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Vertrauensvorschuß für Fanfani

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Der neue italienische Ministerpräsident Fanfani hat als erster Ministerpräsident Italiens in seiner Regierungerklärung vor dem Senat und der italienischen Kammer sich offen zu einer Erklärung über Südtirol und die Politik, die die neue italienische Regierung verfolgen will, bereitgefunden.

Der Ministerpräsident bekannte sich in seiner Rede zum Abkommen Gruber-de Gasperi und sagte wörtlich:

„Auch für die Region Trient-Südtirol werden wir uns beeilen, nach Anhörung der eigens eingesetzten Kommission, die Durchführungsbestimmungen zum Statut zu erlassen unter voller Achtung der Einheit und Unversehrtheit des Staates, in Uebereinkommen mit unserem zähen Streben nach klarem Einvernehmen zwischen den europäischen Völkern sowie im Geiste der Verfassung, der mit den Grundsätzen übereinstimmt, die von liberalsten und fortschrittlichsten Staaten in ihre staatliche Ordnung aufgenommen wurden.“ Er fährt dann fort:

„Das volle Funktionieren der Einrichtungen und der Autonomie der Region Trentino-Südtirol wird dazu dienen, die Minderheit deutscher Sprache immer fester in die Einheit des Staates einzubauen, wenn sie die Gewißheit hat, daß ihr besonderer ethnischer Charakter durch die loyale Durchführung des zwischen de Gasperi und Gruber abgeschlossenen Abkommens sichergestellt ist.“

Diese Regierungserklärung hat, sosehr sie auch zu begrüßen ist und an deren Aufrichtigkeit zu zweifeln wir keinen Grund haben, von Anfang an zwei Mängel, und zwar:

Fanfani spricht von der Region „Trentino-Südtirol“, und zweitens kommt er auf die Durchführungsbestimmungen zum Autonomiestatut zu sprechen, welche die Regierung nach Anhörung einer eigenen Kommission erlassen will.

Die erste Forderung und die Hauptforderung der Südtiroler ist die nach einer eigenen autonomen Provinz Bozen.

Der Südtiroler Senator, Dr. T i n z 1, hat dies in einer Rede im Senat auch ganz klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht und hat darauf hingewiesen, daß d i e konkrete Tat, auf die der Ministerpräsident in seiner Rede verweist, die Errichtung der Provinz Bozen als autonome Region wäre.

Dr. Tinzl sagt wörtlich:

„Durch die Annahme dieser Gesetzesvorlage (wir haben bereits auf die Vorlage des Gesetzes zur Schaffung einer eigenen Region Bozen durch die früheren Abgeordneten und Senatoren hingewiesen) wäre mit einer einzigen konkreten Tat das Grundproblem zum Schutze des Lebens unserer Volksgruppe auf unserem angestammten Boden gelöst.“

Diese Gesetzesvorlage wird auch in der neuen italienischen Kammer von den drei Südtiroler Abgeordneten demnächst eingebracht werden, und es bleibt abzuwarten, wie die Kammer sich dazu stellen wird. Nach den bisherigen Erfahrungen, die das Volk von Südtirol mit der italienischen Regierung gemacht hat, dürfte nicht viel zu hoffen sein. Das geht auch aus der Regierungserklärung des neuen Ministerpräsidenten hervor, welcher nur von einer „Region Trentino-Südtirol“ spricht und damit nicht von der bisher eingeschlagenen Richtung der italienischen Regierung abgeht.

Der zweite Mangel in der Regierungserklärung liegt darin, daß Fanfani eine eigene Kommission zum Studium dieser Durchführungsbestimmungen anhören will und erst dann diese Durchführungsbestimmungen zu erlassen verspricht.

Man darf nicht vergessen, daß das Autonomiestatut bereits im Jahre 1948 erlassen wurde, und man muß dabei feststellen, daß heute, nach mehr als zehn Jahren also, das Autonomiestatut zu mindestens drei Viertel nicht durchgeführt werden kann, weil eben die Durchführungsbestimmungen dazu fehlen. Und nun will man nach zehn Jahren erst eine Sonderkommission anhören und erst nach Anhören dieser Kommission darangehen, diese Durchführungsbestimmungen zu erlassen ...

Trotzdem hat die Bevölkerung von Südtirol die Erklärungen des neuen Ministerpräsidenten mit Befriedigung zur Kenntnis genommen und hofft, daß diese Erklärungen nicht nur leere Worte bleiben.

Die Stellung der drei deutschen Südtiroler Abgeordneten in der römischen Kammer kann man als „Zünglein an der Waage“ bezeichnen, denn die Regierungsmehrheit ist so gering, daß sie beim ersten Ansturm zusammenzubrechen droht, wenn nicht auch die Südtiroler Abgeordneten zumindest eine wohlwollende Neutralität einnehmen, d. h. in diesem Falle sich der Stimme enthalten. Dies hat auch der wiedergewählte Abgeordnete Dr. Ebner klar zum Ausdruck gebracht.

Die österreichische Liga für die Vereinten Nationen hat an die Ligen der Vereinten Nationen in allen Staaten einen Brief gerichtet, in welchem die Punkte aufgezeigt werden, in denen das Südtiroler Abkommen entweder verletzt oder nioht“durchgeführt'wurde, und zwar sind Haut

1. Die Durchführung und Autonomie der Provinz Bozen.

2. Die Gleichberechtigung der Sprachen, sowohl im amtlichen als auch im privaten Verkehr und vor den Aemtern.

3. Die Schulautonomie, wobei ausdrücklich auf das Beispiel der Schweiz hingewiesen wird.

4 Die Zuwanderung aus Alt-Italien. 5. Die Benachteiligung der heimischen Bevölkerung bei der Stellenbesetzung. Wir haben schon des öfteren auf diese Mängel hingewiesen und dieselben auch statistisch belegt.

Diese Mängel abzustellen wird Sache der italienischen Regierung sein. In diesem Zusammenhang sei auf einen Umstand hingewiesen, der die Aufmerksamkeit der italienischen Christlich-Demokratischen Partei im besonderen Maße verdient.

Durch die Masseneinwanderung der'Italiener ist nämlich gerade in der Provinz Bozen eine linkssozialistisch-kommunistische Mehrheit entstanden, die den christlichen Demokraten immer mehr zu denken gibt. Tatsächlich ist von den 20.000 italienischen Stimmen, die 195 8 mehr abgegeben wurden als 1948, nicht eine einzige Stimme für die demokratische Partei gewonnen worden, im Gegenteil, die demokratische Partei hat sogar etwas weniger Stimmen als 1948. In diesen zehn Jahren hat die Linke um 7000 und die Rechte um rund 13.000 Stimmen zugenommen. 1948 stand die Christlich-Demokratische Partei mit 37.487 Stimmen einer Opposition von zusammen 26.130 Stimmen gegenüber; 195 8, also zehn Jahre später, hat die Christlich-Demokratische Partei nur noch 46.463 Stimmen, während die Opposition auf 47.136 Stimmen, also um 21.066 Stimmen, angewachsen ist.

Das ist die Frucht der italienischen Unterwanderung, welche von der Christlich-Demokratischen Partei gefördert wurde wie von den anderen italienischen Rechts- und Linksparteien.

Die Christlich-Demokratische Partei in Südtirol hat also durch diese Italianisierungspolitik selbst am meisten verloren, und wenn es so weitergeht, so wird die Christlich-Demokratische Partei immer mehr absinken, während die Kommunistische Partei sowie die Linkssozialisten immer mehr ansteigen und die Oberhand gewinnen. Bei einem Haare wäre es möglich gewesen, daß ein Kommunist als Vertreter der Italiener in Südtirol in das Parlament eingezogen wäre. Am besten beweist dieses Absinken der Christlich-Demokratischen Partei der Verlust eines Abgeordneten in der Kammer und beinahe hätte sie auch den zweiten Abgeordneten in der Kammer verloren.

Die Zeitung „Die Dolomiten“ schreibt sehr richtig:

„Die Politik der italienischen Unterwanderung in Südtirol ist nicht nur eine Politik der Zerstörung des gesunden christlichen Volkstums der Südtiroler, sie ist nicht nur eine Politik, die sich gegen eine Ordnung des Völkerlebens in europäischer Sicht richtet, sie ist auch eine Politik, die die politischen und weltanschaulichen Grundsätze dieses Landes erschüttert.“

Auch von diesem Standpunkt aus gesehen hätte die neue italienische Regierung alle Lirsache, eine Polit:k des Vertrauens und der Gerechtigkeit den Südtirolern gegenüber anzubahnen, denn der beste Schutz der Grenzen ist die Bevölkerung, und es gibt wohl keinen Zweifel darüber, daß eine zufriedene deutschsprachige Bevölkerung an der Nordgrenze Italiens einen besseren Schutz bietet, als es die Kommunisten und Linkssozialisten jemals sein können.

Wir haben schon einmal klargelegt welche Grundlagen für ein geregeltes Leben in Südtirol und für eine gesunde Entwicklung des Volkstums geschaffen werden müssen, und zwar vor allem vollkommene Gleichberechtigung der Volksgruppen, aber nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch, vollkommene Schulautonomie, insbesondere im Lehrkörper und in der Schulleitung, dann freier Gebrauch der deutschen Sprache im mündlichen und schriftlichen Verkehr auch unter den einzelnen Behörden. Die Bestellung von Beamten, die beide Sprachen perfekt beherrschen und ohne Dolmetscher mit der Bevölkerung verkehren können, Gleichberechtigung bei Anstellungen, so daß zum Beispiel nicht ein Briefträger aus Kalabrien im Oberen Vintsch-gau Dienst tun muß, der nicht einmal italienisch, geschweige denn deutsch lesen kann, sowie Anstellung von Tirolern in Krankenhäusern (wo derzeit zu 90 Prozent nur Italienisch sprechendes Personal ist), bei der Post und bei der Bahn sowie auch im Sicherheitsdienst, Zulassung von Tiroler Arbeitern bei Elektrifizierungs- und Bahnbauten sowie Straßenarbeiten, welche derzeit fast ausschließlich nur von Italienern gemacht werden.

Staatssekretär Dr. Gschnitzer hat in Innsbruck erklärt, daß die Besprechungen zwischen Wien und Rom nunmehr beim Südtiroler Problem angelangt seien. Wir halten es für richtig, sich nicht in diese Besprechungen zu mischen, es wäre aber zu wünschen, daß man die Lage so betrachtet, wie sie betrachtet werden muß, und daß man sich nicht nur mit leeren Versprechungen abspeisen läßt, wie es leider nur allzuoft bisher geschehen ist. Das Abkommen Gruber-de Gasperi ist ein Teil des italienischen Friedensvertrages, und Oesterreich ist daher als Vertragspartner verpflichtet, diesem Abkommen auch in der Praxis Geltung zu verschaffen. Südtirol ist daher keine rein innenpolitische italienische Angelegenheit, sondern eine internationale Angelegenheit, wenn auch die italienischen Nationalisten aus allen Lagern dies nicht wahrhaben wollen.

Es ist bezeichnend, daß der neue italienische Ministerpräsident wegen seiner Aeußerung über Südtirol von verschiedenen italienischen Zeitungen heftig angegriffen wurde, während andere, vorwiegend katholische Blätter diese Aeußerung begrüßten.

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