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Südtirol: Nicht alles verloren

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Der spektakuläre Abbruch der österreichisch-italienischen Südtirolverhandlungen in Mailand, die Dynamitanschläge gegen den „Aluminiumduce“ von Waidbruck und das Geburtshaus des verstorbenen Italianisierungsheroen und Geschichtsfälschers Tolomei in Gien bei Bozen, die lautstarken Demonstrationen in italienischen Städten, bei denen Halbwüchsige faschistische Hymnen singen und lächerlicherweise den Krieg gegen Österreich verlangen — all dies hat in letzter Zeit die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wieder auf die Südtirolfrage gerichtet, dabei jedoch vielfach die Proportionen verzerrt und das ganze Problem in ein schiefes Licht gerückt. Die Südtirolfrage ist weder Stoff für ein verspätetes Andreas-Hofer-Drama noch für eine ebensowenig zeitgemäße Garibaldi-Moritat. Sie ist einfach eine kleine, schwärende Wunde am Körper Europas, die sich freilich immer mehr zu einem bösartigen Abszeß wandelt, dem nur noch mit dem Chirurgenmesser beizukommen sein wird, wenn die Ärzte noch länger am Krankenbett streiten.

Schon über die Diagnose besteht keine Einigkeit. Der Doktor Segni aus Rom glaubt eine leichte juristische Komplikation feststellen zu können,

Steinerne Zeugen des Faschismus

der er mit einigen einfachen Rezepten beizukommen sucht, der Doktor Kreisky aus Wien liest jedoch aus dem Krankheitsbild ein tiefersitzendes politisches Übel heraus, dessen Fortschreiten zu einem akuten Anfall von Selbstbestimmungsverlangen nur mit der kräftigen Medizin der vollen und uneingeschränkten Autonomie zu verhindern ist. Selten, wahrscheinlich nie in der Geschichte der neueren Diplomatie, ist ein Kommunique schonungsloser und ehrlicher gewesen als das über die Mailänder Verhandlungen des italienischen und des österreichischen Außenministers, in dem das Wort von der „Unvereinbarkeit der derzeitigen Standpunkte" vorkam.

Mailand mußte scheitern

Von allem Anfang an war es klar gewesen, daß die Mailänder Verhandlungen mit einem völligen Fehlschlag enden mußten, wenn nicht eine der beiden Parteien ihre Auffassung von Grund auf zu ändern bereit war. Dies wurde jedoch von niemandem erwartet. Zu tief ist jetzt schon das Mißtrauen zwischen Rom und Wien verankert, als daß es sich in ein paar Stunden auflösen ließe. Während die Österreicher, gestützt auf die Erfahrungen der faschistischen Zeit und angesichts der fortgesetzten italienischen Zuwanderung auch nach 1946, hinter jedem italienischen Schritt das Endziel der Italianisierung Südtirols sehen, zweifeln die Italiener an der Aufrichtigkeit des österreichischen Autonomieverlangens und erblicken darin nur eine Vorstufe zu der Forderung nach Selbstbestimmung, die angesichts des einhelligen Willens der Südtiroler mit dem Anschluß des Landes an Österreich gleichbedeutend wäre. Unter solchen Voraussetzungen verhandelt es sich nicht gut.

So hatte keine der beiden Delegationen, allem aus diplomatischer Courtoisie von den Delegationsführern zur Schau getragenen Optimismus zum Trotz, Interesse daran, ein Kompromiß zu finden; und da ohne Kompromiß im Augenblick eine Lösung nicht

denkbar ist, kann man auch sagen, daß keine der beiden Delegationen im Augenblick zu einer Lösung gelangen wollte. Es verlautet, daß Außenminister Segni sehr darüber erleichtert war, als er hörte, daß Österreich auf der Autonomieforderung beharrte; denn so konnte er kurzerhand ablehnen. Und es verlautet auch, daß Außenminister Kreisky Erleichterung darüber empfand, als die italienischen Vorschläge nicht den zwar unbefriedigenden, aber propagandistisch geschickten Ideen des Trentiner DC-Frak- tionsführers Keßler vom vergangenen Frühjahr entsprachen, sondern sich in vier unbedeutenden und nicht einmal näher erklärten Konzessionen erschöpften; denn so konnte auch er ablehnen, ohne vor der Weltöffentlichkeit den Eindruck unangebrachter Intransigenz zu erwecken.

Dem Vorgehen der Italiener, die nach dem Satz „Friß, Vogel, oder stirb" den Österreichern vier Brocken hinwarfen, über die sie sich erst näher auslassen wollten, sobald Österreich erklärt habe, daß mit ihrer Verwirklichung die Südtirolfrage endgültig bereinigt sei, setzte er einen österreichischen Fünfpunktevorschlag entgegen — und sehr folgerichtig lehnte Segni es ab, diesen Vorschlag in schriftlicher

Photo: Otto Swoboda Ausfertigung entgegenzunehmen. Er hätte ja sonst am Ende über ihn diskutieren müssen. Dann versuchten beide Teile, einander die Verantwortung für den Mißerfolg zuzuschieben und diskutierten sieben Stunden lang über das Kommunique. Den Sieg in dieser nervenzermürbenden Sitzung trugen schließlich die Österreicher davon, und Kreisky konnte noch im Nachstoß, mit seiner Ankündigung einer Einladung zu weiteren Verhandlungen auf österreichischem Boden, einen Erfolg buchen, der Österreich sicherlich zugute kommen wird, falls die Südtirolfrage heuer im Herbst neuerlich auf die Tagesordnung der Vereinten Nationen kommen sollte.

Lösungen sind möglich

Der Lösung der Südtirolfrage aber ist man um keinen Schritt nähergekommen. Im Gegenteil: geballte Ladungen explodieren zwischen Brenner und Salurn, die italienische Polizei durchsuchte stundenlang, aber ergebnislos die Villa Brigl, den Bozener Sitz der Südtiroler Volkspartei, wahllos ' werden nach Verdächtigenlisten aus der faschistischen Zeit Verhaftungen vorgenommen, und in der römischen Kammer warnte der Monarchist Co- velli vor dem Beispiel der Sudetendeutschen, die auch zuerst die Autonomie verlangt und dann ihren Anschluß an Ostpreußen (!) erklärt hätten.

Ist aber die Südtirolfrage wirklich unlösbar? Außenminister Kreisky zeigt, wie man hört, auch in privatem Gespräch einen bemerkenswerten Optimismus, der bei vielen seinen Freunden Verwunderung ausgelöst hat. Dennoch aber könnte er recht haben.

Das Italien, das vor der österreichischen Botschaft in Rom drohend „A Vienna! A Vienna!" rief, ist ja glücklicherweise nicht das einzige Italien. Allerdings ist zweifellos der Faschismus in Italien heute eine größere Gefahr als der Nationalsozialismus in der Deutschen Bundesrepublik oder in Österreich: das hängt mit der zurückgebliebenen Sozialstruktur

des Landes zusammen, die zahlreiche arme Teufel veranlaßt hat, zunächst bei den Faschisten, seit deren Zusammenbruch aber bei den Kommunisten Schutz und Hilfe zu suchen. Sie bilden ein immenses Reservoir für jeden Abenteurer von der links- oder rechtsextremen Seite, gleichgültig, ob sie eben ihre Stimmen gerade den Kommunisten oder den Faschisten geben. Glücklicherweise beginnen aber auch Kreise in den demokratischen Parteien zu begreifen, daß man in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht mehr nach den Vorstellungen der Jahrhundertwende regieren kann. Der linke Flügel der Democrazia Cristiana treibt zu einer Reform der Sozialstruktur; und wie auch immer man zu der Idee einer „apertura a sinistra“ stehen mag — sie birgt angesichts der klassenkämpferisch - marxistischen Grundhaltung der bisher noch immer mit den Kommunisten verbundenen Nenni-Partei zahllose tödliche Gefahren —, so muß man doch anerkennen, daß ihre Verfechter (unter ihnen, wenn auch im Augenblick nicht ganz offen, Ministerpräsident Fanfani und DC-Parteisekretär Moro) sie in gutem Glauben anstreben: Sie wollen einfach das Terrain für eine gleichzeitig demokratische und soziale Politik erweitern.

Die gleichen Kreise, die der sozialen Verantwortung der Zeit gegenüber aufgeschlossen sind, zeigen auch das größte Verständnis für die Südtirolfrage. Es mag für die DC beschämend sein, daß während der jüngsten Debatten im Parlament der alte sozialistische Senator Lussu am großzügigsten dem Standpunkt der Österreicher und der Südtiroler entgegenkam; aber es hieße ihr unrecht tun, wollte man

behaupten, daß ihr jedes Verständnis mangelt. Geht in Österreich der Optimismus von der Regierung und im besonderen von Bundeskanzler Ing. Raab und Außenminister Dr. Kreisky aus, während sich die führenden Parteipolitiker auf der schwarzen wie auf der roten Seite eher pessimistisch zeigen, ist es in Italien gerade umgekehrt: Dem Pessimismus, der im Quirinal und im Palazzo Farnesina herrscht, stellen sich die jungen Funktionäre der Democrazia Cristiana entgegen, Just während der größten Wirbel in der italienischen Hauptstadt verabschiedeten die Studenten der Universität Rom über Drängen der DC-Studenten und gegen die Stimmen der Neofaschisten eine Resolution, in welcher der Extremismus beider Seiten verurteilt wird. Manchmal kann man im Gespräch mit Funktionären dieser Gruppe eine Haltung treffen, gemischt aus Besorgnis und Augenzwinkern: Laßt nur, wenn wir erst können !

Blick nach Klagenfurt

Wann aber werden sie können? Im Augenblick können sie zweifellos nicht. Fanfani, sicherlich kein Ultranationalist, beging sogar die Geschmacklosigkeit, das Protesttelegramm Magnagos gegen die Hausdurchsuchung in der Villa Brigl mit einer Depesche zu beantworten, in der die SVP aufgefordert wurde, sich lieber den Protesten gegen die Zerstörung der Reiterstatue von Waidbruck anzuschließen — als ob es um dieses faschistische und obendrein künstlerisch wertlose Denkmal ginge, das jetzt auf Staatskosten wiederaufgerichtet wird, und nicht um Leben, Art und Freiheit der Südtiroler! Deutlicher als mancher andere Hinweis zeugt die Depesche Fanfanis jedoch für die ständige Angst des linken DC-Flügels, sich vor dem rechten Flügel gerade in der Südtirolfrage zu

kompromittieren. Wer weiß, ob nicht der ehemalige Ministerpräsident Tam- broni, der immer offener auf die Schaffung einer eigenen Rechtspartei zusteuert, just die Südtirolfrage zum Anlaß nehmen könnte, die Partei zu spalten?

Ob solche Besorgnisse berechtigt sind oder nicht, soll hier nicht untersucht werden. Aber es müßte von zuständiger Stelle in Österreich einmal klargestellt werden, daß die DC nicht immer von Österreich und den Südtirolern erwarten kann, daß sie auf ihre prekäre Lage Rücksicht nehmen. Gut, man hat in Mailand die Autonomie nicht geben wollen oder können, um die eigene Stellung nicht zu gefährden! Wird man sie aber wenigstens in, wie neuerdings erwogen wird, Klagenfurt geben? Auf diese Frage muß sich das Gespräch beschränken, wenn es sinnvoll sein soll.

Österreich wird sicherlich bereit sein, den Italienern in Einzelfragen entgegenzukommen; ob das autonome Gebilde, das geschaffen werden soll, Provinz oder Region heißt, kann Wien gleichgültig sein, so lange es nur genügend verbriefte Rechte hat. Aber es ist für Wien angesichts der Stimmung in Südtirol ausgeschlossen, in der Sache selbst Konzessionen zu machen. Südtirol braucht die Autonomie — und wenn man das in Rom nicht rechtzeitig einsieht oder aus parteitaktischen Gründen nicht rechtzeitig zugibt, dann wird man sich eines Tages dem Selbstbestimmungsverlangen der Südtiroler gegenübersehen, das dann von Österreich aus kaum noch zu bremsen sein dürfte. Schon bei der für Ende des Monats in Bozen angesetzten Landesversammlung der Südtiroler Volkspartei wird es die Parteiführung noch schwerer als im Vorjahr haben, sich dem von unten kommenden Verlangen nach Selbstbestimmung zu widersetzen — wenn es ihr überhaupt noch gelingt

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