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Gegen Dekret und Statut

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In dem seinerzeitigen Abkommen Gruber-De Gasperi wurde den Staatsbürgern deutscher und italienischer Zunge auf vollkommen gleicher Basis das Recht der Muttersprache in den öffentlichen Verwaltungen, in den öffentlichen Urkunden und auch in der Ortsbenennung zugestanden.

Schon vorher, und zwar mit dem Gesetzdekret vom 22. Dezember 1945, Nr. 825, war in der Provinz Bozen die deutsche Muttersprache im Verkehr mit den politischen, Ver-waltungs- und Gerichtsbehörden zuerkannt worden. Es heißt dort:

„In den Gemeinden der Provinz können öffentliche Urkunden in deutscher Sprache errichtet werden, mit Ausnahme der Urteile und gerichtlichen Vorkehrungen und mit Ausnahme der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Register der Standesämter müssen jedoch in italienischer Sprache geführt sein, aber mit deutscher Uebersetzung.“

Der Artikel 85 des Regionalstatutes für die Region Südtirol-Trient betont ausdrücklich, daß der Gebrauch der deutschen Sprache im öffentlichen Leben der Region gesetzlich geschützt ist. Die Garantie des Gebrauches der deutschen Sprache bezieht sich auf das öffentliche Leben der Region; es ist daher der Gebrauch der deutschen Sprache nicht nur nach außenhin zwischen Amt und Bevölkerung, sondern auch nach innen zwischen den einzelnen Aemtern in Anwendung der Bestimmungen des Pariser Vertrages zugelassen. Umgekehrt ist die Behauptung, die italienische Sprache sei in der Region allein als Amtssprache anzuwenden und der Gebrauch der deutschen Sprache nur zuzulassen, falsch. Man will da jetzt in einer gewissen Spitzfindigkeit zwischen „Sprache des Amtes“ und „Amtssprache“ unterscheiden und damit die nachfolgenden Dekrete und Gesetze rechtfertigen, die entgegen dem ursprünglich eingeräumten, vollkommen gleichwertigen Gebrauch beider Sprachen erlassen wurden.

Diese ursprünglich klar gefaßte Gleichwertigkeit im Gebrauch der Sprachen drückt sich eindeutig im Artikel 2 des Regionalstatutes, im Artikel 6 der Verfassung, im Artikel 85 des Regionalstatutes und im Artikel 1 des Pariser Abkommens aus.

Demgegenüber sieht die Praxis allerdings anders aus. Schon am 6. Juni 1952 hat der Staatsrat ein Gutachten in dem Sinne abgegeben, daß „die deutsche Sprache lediglich als Hilfssprache anzuerkennen sei, um den mündlichen Verkehr der Staatsbeamten mit der Bevölkerung deutscher Zunge zu ermöglichen“. Auf Grund dieses Gutachtens des Staatsrates wurde im September 1952 angeordnet, daß der innere Amtsverkehr zwischen den Aemtern einschließlich der Gemeinden ausschließlich in italienischer Sprache geführt werden muß. Darüber hinaus vertreten die italienischen Behörden nunmehr die Ansicht, daß die Beamten nicht einmal die deutsche Sprache beherrschen, sondern lediglich die Möglichkeit haben müssen, sich mit der Bevölkerung allenfalls durch Dolmetscher zu verständigen.

So müssen also rein deutsche Gemeinden untereinander amtlich in italienischer Sprache verkehren. Heute schon verstehen eine ganze Reihe von Gemeindeärzten und Hebammen auch in den Landgemeinden mit rein deutscher Bevölkerung kein deutsches Wort mehr und müssen sich gerade in so entscheidenden Stunden, da es um Leben oder Tod geht, nur durch Zeichen verständigen. Schließlich wurde sogar bei der Ausschreibung von 47 Gemeindearztstellen, 22 Stellen für Tierärzte und 79 Stellen für Hebammen ausdrücklich betont, daß die Kenntnis der deutschen Sprache für die Bewerbung nicht notwendig sei; die erfolgreichen Bewerber müssen lediglich innerhalb von zwei Jahren nach Aufnahme ihrer Amtstätigkeit den Nachweis erbringen, daß sie sich in der Zwischenzeit die deutsche Sprache in genügen- • dem Maße angeeignet haben.

Bei diesen Stellenvergebungen geht man übrigens nicht im Verhältnis zu den einzelnen Bevölkerungsgruppen vor. Von den staatlichen Stellen in der Provinz Bozen sind nach wie vor 95 Prozent von italienischen Beamten besetzt. In Südtirol sind heute rund 4000 italienische Beamte und Angestellte tätig, wobei Militär, Karabinieri (Gendarmen), Finanzieri (Zollbeamte) und Polizei nicht inbegriffen sind. Die Anzahl der deutschen Beamten kann an den Fingern einer Hand abgezählt werden. In der Verwaltung der Region Südtirol-Trient sind 137 Italiener und 23 Südtiroler beschäftigt.

Am 21. November 1951 wurde vom Staatspräsidenten ein Dekret erlassen, wonach die staatlichen und lokalen Körperschaften in der Provinz Bozen bei Stellenausschreibungen innerhalb von fünf Jahren von der Ausschreibung an die Kenntnis der deutschen Sprache verlangen können (aber nicht müssen und wahrscheinlich auch nicht werden).

Der Gebrauch der deutschen Sprache bei den Aemtern ist heute fast schon eine Ausnahme geworden, da die meisten Beamten (über 95%) aus den alt-italienischen Provinzen stammen. Dabei ist zu bedenken, daß immerhin rund 78 % des Bodens deutsches Eigentum ist und das in der Provinz Bozen zirkulierende Kapital zumindest 70% in deutschen Händen ist. Und die Bevölkerung?

Eine italienische Statistik aus dem Jahre 1951 gibt an: Für Bozen: 77.715 Einwohner, davon 80% Italiener, 19% Deutsche, 1% Ladiner. Meran: 29.985 Einwohner, davon 63% Italiener, 33% Deutsche, 3% Ladiner und 1% Ausländer. Brixen: 11.004 Einwohner, davon 60% Deutsche, 28% Italiener, 2% Ladiner und Ausländer. Bruneck: 6614 Einwohner, davon 71% Deutsche, 29% Italiener (ausgerechnet die Stadt Bruneck am Eingang des Gadertales, in der 90% Ladiner leben, soll keine Iadinischen Bewohner haben?). Sterzing: 3403 Einwohner, davon 68% Deutsche, 30% Italiener, 2% Ladiner. Schlanders (Vinschgau): 4043 Einwohner, davon 90% Deutsche und 10% Italiener. Man sieht aus dieser italienischen Quelle, daß das Vorschlagen der italienischen Bevölkerung sich auf die zwei Städte Meran und Bozen beschränkt, während auf dem Lande noch weitaus die deutsche Bevölkerung vorherrscht. Die Landbevölkerung hat daher unter dieser einseitigen und ungerechten Behandlung im Sprachgebrauche am meisten zu leiden.

Die Südtiroler Abgeordneten haben denn auch in ihrem Memorandum zu dem Gebrauch der Muttersprache folgende Forderungen gestellt: Genaue Regelung des Sprachgebrauches, speziell des Gebrauches der deutschen Sprache, in den öffentlichen Aemtern und im Verkehre zwischen den Aemtern, die in der Provinz Bozen oder in der Provinz Trient ihren Wohnsitz und regionalen Charakter haben, und zwar in voller Gleichwertigkeit mit der italienischen Sprache; für Funktionäre und Angestellte obiger Aemter müsse die ausreichende Kenntnis beider Sprachen garantiert sein, so daß den Angehörigen beider Volksgruppen das Recht gewahrt wird, sich vollkommen frei in ihrer Muttersprache auszudrücken; Doppelsprachig-keit bei den Aemtern, in Druckschriften, öffentlichen Aufschriften usw. Um dies zu erreichen, ist es unbedingt notwendig, Vorkehrungen zu treffen, die auch der deutschen Volksgruppe Zutritt zu diesen Aemtern gewähren, und zwar im Verhältnis zu ihrer ethnischen Bevölkerungszahl im Sinne des Abkommens der Pariser Verträge.

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