheite politische Analyse. Die salomonische — bezeichnenderweise von der Südtiroler Volkspartei vorgeschlagene — Lösung mit den drei Fahnen liegt genau auf der Linie der Paket-Politik, also jener Politik, die Südtirol bei Italien beläßt, aber mit einer starken eigenen^ Autonomie und mit Blick auf Europa. Das paßt der neufaschistischen Partei freilich nicht ins Konzept, sie will die Trikolore flattern sehen: „Siamo in Italia“ — und eine solche Haltung haben ihr bei den letzten Gemeindewahlen vor einem Jahr immerhin 22 Prozent aller Bozener Wähler honoriert und damit Bozen zur einzigen Stadt Italiens gemacht, in der die Neufaschisten stärkste Partei sind.

Was den einen zuviel an Autonomie, ist den anderen zu wenig: der kleine, aber militante Südtiroler Heimatbund (mit einer Abgeordneten von insgesamt 35 im Landtag) träumt weiterhin von Selbstbestimmung und Abtrennung: keine Trikolore, sondern Tiroler Fahne.

Fast parallel zum Fahnenstreit in Südtirol ging es unbefangener und lockerer in Tarvis und Thörl-Maglern zu: auch hier — bei der Autobahneröffnung — viele Fahnen, aber auch viel Musik, Händeschütteln und Freundschaftsbeteuerungen („dort, wo sich der Süden mit dem Norden trifft“). Und Außenminister Peter Janko-witsch sekundierte einen Tag später in Lienz bei seinem Treffen

mit den beiden Tiroler Landeshauptleuten Silvius Magnago und Eduard Wallnöfer: „Eine beinahe spektakuläre Verbesserung in den Beziehungen zwischen Österreich und Italien während der letzten Jahre.“ Und wenn's auch stimmen mag: Magnago wird vermutlich nur mit einem Dreiviertel seines Herzens zustimmen.

Doch immerhin: auch in Südtirol hat sich vieles entscheidend gebessert; die neue Autonomie brachte volkstumspolitische Festigung, wirtschaftlichen Wohlstand, Absicherung im sozialen Bereich und im Arbeitsmarkt.

Das wissen Magnago und mit ihm die übergroße Mehrheit seiner Landsleute. Das tägliche Zusammenleben in Südtirol ist viel einfacher und problemloser, als dies die Sonderkorrespondenten großer — vorwiegend italienischer — Zeitungen bei ihren flüchtigen Besuchen wahrhaben wollen. Südtirol lebt zur Zeit im Zustand einer gut geregelten, anständig geführten Zwangsehe. Dem Schritt zu einer überzeugten und überzeugenden Liebesverbindung stehen allerdings noch viele Hindernisse entgegen: der Ballast unausrottbarer Feindbilder und Vorurteile; die Angst der Italiener vor dem Verlust ihrer bisherigen Privilegien; die alte, muffige Luft der „Siamo in ItahV-Mentalität

bei Gericht und Polizei (bezeichnenderweise ist die Gleichstellung der Sprachen in diesen beiden wichtigen Bereichen immer noch nicht geregelt); die Einige-lung der Südtiroler.

Es bleibt noch viel zu tun. Und es ist fraglich, ob Magnago noch die Vollendung seines Lebenswerkes, an dem er nun seit 29 Jahren — länger als jeder andere Regierungschef im Westen — arbeitet, als Landeshauptmann erleben wird (auch wenn die Ankündi-

gung seines Abschieds von der Politik im Jahr 1988 inzwischen wieder deutlich abgeschwächt wurde).

Doch ob mit oder ohne Magnago, er selbst hat jetzt in Lienz erneut die Parole ausgegeben: „Die Südtiroler fordern nur ihr Recht; das werden sie auch weiterhin tun — umso besser, wenn sie es in einem entspannten österreichisch-italienischen politischen Klima tun können!“

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