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„Wir leben von der Angst...“

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FURCHE: Südtirol hatte bei den Europawahlen eine Wahlbeteiligung von über 90 Prozent, ganz Italien 86 Prozent. Damit ist Italien unter den Großen der EG das Land mit der höchsten Wahlbeteiligung. Haben Sie eine Erklärung dafür?

MAGNAGO: Wir haben eine so große Wahlbeteiligung bei den Europawahlen nicht erwartet, weder in Südtirol noch in Italien: Sie schlägt alle Rekorde in Europa. Abgesehen davon, daß Südtirol immer eine sehr hohe Wahlbeteiligung hatte, glaube ich, daß sich die Italiener eine wirtschaftliche Hilfe von Europa erwarten, damit die schwerwiegende Krise in diesem zerwühlten Staat überwunden werden kann. Sie haben sich gesagt: „Wenn wir bei diesen Wahlen wenig Interesse zeigen, dann wird Europa auch wenig Interesse für unsere Situation haben.“

FURCHE: Also weniger europäische Gesinnung, sondern vielmehr Selbstzweck...

MAGNAGO: Ich möchte den Italienern eine europäische Gesinnung nicht abstreiten, aber es war so, daß es durch die hohe Wahlbeteiligung zu beweisen galt, daß der Italiener an Europa interessiert ist, weil er sich von diesem Europa Hilfe erwartet. Und die moralische Berechtigung für diese Hilfe ist doch mehr gegeben, wenn man sich an diesen Wahlen sehr stark beteiligt.

FURCHE: Die Südtiroler leben ja im Vergleich zum restlichen Italien unter besseren wirtschaftlichen Bedingungen, Arbeitslosigkeit ist hier kaum vorhanden. Warum haben dann sogar hier 90 Prozent der Bevölkerung an den Wahlen teilgenommen?

MAGNAGO: Die Wahlbeteiligung Südtirols läßt sich weniger aus rein ökonomischen Gründen erklären. Man hofft, daß durch die Wahlen die Grenzen in Europa verschwinden beziehungsweise immer durchsichtiger werden. Die Südtiroler hoffen, die Grenzen zu überleben und nicht umgekehrt.

FURCHE: Was versprechen sich konkret die Südtiroler von diesen Wahlen?

MAGNAGO: Wir wissen alle, daß die Zuständigkeiten des Europäischen Parlaments gering und nicht von großer Bedeutung sind. Wir erhoffen uns aber, daß diese langsam heranreifen werden, so daß das Europaparlament wenigstens in einigen Jahren mit mehr Zuständigkeit ausgestattet sein wird.

Unabhängig davon genügt der Umstand, daß wir einen Vertreter der Südtiroler Volkspartei in der europäischen christlich-demokratischen Fraktion haben, der im gegebenen Fall auf Südtiroler Probleme aufmerksam machen kann. Wir wollen im Europaparlament auch menschliche Kontakte pflegen und dadurch Sympathien für Südtiroi bekommen. Das ist für uns zunächst schon genug.

FURCHE: Ist das alles, was der SVP-Vertreter Joachim Dalsass erreichen wird können?

MAGNAGO: Dalsass wird dort Informationen über Südtirol vermitteln können. Denn es hat sich gezeigt, daß über Südtirol nicht alle in Europa -sogar Politiker an höchster Stelle -genügend informiert sind. Jetzt haben wir dort einen Anwalt für uns. Wir wissen ja heute nicht, wie sich die Situation in Italien entwickeln wird und ob wir morgen nicht einmal an die Solidarität der europäischen Völker oder deren Vertreter appellieren müssen.

Eine sprachliche Minderheit, wie wir sie sind, lebt ja von der Angst. Das liegt in der Psychologie der Minderheiten. Ein SVP-Vertreter würde -

wenn Not am Mann wäre - mit einem zarten Wink schon sehr wirken. Denn das Prestige möchte sich niemand verderben.

FURCHE: Sie sagen „wenn Not am Mann wäre“. Heißt das, daß Sie Probleme von italienischer Seite her auf Südtirol zukommen sehen?

MAGNAGO: Das Paket hat in einigen Punkten noch keine Erfüllung gefunden. Wenn sich die Durchführung der noch fehlenden Bestimmungen weiterhin schleppend hinausziehen sollte, werden wir uns in erster Linie an Österreich wenden. Aber wir behalten es uns auch vor, dieses Problem in die europäischen Gremien zu bringen. Das können wir immer tun. „Wenn Not am Mann wäre“ - wenn morgen in Italien eine Volksfront- oder diktaturnahe Regierung käme, müßten wir das Ärgste befürchten. Da müßte sich dann auch Europa einschalten.

FURCHEit Welche Paketmaßnahmen sind jetzt noch ausständig, welche davon ist die wichtigste?

MAGNAGO: Einige kleinere. Uber das Transportwesen, über die Errichtung eines Verwaltungsgerichtshofes in Südtirol, einige Budgetbestimmungen sowie Ergänzungen zu bereits in Kraft getretenen Maßnahmen. Die wichtigste ist jene, die die Gleichberechtigung der deutschen Sprache mit der italienischen zu regeln hat.

FURCHE: Es gibt also noch Schwierigkeiten bei der Gleichstellung der deutschen Sprache in Verwaltung, Gericht und Polizei?

MAGNAGO: Auf dem Papier ist die Gleichberechtigung da. De facto ist die Gleichstellung in Staatsämtern aber höchstens zu zwanzig Prozent gewährleistet.

FURCHE: Bei den Nationalratswahlen in Österreich am 6. Mai konnte die Sozialistische Partei ihre Mehrheit weiter ausbauen. Ist das für die SVP von Bedeutung?

MAGNAGO: Wir hatten keine Freude, daß die ÖVP bei den Wahlen schlecht abgeschnitten hat, das ist menschlich erklärbar. Das Ergebnis der Wahlen hat jedoch keinen Umstand auf die österreichische Politik gegenüber Südtirol. Die Südtirolpolitik Österreichs ist keine Frage der Politik einer Partei, sondern eine gesamtösterreichische Frage, die über der Parteipolitik zu stehen hat.

Menschlich gesehen, wären die Kontakte zu einer ÖVP-Regierung leichter, aber wir können nicht behaupten, daß sich die SPÖ-Regie-rung für die Belange Südtirols nicht interessiert hätte. Die SPÖ hat sich uns gegenüber immer korrekt verhalten.

FURCHE: Bei den letzten Landtagswahlen hat die SVP zu ihren 20 Mandaten von insgesamt 34 noch ein Mandat dazugewonnen. Ist die SVP nun an ihrem Zenit angelangt oder läßt sich diese starke Mehrheit noch ausbauen?

MAGNAGO: Es haben uns nur 136 Stimmen gefehlt, um ein weiteres Mandat zu gewinnen. Wir haben bei den Landtagswahlen 93 Prozent aller Stimmen der deutschsprachigen und ladinischen Wähler bekommen. Das sind über 61 Prozent aller Stimmen, also auch der italienischen Bevölkerung, die ein Drittel in Südtirol beträgt. Das Resultat ist also einmalig.

Dieses traumhafte Wahlergebnis ist nicht mehr leicht zu verbessern. Es geht nur, wenn die Zahl der Südtiroler Wähler gegenüber den Italienern noch steigt. Oder wir erhalten noch mehr italienische Stimmen.

FURCHE: Sie sind jetzt 65 Jahre alt. Stellt sich da nicht allmählich für die SVP. die Frage einer Nachfolge?

MAGNAGO: Die Nachfolgefrage ist in der SVP noch nie diskutiert worden - zumindest offiziell nicht. Das ist ein Fehler. Das ist Unterlassung einer Amtshandlung, möchte ich fast sagen. Man will offenbar heiße Eisen - solange es nicht unbedingt notwendig ist - nicht anfassen. Man sagt, es wird schon weitergehen mit dem Alten, mit dem Magnago.

Sehr lange kann sich's die SVP nicht mehr leisten, diese Frage aufzuschieben. Wenn es nach mir ginge, hätte ich bei den letzten Landtagswahlen nicht mehr kandidiert. Aber ich habe den Bitten meiner Anhänger nachgegeben und werde es auch in Zukunft tun, solange ich mich jedenfalls gesundheitlich auf der Höhe fühle. Mein äußeres Aussehen trügt etwas. Ich bin Gott sei Dank etwas zäher, als mein Aussehen vermitteln mag.

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