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Unbequeme Zeugen

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Der Regionalrat der Region Bozen-Trient hat bekanntlich im August 1956, um den angeblich unwahren Behauptungen . von der Unterwanderung der deutschsprachigen durch die italienische Bevölkerung entgegentreten zu können, die Einsetzung einer Kommission zur statistischen Erfassung des Arbeitsmarktes, des Volkswohnbaues und der Zu- und Abwanderung beschlossen. Was man in Trient gerechterweise einsah, wollte man in Rom nicht einsehen, und das Zentralinstitut für Statistik in Rom (ISTAT) wehrte sich dagegen mit allen Mitteln, u. a. mit der wenig sachlichen und überzeugenden Begründung, daß eine solche Statistik ausschließlich Sache des Statistischen Zentralamtes in Rom sei und daher die geplante statistische Ermittlung in Bozen nicht zulässig sei. Obwohl sich auch zwei italienische Mitglieder des Regionalrates für diese Statistik aussprachen, war der Präsident des Regionalausschusses, Dr. Odorizzi, dagegen; hier wieder lautete die eigenartige Begründung, daß solche Statistiken schon vorhanden seien….!

In diesen Blättern wurde schon öfter darauf hingewiesen, daß sich der größte Teil des Grundbesitzes noch in tiroler Hand befindet. Um nun zu unterstreichen, daß gerade und in erster Linie die deutsche Bevölkerung für die Wirtschaft Südtirols maßgebend ist, haben wir dem Bericht der Sparkasse der Provinz Bozen von 1956 einige aufschlußreiche Daten entnommen, die mehr als alles andere beweisen, wie berechtigt die Forderungen des Südtiroler Volkes nach größerer Berücksichtigung seiner Eigenständigkeit sind. Es ist bitter, die höchsten Steuern zu zahlen und die geringsten Rechte zu haben.

Im Rahmen der gesamtstaatlichen italienischen Wirtschaft nimmt die Provinz Bozen eine Sonderstellung ein. Das Leistungsergebnis der gesamt staatlichen Wirtschaft Italiens ist von 1954 auf 1955 um etwa 4 Prozent gestiegen, während der Ertrag ln der Landwirtschaft um 6,5 Prozent zurückgegangen ist. Demgegenüber ist die Leistung Südtirols nicht nur in der Industrie, sondern — im Gegensatz zur rückläufigen gesamtstaatlichen Bewegung! - auch in der Landwirtschaft angestiegen.

Der Obstbau erzielte 1956 einen Rekord von 26.000 bis 27.000 Waggons, also zumindest 5000 Waggons mehr als die bisherige Spitzenleistung. Die Lagerbestände 1956 dürften rund 8000 Waggons gegenüber 2000 Waggons 195 5 umfassen. Dabei steigt durch den Ausbau der Kühlhäuser die Möglichkeit der Lagerung weiter an. Schon 1957 kann mit einer Kühlraumkapazität von rund 5000 Waggons gerechnet werden, so daß es bei einer durchschnittlichen Produktion von 17.000 Waggons möglich sein wird, zirka 29 Prozent der Ware in Kühlhäuser unterzubringen. Der Obstexport betrug bis 31. Dezember 1956 außer den 2000 Waggons Altbeständen zirka 12.000 der neuen Ernte 1956 und kann wertmäßig mit 6 bis 7 Milliarden Lire angegeben werden. Hauptabnehmer war wieder Deutschland, ihm folgten Schweden, England und die Schweiz. Oesterreich konnte im Rahmen des zwischenstaatlichen Abkommens zwischen Nord- und Südtirol 1956 nur 459 Waggons für 218 Millionen Lire gegenüber 583 Waggons im Jahre 195 5 übernehmen.

Im Weinbau lag im Jahre 1956 die Produktion 20 bis 30 Prozent über dem Durch-’ schnitt; in diesem Jahr dürfte die Qualität etwas zurückgeblieben sein. Als erster Abnehmer fungiert wieder Deutschland, dann die Schweiz, während Oesterreich infolge des regionalen Abkommens weit hinter die anderen Abnehmerländer zurückgefallen ist. Der Weinexport betrug 1956 wertmäßig zirka 6619 Millionen Lire, darunter 904 Millionen, die im Rahmen des regionalen Abkommens zwischen Nord- und Südtirol ausgeführt wurden.

Beachtliche Erfolge hatte im Jahre 1956 die Viehzucht. In Südtirol bestehen drei Viehzuchtverbände mit insgesamt 275 Genossenschaften, die 5273 Mitglieder umfassen. Der Erfolg der Zuchtarbeit kann daraus ersehen werden, daß bei den Versteigerungen der Zuchtstiere insgesamt 757 Tiere zum Preis von durchschnittlich 160.000 Lire pro Tier versteigert wurden. Der normale Fleischmarkt hielt sich im Rahmen von 1955.

Einer der größten Faktoren der Südtiroler Wirtschaft ist der Wald. 1956 wurden insgesamt rund 501.000 Kubikmeter, also ungefähr 3 Prozent weniger als 1955, geschlägert, wo von 328.0 Festmeter auf Säge- und Bauholz, 38.0 Kubikmeter auf Schnittholz und 13 5.000 Kubikmeter auf Brennholz entfielen.

Der Preis von Rundholz ist ungefähr um 8 Prozent zurückgegangen. Für die Holzbauern TIM r V cirli Aie Wi iirf crf !iincr Umsatzsteuer, die nicht mehr vom Produzenten, sondern vom Händler zu tragen ist, vorteilhaft aus.

Ein weiterer Aktivposten der Südtiroler Wirtschaft ist die fortschreitende Entwicklung der Bozener Messe. 1956 hat sich die Zahl der Ausstellerfirmen um 8 Prozent gegenüber 1955 vergrößert. Es gab 1523. Aussteller, darunter 545 Ausländer aus 17. Länder (266 aus der Deutschen Bundesrepublik). Auch die Abschlüsse waren gut.

Im ständigen Aufstieg ist der Fremdenver kehr begriffen. Im Jahre 1956 zählte man 2,827.430 Nächtigungen. Der Zufluß inländischer Touristen in die Provinz Bozen hat um zirka 3,66 Prozent nachgelassen, während die Zahl der ausländischen Besucher um ungefähr 1,5 Prozent, das sind 344.799, gestiegen ist. Nach der Staatszugehörigkeit gestaffelt steht Deutschland mit 190.878 Ankünften und 823.414 Nächtigungen an erster Stelle; ihm folgen Oesterreich mit 52.865, England mit 20.026, die Schweiz mit 16.074 und Holland mit 14.891 Ankünften. 1955 besuchten ungefähr 10,76 Millionen ausländischer Touristen Italien, wovon 26 Prozent, das sind 2,825.368 über die österreichischen Grenzübergänge kamen) und zwar per Eisenbahn 614.596 und der Rest über die Straße; den Brenner allein passierten fast eine Million Autotouristen.

Es ist daher klar, daß dem Ausbau der Grenzstraßen (Brennerstraße und Timmeljochstraße) größte Bedeutung zukommt.

Die Spareinnahmen sind im Jahre 1956 um weitere 13 Prozent geStiegen und betragen heute 15.619 Millionen Lire.

Aus diesen statistischen Daten geht klar hervor, daß die Südtiroler Bevölkerung ein begründetes Recht hat, auf ihrer Stellung zu bestehen,

diese Stellung auszubauen und eine eigene Landesautonomie für Bozen zu beanspruchen.

Der Anlaß der letzten Kundgebungen war bekanntlich der bevorzugte Wohnbau und die Wohnungsvergebung für Italiener. Dabei wurden höchst seltsame Dinge bekannt.

Nach dem Gesetz erhält nur der das Wohnungsrecht, der auch über eine eigene Wohnung verfügt. In Bozen hat sich nun folgender Vorgang eingebürgert: Man baut einige hundert Wohnungen, die die Insassen von Höhlen und Baracken zugewiesen erhalten. Diese Höhlen und Baracken werden sofort wieder von anderen Italienern belegt, damit diese dann wieder in neue Wohnungen eingewiesen werden können! Fließbandarbeit… ! So konnte es dazukommen, daß seit 1.945 93 Prozent der Volkswohnräume von Italienern bevölkert wurden, während der deutschen Bevölkerung nur 7 Prozent zugewiesen wurden.

Eine eigenartige Rolle spielen bei dieser italienisch forcierten Ansiedlung die Leute aus dem Ueberschwemmungsgebiet des Po-Deltas. Ein Artikel des bekannten italienischen Journalisten Georgio Bocca im „Europeo” vom 24. November 1957 gibt darüber Aufschluß. Von 1951 bis heute sind insgesamt im Po-Delta verlorengegangen: 500.000 Hektar im November 1952, 8000 Hektar im Februar 1953, 1450 Hektar im Oktober 1953, 1254 Hektar im Winter 1954 1500 Hektar im November 1956, 2000 Hektar im April 1957, 6000 Hektar im Juni 1957 und 8000 Hektar bei der gegenwärtigen Ueber- schwemmung. Die Schäden der Ueberschwem- mungen im Po-Delta belaufen sich auf 30 bi| 3 5 Milliarden Lire. Anstatt nun im Po-Delta gründlich aufzubauen — wie dies auch immer gefordert Wird und von Minister Togni auch zugesichert wurde —, wird dort (auffällig ist das besonders in Rovigo) nur oberflächlich ausgebessert, nicht zületzt darum, um einen Grund zu haben, die Bevölkerung dort abziehen und irgendwo anders ansiedeln zu können.

Und wo liegt dieses „irgendwo anders” am häufigsten? — In Südtirol!

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