6617188-1955_39_04.jpg
Digital In Arbeit

Im Schatten der Dolomiten

Werbung
Werbung
Werbung

Im Schatten der Dolomiten lernten viele Freunde Südtirols ein kleines Bergvolk kennen, das reich an Sagen, begütert an Eigenart und ausgezeichnet durch schöne Trachten ist, das durch Handfertigkeit und Geschäftssinn hervorragt, selbstbewußt und heimatliebend ist. Es sind die Ladiner. Vielmehr sind es jene Ladiner, welche sich in den Dolomiten durch zwei Jahrtausende behaupteten, der letzte Rest eines Volkstums, das einst im ganzen Alpen-bogen zwischen Römern und Germanen, Deutschen und Italienern seine Heimat hatte. Heute sind ihnen die Landschaften, welche sie in Zusammenhang hielten mit den Rätoromanen Graubündens und den Ladinern Friauls, verloren. Sie sind versunken im Vintschgau, sie sind italianisiert in Nons- und Sulzberg, sie liegen in Todeszügen in den Tälern des Tren-tino und im Bellunesischeh. Sie leben aber dort, wo sie in Schicksalsgemeinschaft mit den Südtirolern stehen, von diesen brüderlich gegen die Italianisierung unterstützt, in den prächtigen Talschaften von Groden und Abtei, im Gadon-tal und Enneberg, im Buchenstein und Ampezzanischen. Das alte Reichsfürstentum und Bistum Brixen hält sie in treuer Hut. In Brixen erscheint auch ihre Zeitschrift „N o s lad ins“. Und sie stehen im Zusammenhang wieder mit den Stammesbrüdern in Graubünden und in Friaul.

Die Alpenromanen, die noch vor wenigen Jahren allgemein dem Untergang geweiht schienen, regen sich in der Schweiz, in den Tälern der Dolomiten in Tirol und in Friaul. Die Italianisierung, welche den Zusammenhang der Alpenromanen unterbrochen und sie zu Inselvolksgruppen spaltete, richtet sich in Italien wie gegen die Südtiroler auch gegen die Ladiner und Furlaner. Die Förderer der Italianisierung unter Leitung des nationalistischen Bozener Staatsanwaltes dall'Antonio in Bozen schlichen sich auch in die Iadinische Bewegung ein und begründeten in den ladinischen Tälern eine getarnte Organisation, welche die Italianisierung anstrebte. Wenn auch in der Vergangenheit ein Bruchteil von Romanischen in der Schweiz und in einzelnen Tälern Tirols sich verdeutschte, Gefahr drohte den Ladinern vom Italienertum. Deutsch ist für die Ladiner eine Fremdsprache, das Italienische aber eine verwandte Sprache und ein Abgleiten in sie und Verlust des Alpenromanischen dadurch leichter, bei einiger Nachhilfe auch rasch zu Bewirken. Dies beweist das Schicksal der Ladiner im Trentino, im Nonstal und Sulzberg, in den trentinischen Tälern der Dolomiten und im Bellunesischen.

Heute gibt es noch drei alpenromanische Gruppen von Bedeutung, die zwischen Inn und Isonzo, vom Engadin bis ins Friaul beheimatet sind. Sie sind angestrengt bemüht, ihre eigene Sprache vor dem andrängenden und eindringenden Italienisch zu bewahren. In der Schweiz führten diese Bestrebungen 1938 zur Anerkennung, des Rätoromanischen als vierte Landessprache. Die 40.000 Ladiner Graubündens sind in der „Lia Rumauntscha“ organisiert und Staat und Kanton fördern mit Zurückweisung aller italienischen und deutschen Einflüsse die Behauptung und Erstarkung der rätoromanischen Sprache, bzw. Mundarten und des Volkstums.

Die Ladiner Tirols und Friauls standen in kultureller und politischer Beziehung zwischen Oesterreich und Italien, ohne staatliche Instanz, welche sich Schutz oder gar Förderung ihrer Sprache hätte angelegen sein lassen. Oesterreich allerdings stand ohne jede Tendenz einer Schwächung des Volkstums oder eines Sprachwandels zu den Ladinern. Der österreichische Staat wahrte gegenüber den Volkstümern Neutralität, er bevorzugte keine Volksgruppe auf Kosten einer anderen, er förderte keine und schränkte keiner anderen die Freiheit ein. Die Deutschen Tirols standen den Ladinern freundlich gegenüber und hatten keine Absicht einer Aufsaugung. Dadurch ergab sich eine Zuneigung der Ladiner zu den Tirolern.

Anders verhielt sich Italien, das bereits vor 1918 in seinen Provinzen die Alpenromanen einzuschmelzen suchte und diese Bestrebungen nach 1918 auch auf die Ladiner in den Gebieten Südtirols und des Trentino ausdehnte. Als auf Grund des Pariser Vertrags Südtirol eine Autonomie zuerkannt wurde, sorgten die Südtiroler sofort dafür, daß auch die Ladiner Freiheit und Recht zugesichert erhielten. Als dann entgegen dem Wortlaut des Vertrages das Trentino in die Autonomie einbezogen wurde, erhielten dort die Ladiner nicht jene Sicherheiten und Rechte, welche die Südtiroler für sie verlangt und statuiert hatten. So schreitet die Italianisierung der ladinischen Dolomitentäler im. Trentino fort, während in jenen Südtirols die Deutschen für die Erhaltung und Entwicklung des Ladinertums bemüht sind, arbeiten die Italiener an ihrer Italianisierung. Dabei spielt eine Rolle, daß dem Italiener, dem eine neutrale Haltung des Staates gegenüber dem Volkstum fremd ist und welcher das Italienertum in jeder Weise gegenüber seinen anderssprachigen Staatsbürgern bevorzugt und fördert, durch die Italianisierung der Ladiner die Möglichkeit einer Entnationalisierung der Südtiroler Deutschen gestärkt wird. Heute leben in Groden und Enneberg, im Gader-, Abteital und Buchenstein und im Ampezzanischen noch 25.000 Ladiner.

' Die Furlaner sind mit einer Million die stärkste Iadinische Gruppe. Durch die Verbindung mit Venedig ist in Friaul das Ladi-nische, welches im 16. und 17. Jahrhundert noch eine gepflegte Literatursprache war, immer mehr zur Sprache des niederen Volkes abgesunken. Wenn auch die vornehmen Kreise das Venezianische bevorzugen, so findet sich doch in Friaul eine kulturell aktive Schicht, welche das heute noch im Volk lebendige Fur-lanische wieder auf den ihm gebührenden Platz heben will. Trägerin dieser Bestrebungen ist die Societa filologica friulana, die zwar nicht das Italienische als Amts-, Schul- und Kirchensprache zu verdränger sucht, die aber die Geltung des Furlanischen neben dem Italienischen in der Oeffentlichkeit wieder anerkannt und es in den Volksschulen berücksichtigt wissen will.

An der Wende vom Juli zum August fand eine internationale Iadinische Tagung in Udine, der Hauptstadt von Friaul statt, an welcher Vertreter der Graubündner Rätoromanen, der Dolomiten-Ladiner und der Furlaner teilnahmen. Neben den bewußten Volksorganisationen waren auch Vertreter der Tarnorganisationen und ein Vertreter der italienischen Regierung anwesend. Auf dem Kongreß sprach der bekannte friulanische Rechtshistoriker Univ.-Prof. Leicht (Rom) über die historischen Grundlagen der Ladiner-Gebiete. Er verwies auf die verhältnismäßig späte Romanisierung der ladinischen Sprachgruppen durch die vor den Germanen von der Donau in die Alpentäler zurückflutenden römischen Kolonisten. Den weiteren Zusammenhang der romanischen Einwirkungen ausgesetzten, aber keineswegs romanisierten Ladiner förderte die karolingische Heerstraße, welche von Graubünden durch das Münster-ins Etschtal und von dort weiter nach Friaul führte. Er verwies auf die bedeutende karolingische Klostergründung in Müstair und weitere Klöster an dieser Straße. Auch unter den Bayern bestand eine Art Brücke fort, welche in rechtlichen Institutionen einen Niederschlag fand. Ueber die Entstehung und Erhaltung der rätoromanischen Schriftsprache sprach Professor Reto Bezzola (Zürich), wobei er von der Formung des rätoromanischen Idioms Graubündens im 16. Jahrhundert durch Travers und die Bibelübersetzung Bifruns ausging, und die sprachliche Zersplitterung durch föderalistische und konfessionelle Gegensätze schilderte, wodurch schließlich die drei Sprachgruppen des Engadin, der Surselva und der Suotselva entstanden. Sodann charakterisierte er die zwei Jahrzehnte zurückreichende Renaissance der rätoromanischen Sprache, in deren Gefolge wissenschaftliche und dichterische Werke entstanden und das Schulwesen erneuert wurde.

Um den wissenschaftlichen Kern des Kongresses gruppierten sich volkskundliche Veranstaltungen. Es wurden auch verschiedene Resolutionen angenommen, welche auf Berücksichtigung des Furlanischen im Unterricht zielen. Die nächste Iadinische Tagung soll 1956 in Graubünden stattfinden.

Eine Untersuchung der Lage der drei ladinischen Gruppen ergibt, daß das Rätoromanen-tum in der Schweiz, obwohl eine Minderheit unter Deutschen und Italienern, derzeit die günstigsten Voraussetzungen für eine Entwicklung und einen Wiederaufstieg haben. Die Ladiner in Südtirol können sich in Zusammenarbeit mit den Tirolern entfalten, sind aber von italienischer Seite sehr gefährdet; dies drückt sich u. a. auch in der Tatsache aus, daß das Iadinische Schulwesen einem italienischen Inspektor unterstellt ist und die Tendenz zur Italianisierung der ladinischen Schulen in Südtirol besteht, wie sie im Trentino bereits völlig erfolgt ist. Im Friaul aber, wo die Ladiner die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung bilden, zeichnen sich Tendenzen ab, welche unter Verwirklichung eines traditionellen Regionalismus, welcher auch eine Wiedereinsetzung der aus der Patriarchenzeit stammenden Landtage erstrebt, das Furlanische als Sprache wieder mehr zur Geltung bringen und dem Rückgang Einhalt gebieten möchte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung