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Nach dem Urteil von Bozen

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Es ist nicht unsere Alt, gegen Gerichtsurteile zu schreiben. Schon aus dem Grunde, weil der oberste Grundsatz jedes zivilisierten Staates lautet, daß Recht eben nach Gerechtigkeit gesprochen wird und die Richter unabhängig von allen Tagesereignissen und unabhängig von irgendwelchen Einflüssen zu ihrem Urteilsspruch gelangen müssen, daß sich auch die Geschworenen vollkommen unbeeinflußt ihre Meinung über den Angeklagten bilden müssen. Was aber in Bozen am 16. Juli geschah, das hat weder mit Recht noch mit Gerechtigkeit etwas zu tun. Der Bozner Geschworenengerichtshof sprach die sieben angeklagten Südtiroler des Mordes an dem italienischen Grenzsoldaten Raimondo Falqui schuldig und verurteilte diese Burschen zu insgesamt 111 Jahren und 8 Monaten schweren Kerkers.

Der Prozeß ist deswegen für die Oeffentlich- keit, und zwar nicht nur für die Südtiroler Oeffentlichkeit, sondern für die ganze deutschsprachige Öffentlichkeit, von so ungeheurer Bedeutung, weil dieser — von zwei Seiten her beleuchtet — aufzeigt, daß er weder prozessual richtig geführt wurde noch beim ĮJrteussprUch sich die Richter vom öruricfsat’z ‘des Rechtes leiten ließen.

Von rein prozessualer Seite her gesehen, fällt vor allem auf:

1. Die gerichtsmedizinische Untersuchung ergab einwandfrei, daß die tödliche Stirnwunde, an der der Italiener gestorben ist, keineswegs von der Rauferei herrührte, sondern von dem Fall in das Bachbett.

Schon aus diesem Grunde kann von Mord nicht gesprochen werden, da erwiesen ist, daß die Burschen nach der Rauferei sich in alle Winde zerstreuten und keiner von den Südtirolern den Italiener in den Bach geworfen hat. Es wird auch im Prozeß selbst erörtert, daß nicht festgestellt werden konnte, ob dieser Fall in das Bachbett durch einen Stoß oder durch einen Fehltritt erfolgt sei. trotz dieser klaren und eindeutigen Feststellung, die selbst das italienische Gericht machen mußte, plädierte der Staatsanwalt auf Mord und das Gericht und die Geschworenen gaben diesem Antrag auch ohne weiteres statt.

Die Möglichkeit, daß der italienische Soldat in das Bachbett gestürzt war, ergab sich schon daraus, daß bei der Blutprobe ein Alkoholgehalt von 1,7 Promille festgestellt wurde, so daß ein Fehltritt des Italieners nicht nur im Bereiche des Möglichen, sondern im Bereiche des W a h r- scheinlichen liegt.

Auf alle Fälle ist schon aus diesen Gründen ein Mord vollkommen ausgeschlossen und selbst im allerschlimmsten Falle könnte lediglich auf eine Wirtshausrauferei mit tödlichem Ausgang erkannt werden, um so mehr, als sich auch aus Zeugenaussagen und aus dem Lokalaugenschein eine Reihe von Widersprüchen ergab, die alle gegen die ersten Erhebungen der Gendarmerie sprachen.

2. Weiter ist prozessual hervorzuheben, daß der beigezogene Dolmetscher — das ganze Prozeßverfahren wurde ausschließlich in italienischer Sprache durchgeführt, obwohl die Angeklagten dieselbe nur ganz wenig oder überhaupi nicht beherrschten — die deutsche Sprache nichi gut beherrschte, und er übersetzte dementsprechend oftmals nicht einmal sinngemäß, geschweige denn wörtlich.

Erste Pflicht des Gerichtes wäre es vor alien- gewesen, einen beeideten Dolmetscher beizuziehen: es gibt sowohl unter den Richtern ir Bozen als auch unter den Rechtsanwälten eine Reihe von Personen, die beidf Landessprachen perfekt beherrschen. Es steht auch ein Südtiroler Staatsanwalt, der früher in Bozen Rechtsanwalt war, zur Verfügung. Warum nahm man nicht einen dieser einwandfreien Männer, die sicher nicht nur die Uebersetzung genauestens gemacht, sondern auch einwandfrei und unpolitisch ihr Dolmetscheramt ausgeübt hätten? Nicht nur das Protokoll war während der Untersuchung italienisch und die Angeklagten wußten daher nicht einmal, was sie unterschrieben, sondern der dolmetschende Karabiniere rühmte sich auch in Privatgesprächen, die Angeklagten geprügelt zu haben, obwohl er dies später wieder bestritt. Im Prozeß erklärten auch .die Angeklagten, von dem Karabiniere mißhandelt und zu Aussagen erpreßt worden zu sein.

3. Weit bezeichnender aber sind die Plädoyers sowohl des Staatsanwaltes als auch des Privatbeteiligtenvertreters.

Wenn der Privatbeteiligtenvertreter, der einer der bekanntesten italienischen Rechtsanwälte ist, die AngeklagtefflCmiV-yiHyanen”, „Bestien”, .„hündischeMeute” ..’bezeichnet, w muß man geradezu an die Schauprozesse in Ungarn und den anderen Volksdemokratien denken, denn in einem zivilisierten Staate wird kein Anwalt einen Angeklagten, der noch nicht einmal schuldig gesprochen ist, mit solchen Titeln belegen. Es widerspricht jedem menschlichen Gefühl, in einem Plädoyer vor einem Gerichtshof solche Töne anzuschlagen. Wie Hohn klingt es direkt, wenn dieser Privatbeteiligtenvertreter noch die Stirne hat, die Angeklagten „Bewohner eines finsteren und zurückgebliebenen Südtiroler Tales” zu nennen und den einfachen, italienischen Finanzer Falqui, der sicher kaum eine einfache Volksschule besucht hatte, den „Bringer des Fortschrittes und der Kultur” zu heißen, den die Pfunderer Bauernburschen mit Mordlust verfolgt hätten.

Wir wollen vorläufig nur feststellen, daß dieses „finstere und zurückgebliebene Südtiroler Tal” keinen einzigen Analphabeten besitzt, während in der Heimat des verstorbenen Italieners, in dem kleinen Dorfe Lula, einem der ärmsten Dörfer Italiens, wo es an allem fehlt, mehr als 50 Prozent Analphabeten sind, und es mutet direkt grotesk an, diesen braven italienischen Soldaten als „Träger der Kultur und Bringer des Fortschrittes” zu bezeichnen.

4. Den Höhepunkt dieser ganzen Tragödie aber bildet die Aufforderung des Staatsanwaltes, und zwar forderte der nicht mehr und nicht weniger wörtlich: „Ich fordere von euch einen mutigen Akt, frei von allem menschlichen Respekt und frei von jeder Angst vor sich und der Gesellschaft, durch eine Verurteilung, die dem Gefühl des Volkes entspricht.”

Diese Aufforderung ist also nichts mehr und nichts weniger als ein Verlangen des Staatsanwaltes, nicht nur gegen jedes menschliche, sondern vor allem auch gegen jedes rech t- liche Empfinden und gegen die Prozeßergebnisse ein Urteil zu erzwingen, von dem wir zur Ehre des italienischen Volkes nicht einmal annehmen wollen, daß es dem italienischen Volksempfinden entspricht, sondern das der ganzen menschlichen Zivilisation ins Gesicht schlägt. Die Bozener Geschworenen haben mit diesem Urteil dem italienischen Volke wohl einen schlechten Dienst erwiesen, aber eines haben sie immerhin erreicht: nämlich sie haben der Welt gezeigt, welche Gesinnung die Italiener, oder zumindest ein Teil der Italiener, gegen die Südtiroler haben. Wir erinnern uns an die Worte des italienischen Staatspräsidenten Gronchi, der anläßlich der Manöver bei seinem Besuch in Bruneck gesprochen hat. Der italienische Staatspräsident sagte nämlich, die Südtiroler sollen sich nicht unter Italien wie in einem Kerker fühlen, sondern wissen, daß sie freie und gleichberechtigte Staatsbürger sind. Wo bleibt angesichts dieses Urteiles, das jeder zivilisierte Mensch mit tiefem Erröten zur Kenntnis nehmen muß, die Gerechtigkeit und wie läßt sich das italienische Urteil mit den Worten des Staatspräsidenten in Einklang bringen? Gronchi sagte wörtlich:

„Ich möchte in diesem Land, wo Staatsbürger anderer Sprache und anderer Ueberlieferung leben, auf die Tatsache verweisen, daß sie im Militärdienst sich mit Kameraden aus anderen Regionen Italiens in Gemeinsamkeit des Wollens und Fühlens zusammenfinden und daß dieses Band auch die Zeit des Waffendienstes überdauert. Es ist dies der Beweis dafür, daß die Armee die Einheit eines Volkes festigt. Sie schafft Achtung und gegenseitiges Vertrauen, und auch in den einfachsten Gemütern die Ueberzeugung, daß von italienischer Seite keine Absicht vorhanden sein kann, die berechtigten Ansprüche der Südtiroler Bevölkerung zu bestreiten, wie auch anderseits diese Bevölkerung nicht den Wunsch hegen darf, sich in Unfruchtbarkeit und Feindseligkeit abzusondern wie in einer belagerten Festung.”

Der Prozeß in Bozen hat wieder eindeutig bewiesen, daß auch beim besten Willen festgestellt werden muß, daß eine Zusammenarbeit mit dem italienischen Bevölkerungsteil auf dieser Basis nicht bestehen, sondern nur aus einem etwas größeren Vertrauen, wie der italienische Staatspräsident sehr richtig betonte, hervorgehen kann. Dieses Vertrauen muß aber auf beiden Seiten gegeben und genommen werden; daß man auf Südtiroler Seite dieses Vertrauen durch solche LIrteile kaum gewinnen wird, liegt wohl auf der Hand.

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