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Südtirol sieht seine Grenzen

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Nach vielen Monaten, in denen immer wieder die angebliche Unausweichlichkeit einer ethnischen Zuspitzung an die Wand gemalt worden war, scheint sich Südtirol in den letzten Wochen des abgelaufenen Jahres unter einer tiefen Schneedecke zu einem beruhigenden politischen Winterschlaf zurückgezogen zu haben.

Das Jahr 1981 war zunächst von Sorgen überschattet: Die längst fällige Autonomie-Vollendung war festgefahren. Der Umgangston vieler Lokalpolitiker der beiden Sprachgruppen wurde gereizter. Manche Südtiroler wurden unduldsamer gegenüber den Italienern, manche Italiener allergischer gegen den vom Autonomiestatut vorgesehenen Entzug ihrer früheren Privilegien.

Für vieles, was auch woanders den Bürgern über die Leber läuft, wurde in Südtirol zunehmend jeweils die andere Volksgruppe haftbar gemacht. Das galt z.B. für die Stagnation des persönlichen Wohlstandes. Der schärfere Wind, der durch die Weltwirtschaft wehte, war, zur Brise abgeschwächt, auch in Südtirol zu spüren.

Belastet wurde die Atmosphäre auch von den Versuchen der Ewiggestrigen beider Zungen, die Bevölkerung durch kleine Terrorakte für die jeweilige „nationale"

Sache zu mobilisieren. Unfreiwillige Schützenhilfe erhielten die Nationalisten beider Lager von einer neulinken Kampagne gegen die Volkszählung und damit gegen den Proporz, einen der Grundpfeiler der Südtirol-Autonomie.

Im distanzierten Rückblick läßt sich allerdings vieles relativieren, was Südtirol im Laufe des Jahres vor allem in Italien Schlagzeilen machen ließ wie schon seit Jahren nicht mehr. Seit der Volkszählung Ende Oktober ist ein merkliches und sicher nicht ungesundes Absinken der zuvor recht hohen politischen Temperatur zu verzeichnen.

Die Landesversammlung der Südtiroler Volkspartei Ende November setzte deutliche Zeichen in Richtung auf Realismus und Mäßigung der Worte. Der langjährige Parteiführer und Landeshauptmann Silvius Magnago zog erstmals öffentlich einen klaren Trennungsstrich zu den Randgruppen, die noch immer mit dem Feuer (sprich: separatistische Utopien) spielen — und wurde mit 93 Prozent der Delegiertenstimmen im höchsten Amt der beherrsehenden Südtiroler Partei bestätigt.

Die deutliche Absage an die Extremisten war wohl auch strategisch an der Zeit: In Rom hatte eine Parlamentsdebatte Anfang Oktober gezeigt, daß auch ein so wohlwollender Ministerpräsident wie Giovanni Spadolini bestimmte Grenzen im Entgegenkommen gegenüber den Südtirolern nicht überschreiten kann.

Jetzt, da eine überwältigende SVP-Mehrheit sich mit Magnago von den separatistischen Träumern distanziert hat, erscheint eine friedliche und befriedigende Beilegung der Südtirol-Problematik in Sichtweite.

Rom ist nun am Zug. Die beiden wichtigsten noch abzuhandelnden Streitfragen aus dem Autonomiestatut, die Gleichstellung der deutschen Sprache bei Gericht und Polizei sowie die Errichtung eines autonomen Verwaltungsgerichtshofes, müßten sich 1982 mit sachbetonter Kompromißbereitschaft einvernehmlich regeln lassen — auch wenn die italienische Regierung ganz andere Sorgen hat als die letzten autonomisti-schen Einzelheiten ihrer nördlichsten Provinz.

Einen Faktor der Südtirol-Politik, der sich im abgelaufenen Jahr verstärkt bemerkbar machte, wird man auch in Zukunft in Rechnung stellen müssen. Es handelt sich um die Stimmung unter den im Lande lebenden Italienern. In vielen von der italienischen Presse hochgespielten Klagen kann man einen gewissen Hang zum „vittimismo", zu übertriebenem Selbstmitleid, erkennen.

Aber man sollte diesem noch eher diffusen Unbehagen breiter italienischer Kreise in Südtirol keine unnötigen Anhaltspunkte bieten. Mit Fingerspitzengefühl sichert man die Substanz der Autonomie am besten. Sie wird nur dann dauerhaft funktionieren, wenn auch den Italienern die Vorteile der weitgehenden Selbstverwaltung Südtirols einleuchten.

Nicht nur in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht wächst in Südtirol die Einsicht, daß sich Großspurigkeit auf Dauer nicht bezahlt macht. Eine positive Rückbesinnung auf die eigene Begrenztheit, auf eine Südtiroler Identität, ist auch im Bereich der Kultur sowie des Umweltbewußtseins zu spüren.

Die diesbezüglichen Aufgaben und Möglichkeiten im alpinen Kleinraum sind nicht mit jenen in der Großstadt zu vergleichen. Sie sind anders. Minderwertigkeitsoder Angstgefühle sind also ebensowenig am Platz wie Aggression und Größenwahn. Hier wie dort wächst die Erkenntnis, daß Südtirol nicht das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist — und daß das auch seine guten Seiten hat.

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