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Die Baiern und ihre ladinischen Ahnen

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Sind die alten Bajuwaren im frühen sechsten Jahrhundert aus dem böhmischen Raum in den Alpenraum vorgestoßen? Oder sind die Baiern erst dort, zwischen Lech und Innmündung, entstanden, aus einer Mischung zwischen Alemannen, die unter dem Druck der Franken auf der Flucht von Westen her einwanderten, und bodenständigen Alpenromanen, den (Proto-)Ladinern?

Willi Mayerthaler, Professor für Romanistik in Klagenfurt, vertrat vehement die These der „Ethnogenese der Altbaiern in einer Osmose von Altladinern und Altalemannen“, als kürzlich zwei Dutzend Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen im Bundesländerhaus in Wien über die Dolomitenladiner diskutierten.

Mayerthaler belegte seine These mit einer Fülle von Orts- und Eigennamen, von etymologischen und syntaktischen Eigenheiten in den Mundarten des heutigen bayerisch-österreichischen Raums, die die Verwandtschaft mit dem Ladinischen erkennen lassen.

Und Peter Wiesinger, Germanistikordinarius der Universität Wien, gab ihm, unterstützt durch den Altmeister der Ladiner-For-schung, Heinrich Kuen, Erlangen, ebenso vehement contra. Denn die bisherige Lehre vertritt die „Landnahme“ der Baiern von Osten her.

Den Ladinern von heute, denen das Symposion gewidmet war, mag es gleichgültig sein, ob ihre Ahnen einst an der „Geburt“ der Baiern mitbeteiligt waren. Es mag sie vielleicht noch interessieren, daß alpenromanische Elemente weit über jenen Raum hinaus erhalten geblieben sind, den sie heute noch besiedeln.

Von der inneren Schweiz, über das Engadin, die Dolomiten ziehen sich die romanisierten Nachkommen der alten Räter heute noch bis nach Friaul hin. Die La-diner siedeln im Südtiroler Ga-der- und Grödnertal, im Fassatal der Provinz Trient und bei Buchenstein in der Provinz Belluno. Maria Iliescu, Innsbruck, skizzierte ihre sprachlichen Verwandtschaften und Eigenheiten -und ihre Anklänge an das ferne Rumänische.

Rund 30.000 Menschen sprechen heute noch Ladinisch, berichtete Landesrat Hugo Valentin, Vertreter der Ladiner in der Südtiroler Landesregierung, am Beginn der Tagung.

Sie sprechen es nur privat, denn in den Schulen, auch in jenen, die mit dreisprachigen Inschriften die Existenz der kleinen Volksgruppe dokumentieren sollen, wird Ladinisch nur in den ersten Volksschulklassen zum Eingewöhnen, später nur noch zum Singen der vielen alten Volkslieder verwendet.

Das Ladinische hat keine gemeinsame Schriftsprache. Bücher, Zeitungen, Rundfunksendungen, aber auch die Liturgie verwenden die fünf Dialekte, die sich untereinander gar nicht so wenig unterscheiden.

In der alten k. u. k. Monarchie wollten die Politiker in Wien und Innsbruck die nationalen Konflikte zwischen Deutsch- und Welschtirolern nicht noch mehr aufheizen und versagten sich den zaghaften Vorstößen einzelner Sprecher der Ladiner auf Anerkennung ihrer Eigenständigkeit.

Zeitweise wurden sie den Deutschen, dann wieder den Italienern zugerechnet. Neben den 15 offiziellen Sprachen der Monarchie hatte das Ladinische keinen Platz, berichtete nun der Historiker Emil Brix.

Die Gegenwartsprobleme der Ladiner kamen diesmal kaum zur Sprache, etwa der Einfluß des Tourismus, der zeitweise ein Vielfaches der Einwohnerzahl an Fremden in die engen Täler der

Dolomiten schwemmt. Oder die Schwierigkeiten bei der Durchführung des Autonomiepakets, das den Ladinern als dritter Volksgruppe ihren Anteil an Staatsposten und Wohnungen zusichert.

Immerhin kann die Existenz eines ladinischen Kulturinstituts, des „Institut Ladin .Micura de Rü'“, können die Bemühungen der Wissenschaftler um die Erforschung der sprachlichen, ethnologischen, geographischen, historischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten der Ladiner zur Existenzsicherung dieser Volksgruppe beitragen.

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