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Wer gehofft hat, die Selbstverwaltung würde auch ein Mehr an Bürgernähe und Demokratie auf lokaler Ebene bedeuten, wurde bitter enttäuscht. Eine kritische Stimme im Jubelchor zur Autonomie.

Es häufen sich in diesen Tagen die Feiern zum zehnjährigen Jahrestag der Streitbeilegungs-Erklärung zwischen Österreich und Italien betreffend das Südtirolproblem. Politiker aller Couleurs klopfen sich gegenseitig auf die Schultern und beglückwünschen sich zu diesem Erfolg, der als beispielgebend für Europa bezeichnet wird. Selbst die SPÖ, die seinerzeit entschieden das "Paket" abgelehnt hat, reiht sich unter die Festgäste.

Es ist sicherlich ein Erfolg, wenn ein Minderheitenproblem, das über Jahrzehnte hinweg auch mit Bomben Schlagzeilen gemacht hat, schließlich durch eine zwischenstaatliche Abmachung gelöst werden konnte. Allerdings müssen in einer objektiven Bilanz auch die negativen Aspekte der neuen Selbstverwaltung dargelegt werden. Diesbezügliche kritische Einwände werden in Südtirol meist mit der Feststellung abgetan: "Noch nie ist es uns so gut gegangen." Das stimmt, obwohl man hinzufügen muss, dass dieser materielle Wohlstand sehr ungleichmäßig verteilt ist und, dass derzeit nur die außerordentlichen Geldmittel, die Rom der Provinz Bozen zukommen lässt, die wachsenden gesellschaftlichen Probleme zudecken.

Die Südtiroler Sozialdemokraten haben immer wieder angemahnt, dass diese Autonomie keine kulturelle Dimension hat. Viele Bürger empfinden diese Autonomie nur als eine Reihe von verwaltungstechnischen Vorschriften und Regeln, die durchwegs einseitig und vor allem parteipolitisch angewandt werden. Das liegt daran, dass die Südtiroler Politiker, die im Namen der Südtiroler Volkspartei diese Autonomie verwalten, den gesamten Regierungsapparat in ihren Dienst gestellt haben. Sie berufen sich dabei auf ihren "nationalen Auftrag", immer wieder fordern sie unter Berufung auf einen nicht mehr bestehenden nationalen Notstand die parteipolitische Geschlossenheit der Südtiroler in der Südtiroler Volkspartei. Es ist klar, dass dieser permanente nationale Konfrontationskurs die Beziehungen zur italienischsprachigen Bevölkerung erschwert und langfristige gemeinsame Projekte unmöglich macht. Dabei wäre gerade die Schaffung eines gemeinsamen Modells des Zusammenlebens eine der zentralen Aufgaben der Autonomie.

Schlamperei war erträglicher

Wer gehofft hatte, dass die nunmehr verwirklichte Selbstverwaltung mehr Bürgernähe und mehr Demokratie auf lokaler Ebene bedeuten würde, ist heute bitter enttäuscht. Die frühere staatliche Verwaltung war selbst in ihrer Schlamperei weitaus erträglicher und großzügiger als die heutige "eigene" Administration. Wer früher manchmal über den staatlichen Zentralismus lästerte kommt heute aus dem Staunen nicht heraus. Überall im Lande wachsen neue Beamtenburgen empor, die immer neue "Dienste" beherbergen, die ein immer größeres Heer von Bürokraten benötigen. Das Landhaus in Bozen ist das alleinige Zentrum der Macht. Es ist geradezu symbolisch, dass Landeshauptmann Durnwalder täglich bereits um 6 Uhr morgens Bittsteller empfängt und dies als besonderes Zeichen seiner Regierungskunst bewertet wird.

Dafür werden die Rechte der anderen demokratischen Körperschaften, besonders der Gemeinden immer mehr eingeschränkt. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass gerade jene Partei, die vom Zentralstaat stets mehr Rechte für die ethnische Minderheit gefordert hat, nun ihrerseits die ethnischen und politischen Minderheiten im Lande ständig zu gängeln versucht.

Kleinkarierte Führungsschicht

Südtirols Selbstverwaltung braucht neue Ziele, neue Ideen um in einem europäischen Kontext zu bestehen. Statt dessen beharrt eine kleinkarierte Führungsschicht auf einem politischen Monopol, das nicht nur undemokratisch aber auch kontraproduktiv für das Land ist. Im Namen dieses Monopols werden Opponenten und kritische Intellektuelle bekämpft oder als Außenseiter abgestempelt. Das führt zu einer arroganten Selbstüberschätzung und zu einer zunehmenden geistigen Isolierung, die sich das Land auf die Dauer nicht leisten kann. Das Schicksal der Universität Bozen, die sich nicht entfalten kann, weil sie von den Politikern ständig bevormundet wird, ist dafür ein eklatanter Beweis.

Südtirol bietet heute dem aufmerksamen Beobachter ein sehr zwiespältiges Bild. Auf der einen Seite ist es das Land, das im Wohlstand lebt, das ein Fest nach dem anderen feiert, das vordergründig keine gesellschaftlichen Probleme hat und nach dem Motto "mir san mir" jede Kritik trotzig ignoriert. Auf der anderen Seite sehen wir eine Südtiroler Gesellschaft, die sich an nunmehr inhaltslose Symbole klammert, die jede geistige Auseinandersetzung meidet und das Fehlen von geistigen Werten durch einen egoistischen Materialismus ersetzt. Es ist kein Zufall, dass Südtirol die höchste Quote an Selbstmördern, besonders unter den jungen Menschen, in Italien aufweist. Erst die Entwicklung dieses Südtiroler Autonomiemodells in der Zukunft wird uns zeigen, ob die jetzigen Feiern und Lobgesänge wirklich gerechtfertigt waren.

Der Autor,

früherer Landtagsabgeordneter der

"Sozialen Fortschrittspartei

Südtirols" (SFP), ist Heraugeber der

"Südtiroler Nachrichten".

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