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Lichter und Schatten

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Die politischen Wogen haben sich in Südtirol in der letzten Zeit etwas gelegt.

Da ist vor allem die Enthaftung des Chefredakteurs der „Dolomiten“, Dr. V o 1 g g e r, und mehrerer der Mitangeklagten (neun bleiben allerdings weiterhin in Haft), die die erregten Gemüter weitgehend beruhigt hat.

Mit Genugtuung sei auch an das Urteil des Bezirksrichters von Schlanders gedacht, der in dem „Fahnenprozeß in Schlanders“ alle acht Angeklagten freisprach. Der Richter von Schlanders stand im Gegensatz zum Richter von Brixen, der die rotweißen Fensterläden als italienfeindlich kennzeichnete, auf dem Standpunkt, daß die Farben keine Gefahr für Italien und auch keine Verunglimpfung des italienischen Nationalgefühls darstellen.

Ein weiterer Lichtblick ist die Genehmigung des sogenannten „Accordino", das ist das zwi schenstaatliche wirtschaftliche Uebereinkommen zwischen Nordtirol und Vorarlberg einerseits und der Region' Südtirol-Trentino anderseits. Dieses wirtschaftliche Uebereinkommen zwischen den Grenzländern hat für beide Teile sehr große Vorteile, insbesondere für die Südtiroler (Ausfuhr an Obst und Wein).

Hellere Ausblicke sind auch dem Bericht des Assessors für Land- und Forstwirtschaft Doktor Anton Kapfinger zu entnehmen. Die Staatsbeihilfen für bäuerlichen Kleinbesitz werden nun wieder auch der Region Südtirol-Trentino zugute kommen, im Jahre 1957 bereits im Ausmaß von 100 Millionen Lire. Das Ministerium hat den zuständigen Kreditinstituten außerdem empfohlen, alle Gesuche aus Südtirol und Tren- tino um Darlehen zur Bodenverbesserung wohlwollend zu prüfen und aufrecht zu erledigen. Außer diesen 100 Millionen Lire wurden noch weitere 50 Millionen Lire vom Landwirtschaftsministerium für den Ankauf von ausgewähltem Saatpetreide und Saatkartoffeln zur Verfügung gestellt.

Es ist noch eia Blick auf die Ergebnisse zu werfen, die die Anwendung des Gesetzes über die Bildung eines bäuerlichen Besitzes erzielt hat. In der Provinz Bozen wurden bisher mehr als 19.000 Hektar angekauft, um einen neuen Kleinlandwirtschaftsbetrieb zu erwerben oder bestehende zu vergrößern.

Die Gesamtsumme an Krediten und Darlehen für die Errichtung bäuerlicher Gebäude, die Verbesserung und der Ankauf landwirtschaftlicher Maschinen erreichte am 30 September den ansehnlichen Betrag von mehr als 3.5 Milliarden Lire und sind 1346 Landwirten zugute gekommen. Eine Entscheidung des Ministeriums für öffentliche Arbeiten gibt heuer die von den Kraftwerksgesellschaften einbezahlten Wasserzinsgelder an Berggemeinden in mehr als 300 Meter Höhe frei. Durch dieses Dekret allein fließen den Siidtfroler Gemeinden 232 Millionen Lire zu (und 99 Millionen Lire den Gemeinden des Trentino).

Das italienische Amtsblatt vom 11. März enthält weiter das Gesetz über die Anrechnung der Dienstjahre für die Südtiroler Volks- und Mittelschullehrer. Dadurch werden den Volksund Mittelschullehrern die Dienstjahre auf die Laufbahn und die Pension angerechnet, die sie durch ihr Ausscheiden aus dem Dienst während der faschistischen Zeit verloren haben.

Erfreuliche Perspektiven eröffnet schließlich ein Brief des italienischen Justizministers an den Obmann der Südtiroler Volkspartei, den Südtiroler Abgeordneten Dr. Toni Eder, in dem der Minister mitteilt, daß er bei den kommenden Stellenausschreibungen für Richter und Gerichtsbeamte eine erhöhte Anzahl von Stellen für Kandidaten mit genauer Kenntnis der deutschen Sprache reserviert habe. Eine ähnliche Maßnahme ist für Gerichtsvollzieher in Vorbereitung, so daß dafür Gewähr geboten wird, daß die einheimische deutsche Bevölkerung von Südtirol auch in ihrer Muttersprache mit den staatlichen Stellen verkehren kann.

Diesen Lichtblicken steht allerdings wieder eine Reihe von Uebergriffen italienischer Heißsporne gegenüber.

In Sch'anders im Vintschgau wurden deutsche Burschen von italienischen Soldaten tätlich an gegriffen, weil sie sich untereinander in deutscher Sprache unterhielten. Der Sturm der italienischen Studenten auf die Schriftleitung der „Dolomiten" ist noch in frischer Erinnerung.

Aus dieser immer hoch zwiespältigen Lage heraus ist die Rede des Regionalassessors Doktor B r u g g e r als Sprecher der Südtiroler Volkspartei im Landtag zu verstehen. Dr. Brugger stellt darin ein 7-Punkte-Programm für die Verwirklichung der vollen Autonomie auf.

Diese Punkte sind: Uebertragung der Verwaltungsfunktion an die Provinz Bozen im Sinne und Umfange des Artikels 14 und insbesondere der Behandlung der Industrieförderung durch die Provinz. Verabschiedung des Gesetzes über die Gemeindeordnung und Entstaatlichung der Gemeindesekretäre. Verwirklichung der Gleichberechtigung des Gebrauches der deutschen und italienischen Sprache in der regionalen Verwal tung und den davon abhängigen Verwaltungen (Gemeindeverwaltung). Berücksichtigung des Volksgruppenverhältnisses bei der Verteilung der regionalen Geldmittel in der sozialen Fürsorge, der sanitären und spitalärztlichen Betreuung und Wohlfahrtsfürsorge. Verwirklichung des Autonomiestatuts durch verhältnismäßige Vertretung der einzelnen Sprachgruppen in den öffentlichen Körperschaften. Rezeption: Uebernahme der

Staatsgesetze durch die Region, und zwar nur von den Staatsgesetzen, welche die Angelegenheiten der regionalen Zuständigkeit ermitteln.

Dieses Programm ist ein durchlaufend loyales Arbeitsprogramm, das keine übertriebenen Forderungen der deutschen Volksgruppe darstellt, sondern sich im Gegenteil durch ein Mindestmaß an Bescheidenheit gegenüber den italienischen Behauptungen auszeichnet. Man wird es nicht überhören können.

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