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Civilt Italo-Cattolica?

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Die römische Halbmonatsschrift „La Civiltä Cattolica“, in deren Spalten nur Angehörige der Gesellschaft Jesu zu Wort kommen, bringt in jeder Nummer ausführliche Chroniken, die immer in drei Abschnitte — „Heiliger Stuhl“, „Italien“ und „Ausland“ — unterteilt sind. Im Abschnitt „Italien“ befaßt sich eine der letzten Nummern (Anno 109, Vol. I., Quaderno 25 81) wieder einmal mit den Ereignissen in Südtirol (Nr. 8, Seite 99). Ton und Inhalt der Stellungnahme sind derart, daß es am besten ist, die Zeitschrift selbst zu Wort kommen zu lassen:

Im vom Minister Togni verkündeten sozialen Wohnbauprogramm hätten die „Agitatoren“ der Südtiroler Volkspartei einen neuen Angriff gegen das De-Gasperi-Gruber- (der österreichische Politiker wird in dieser Zeitschrift beharrlich Grüber genannt) Abkommen entdeckt, der das Antlitz Südtirols zum Schaden der deutschsprachigen Bevölkerung verändern sollte. Obwohl die „Irredentisten“ gegen diese offenkundig soziale Maßnahme nichts vorbringen konnten, hätten sie trotzdem am 17. November vergangenen Jahres eine große Kundgebung veranstaltet, wobei neuerlich in scharfen Tönen gegen die Nichterfüllung des De-Gasperi-Gruber-Abkommens protestiert worden wäre. Der Redner, Dr. Magnago, hätte alle von den „Irredentisten“ gerne gehörten Forderungen, wie Einräumung der Autonomie für die Provinz Bozen, prozentuelle Berücksichtigung der Südtiroler bei der Vergebung der Beamtenstellen usw., behandelt, aber ebenso hätte er, in Erfüllung seiner den italienischen Behörden gegebenen Versicherung, die Teilnehmer an der Kundgebung von einem Marsch nach Bozen abgehalten. Trotzdem seien aber Plakate mit gehässigen Aufschriften bei der Kundgebung umhergetragen worden. Auch das bekannte Flugblatt gegen die italienische Besetzung Südtirols, von dem sich die Südtiroler Volkspartei distanziert hatte, wird zitiert. (Die faschistischen Ausschreitungen in Bozen werden dagegen mit keinem Wort erwähnt.) Nachdem man den Haß auf diese aufgepeitscht hätte, sei es kein Wunder gewesen, daß es in vulgären Gemütern (animi volgari) zu einer Explosion gekommen sei; das Resultat war die Sprengung des Grabmals Ettore Tolomeis. Dieser chauvinistische Politiker wird von der „Civiltä Cattolica“ als „Bannerträger der Italia-nität“ Südtirols gefeiert. Die „Civiltä Cattolica“ zitiert auch die faschistenfreundliche römische Tageszeitung „II Tempo“ vom 26. November 1957 und erklärt, daß Tolomei in den Augen der Südtiroler schuldig sei, die Italianität des Landes historisch bewiesen zu haben. Die Tatsache, daß nach der Einverleibung des Gebietes der Republik Venedig durch Oesterreich (es wird nicht gesagt, ob 1795 nach dem Frieden von Campo Formio oder 1815 nach dem Wiener Kongreß) Bürger des „Alto-Adige“ die Eingliederung dieses Landstriches in die venezianischen Gebiete der k. k. Regierung erbeten hatten, sowie daß noch im Jahre 1870 die italienische Amtssprache für alle notariellen Stipulationen gegolten hat, beweise, daß der Anspruch Italiens auf Südtirol nicht nur auf dem Recht des Siegers gegenüber dem Besiegten beruhe, sondern daß er sich mit einer gar nicht so lange zurückliegenden Geschichte verbinde. Die „Civiltä Cattolica“ kommentiert diese historischen Kavalkaden des „Tempo“ mit der Behauptung, daß die Südtiroler „Irredentisten“ von heute anscheinend eine Rückkehr zur Gestalt Südtirols vor dem keineswegs prähistorischen Datum von 1870 befürchten. (Weder Tolomei noch „II Tempo“ noch „La Civiltä Cattolica“ scheinen bemerkt zu haben, daß die angeführten Einzelheiten bestenfalls ein gewichtiges Kompliment für die tolerante Nationalitätenpolitik Altösterreichs sind, deren Nachahmung nur wärmstens empfohlen werden kann!)

In sachlicher Forrri berichtet dann die „Civiltä Cattolica“ über die Stellungnahme Außenminister Figls zu den Geschehnissen in Südtirol am 4. Dezember 1957. Den Wunsch Oesterreichs aber, den Pariser Vertrag erfüllt zu sehen, kommentiert die römische Zeitschrift mit dem Bemerken, daß die Verträge von der italienischen Souveränität in Südtirol sprechen, diese sei jedoch mit den in Siegmundskron erhobenen Forderungen nicht in Einklang zu bringen. In einem weiteren Abschnitt befaßt sich die „Civiltä Cattolica“ mit den slowenischen und kroatischen Minderheiten in Oesterreich, wobei sie einen Bericht der christlich-demokratischen Parteizeitung „II Popolo“ vom 19. November 1957 zitiert. Hier wird die Politik der österreichischen Regierung gegenüber den „jugoslawischen“ Minderheiten in sehr ungünstigem Licht geschildert. Diese Minderheiten haben in der „Civiltä Cattolica“ einen eifrigen Fürsprecher. Schon im ersten Band des vorigen Jahrganges (Anno 108, Vol. I., Quaderno 2561) liest man auf Seite 558 in einer Polemik gegen Staatssekretär Gschnitzer, daß die slowenischen und kroatischen Minderheiten Thüringens (sie!), des Burgenlandes und der Steiermark (Kärnten wird nicht erwähnt) die Großmächte um Hilfe anrufen müssen, da Oesterreich sich weigere, den Artikel 8 des Staatsvertrages zu erfüllen. „La Civiltä Cattolica“ bezog diese Nachricht von der neofaschistischen Agentur Nuova Stefani vom 5. Februar 1957. Obwohl der besagte Band der Zeitschrift auf Seite 680 eine Rubrik „errata corrige“ enthält, wird Thüringen ruhig bei Oesterreich belassen, zu dem es allerdings nicht einmal zur Zeit Karls V. gehört hatte. Vielleicht ist eine ähnliche historische Genauigkeit bei allen Zitaten Tolomeis zu vermuten. Dieser wird allerdings von allen italienischen Historikern sehr nüchtern beurteilt; selbst Carlo Battisti, ein glühender Verfechter der „Italianitä dellAlto Adige“, schätzt Tolomei wohl als Patrioten, aber über seine „wissenschaftlichen“ Methoden äußert er sich mit größter Zurückhaltung. Gaetano Salvemini findet für Tolomei folgende Worte: ..Der Mann, der die raffiniertesten Methoden, aussann, um die nationalen Minderheiten in Italien zu quälen, war Ettore Tolomei. Seine Bewunderer schreiben ihm das Verdienst zu, das Alto Adige' geschaffen zu haben. Diesen Ruhm hat er ohne Vorbehalt angenommen. Bevor er nicht ein von Italienern bewohntes Alto Adige' ins Leben gerufen hatte, war von niemandem bemerkt worden, daß ein solches überhaupt bestand ...“ (vgl. Gaetano Salvemini, „Mussolini Diplomatico“, Appendice B, Seite 439, Bari, Laterza 1952).

Salvemini, der im vorigen Jahr verstorbene Nestor der italienischen Antiklerikalen, ist sicherlich eine in den Ohren der ..Civiltä Cattolica“ sehr ungern gehörte Quelle. Leider muß aber gesagt werden, daß eine objektive Beurteilung des Südtiroler Problems in Italien nur im Lager der intellektuellen Linken zu finden ist. Diese Tatsache bringt uns schon zum Kern des Problems: Wie ist es möglich, daß eine katholische Zeitschrift in der Frage sprachlicher Minderheiten eine so nationalistische Haltung einnimmt? Gewisse römische Kreise fürchten nichts mehr als eine Linksorientierung der italienischen Regierungspartei und sehen das Heil der katholischen Sache in einer engen Zusammenarbeit mit den „nationalen Kräften“, Monarchisten und Neofaschisten. Die Stellung der „Civiltä Cattolica“ gegenüber Südtirol soll vielleicht eine solche Entente vorbereiten. Wird diese Rechnung nicht fehlgehen? Sicherlich! Eine italienische Rechtsregierung würde in treuer Befolgung der seit Salandra vorgezeichneten Bahnen gegenüber den NATO-Mächten eine „würdige“ Haltung einnehmen. So wie zu des Dreibundes Zeiten Italien mit Frankreich „einen Walzer tanzte“ (Besuch des französischen Staatspräsidenten Loubet im Jahre 1904), so würde eine heutige „nationale Regierung“ Italiens vielleicht mit Chruschtschow einen Rock and Roll durch den Palazzo Chigi drehen. Die darauffolgende angelsächsische Empörung wäre vielleicht die einzige Hoffnung für eine Aenderung der Weltmeinung gegenüber der Frage Südtirol. „Civiltä Cattolica“ vertritt natürlich nicht die offizielle Meinung der Gesellschaft Jesu, noch weniger des Heiligen Stuhles, sie hat keinen „amtlichen“ Charakter, jedoch was „dem Amte“ nicht genehm wäre, würde nicht darin geschrieben werden. Die österreichische Diplomatie wäre daher ohne weiteres berechtigt, gewisse diskrete Vorstellungen zu erheben.

Wären die Südtiroler Freimaurer und linksstehende Intellektuelle, hätte man sie wahrscheinlich nie gegen ihren Willen zu Italien geschlagen und man würde auch nicht versuchen, sie zu entnationalisieren. Um so betrüblicher ist es, daß eine katholische Zeitschrift dem katholischen Bergvolk so voreingenommen gegenübertritt. Auffallend ist es, daß die „Civiltä Cattolica“ in ihren Notizen über Südtirol so oft faschistische oder faschistenfreundliche Periodica zitiert. In den ersten Jahrzehnten nach ihrer Gründung im Jahre 1849 war die „Civiltä Cattolica“ das publizistische Schwert des Heiligen Stuhles gegen den freimaurerisch-chauvinistischen italienischen Nationalstaat. Nur ein Angehöriger der Redaktion, Pater Curci, wurde ein Anhänger des Nationalstaatsgedankens und schied in Unfrieden von seinem Orden. Heute scheint der Geist Pater Curcis den Verfasser der Chroniken über Südtirol zu beherrschen.

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