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Kindergärten und Studientitel

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JJas jüngste Verbot der deutschen Kindergärten in Südtirol, gegen das zur Zeit die Berufung der Landesregierung vor dem neugebildeten Verfassungsgerichtshofe liegt, hat beträchtliches Aufsehen erregt. Man ist besorgt, daß durch eine neue Verfügung alle Kinder, die italienische Kindergärten besuchen (und besuchen müssen), als Kinder italienischer Muttersprache angesehen werden, wodurch ihnen der Weg zur deutschen Schule abgeschnitten würde.

Die neue Haltung der italienischen Regierung gegenüber den Südtirolern, nach außen hin die Entnationalisierung zu verdunkeln, nach innen aber noch energischer als bisher weiterzutreiben, wurde dann auch in allen Kundgebungen der Südtiroler Volkspartei, sowohl im offenen Brief des Abgeordneten Dr. von Guggenberg an den Ministerpräsidenten Segni als auch in der Kundgebung der Vollversammlung der Südtiroler Volkspartei vom März 1956 und wohl am prägnantesten in der klaren Rede des Bozener Stadt-Abgeordneten Dr. Fritz E g g e r vor dem Bozener Gemeinderat, klargestellt.

Interessanterweise reagieren nicht nur die Neofaschisten durch ihr Sprachrohr, den Abgeordneten Mitolo, sondern auch die Kommunisten und auch andere, so der durch seinen Roman und Film weitbekannte Schriftsteller Giovanni Guareschi, auf jede Regung der Südtiroler Volksgruppen immer heftiger.

Dr. Egger wies darauf hin, daß durch die bis vor kurzem verweigerte Anerkennung der Studientitel eine Leere, vor allem in den Lehrpersonen, entstanden ist, so daß es fast unmöglich wird, die deutschen Mittelschulen mit deutschen Lehrkräften zu besetzen; er erklärte wörtlich:

„Es klingt wie ein Scherz, daß zum Beispiel in den ersten Klassen der deutschen Mittelschule in Bozen der Mathematikunterricht von einem Jus-Studenten im vierten Semester erteilt wird. Die Mittelschule in Schlanders kann nicht eröffnet, werden, weil keine Professoren vorhanden sind. Die deutsche Minderheit in Dänemark bezieht auf Grund des Kulturabkommens alle fehlenden deutschen Professoren aus Deutschland. Der Nachteil, den unsere Volksgruppe durch den Mangel der geistigen Bildung der italienischen Volksgruppe gegenüber erleidet, ist nicht auszudenken. Es erscheint für unser Volk geradezu demütigend, wenn wir rRit 30.000 deutschen Schulkindern gegenüber 13.000 Schulkindern italienischer Zunge nicht einmal einen eigenen Schulamtsleiter für unsere Schulen besitzen, sondern nur einen Stellvertreter, welcher rechtlich gar nicht existiert, sondern nur faktisch und ohne die geringste Kompetenz seine Tätigkeit ausübt.“

Unter dem Druck der Verhältnisse, nicht zuletzt auf die Vorstellungen der österreichischen Regierung hin, hat man sich nun oben doch zu einer Geste bemüßigt gefühlt und im italienischen Amtsanzeiger vom 10.'Februar 1956 das Dekret des Unterrichtsministeriums vom 20. Jänner 1956 veröffentlicht, das die Abmachungen des Sachverständigenausschusses bezüglich der Anerkennung der ausländischen Studientitel enthält. Es handelt sich um 21 akademische Titel, die nun auch in Italien anerkannt werden, und zwar: Doktor der gesamten Medizin; aus Doktor der Philosophie: Chemie, technische Chemie (Dipl.-Ing.), Physik, Geophysik, Mathematik, Astronomie, Mineralogie, Petralogie, Botanik, Zoologie, Anthropologie, Geschichte, Naturwissenschaften, Geologie, Paleonthologie, . Geographie; ferner: Diplomingenieur für .Maschinenbau, Elektrotechnik, Schiffbau, Schiffsmaschinenbau, Flugzeugbau, technische Chemie, Bauingenieurwesen, Berg- und Hüttenwesen, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Diplomarchitekt, Diplomtierarzt, Doktor der Pharmazie bzw. Doktor für pharmazeutische Chemie und Pharmacognosie.

Die italienische Regierung scheint dabei von dem Grundsatze ausgegangen zu sein, daß die akademischen Titel ruhig anerkannt werden können, wenn den deutschen Klein- und Kleinstkindern der Besuch eines deutschen Kindergartens unmöglich gemacht und durch die italienische Erziehung in den italienischen Kindergärten ein Besuch der deutschen Volksschule und in der Folge auch der deutschen Mittelschule und Universität langsam, aber sicher abgewürgt wird.

So hat die österreichische Regierung durch die Anerkennung der oben angeführten deutschen Studientitel zwar einen Erfolg errungen; dieser Erfolg wird aber durch das Verbot der deutschen Kindergärten illusorisch.

Daß im Bundeskanzleramt in Wien eine eigene Abteilung für die Ueberwachung des Gruber-De-Gasperi-Abkommens geschaffen werden soll, ist sehr zu begrüßen. Wichtig ist aber auch, daß die richtigen Leute hineinkommen, die nicht nur eine oberflächliche Kenntnis des Volkslebens in Südtirol haben, sondern mitten im Volksleben selbst stehen und daher in der Lage sind, die tatsächlichen Mängel bei der Durchführung dieses so gut gemeinten Abkommens aufzudecken und Abhilfe zu schaffen.

Einer der größten Rufer im Streit um das deutsche Südtirol, der jüngst verstorbene Kanonikus Gamper, hat einmal das Wort vom Todesmarsch der Deutschen in Südtirol geprägt. Wenn es bis heute noch nicht so weit gekommen ist, so nur deswegen, weil eben dieses Abkommen besteht und weil dieses Abkommen einen Teil des Friedensvertrages zwischen Italien und den Alliierten bildet. Es ist nun Aufgabe dieser Kommissionen, dem Abkommen auch weiterhin, und zwar im verstärkten Maße, Anerkennung zu verschaffen.

Niemand könnte die Lage deutlicher als der bereits genannte neofaschistische Abgeordnete Mitolo bezeichnen. Mitolo verlangte nichts mehr und nichts weniger als die Außerkraftsetzung dieses Abkommens, das nur „unter Zwang“ entstanden sei und die italienische Entwicklung in Südtirol nur hemme. Seine Rede wurde prompt im Rundfunk verbreitet ...

Diesen Absichten entgegenzuwirken ist Pflicht nicht nur der Deutschen in Südtirol, sondern vor allem der Signatarmächte des Friedensvertrages und auch Oesterreichs, da ja das Abkommen zwischen Oesterreich und Italien geschlossen wurde und beide Staaten sich zur Einhaltung desselben verpflichtet haben.

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