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WOLKEN ÜBER DER CINECITTA

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Die sieben fetten Jahre der italienischen Filmindustrie schei- nen sich ihrem Ende zu nähern. Sie hatten nach der Gesundungskrise des für sie verhängnisvollen Jahres 1956 begonnen. Sie hatten begonnen mit dem guten Willen der aufrecht Gebliebenen, der mit den Vorsätzen sparsamer Wirtschaftsführung und hochstrebender Leistung ausgestatteten, die sich aus dem allgemeinen Debakel der Zusammenbrüche kleiner und großer Produzenten gerettet hatten. 1956 war das Jahr der 30 Milliarden Lire protestierter Wechsel gewesen, der Zwangsvergleiche, der Selbstmorde etlicher Unternehmer, der öffentlichen Protestaktionen mit Straßenumzügen der in der Filmindustrie arbeitslos gewordenen, unter Anführung der Filmgrößen Anna Magnani und Vittorio de Sica, der notorische Großverdiener des Films. Viele Dutzend mit überschwenglicher Phantasie begabte, aber der Sachkenntnis und des finanziellen Rückhalts entbehrende „Industrielle“ waren aus dem großen Produktionsprozeß ausgeschieden und hatten die Bahn frei gemacht für die klug Rechnenden, die mit dem Sinn für das Mögliche Begabten. Ihnen erschloß sich die Epoche des großartigen Aufstiegs und der Bewährung.

Nun ist wieder ein Rückschlag da. Wieder scheint er die Spekulanten und Hochhinauswollenden zu treffen. Das weithin sichtbare Signal gab ein älterer Mann vom Bau, Alfredo Guarini, seit Jahrzehnten einer der repräsentativsten Filmindustriellen. Sein Lebens- und Schaffensweg, ein nie abreißendes Auf und Nieder, ist atemberaubend und lehrreich.

In ähnlicher Bedrängnis wie Guarini befinden sich etliche andere große Produzenten, denen die Banken — angeblich nach dem Fall Guarini — die Kredite gesperrt haben. Insgesamt sollen die ungedeckten, beziehungsweise durch neue Filme mehr oder weniger gesicherten Bankschulden rund zwanzig Milliarden Lire betragen —, und die Banken sollen sich in den meisten Fällen weigern, die Neuproduktion von Filmen nennenswert zu bevorschussen, weil sie die künftige finanzielle Entwicklung des italienischen Filmwesens ungünstig beurteilen. Man sagt, die Kreditinstitute unterließen es zum Überfluß nicht, eine Allround- betrachtung anzustellen, indem sie die Filmsituation in anderen Ländern, besonders in den Vereinigten Staaten, in Westdeutschland und in Frankreich studieren. Das Ergebnis ist dann, obwohl für die genannten Länder je verschiedene Beurteilungsmaßstäbe angebracht sind, durchaus entmutigend.

Neben den Großen wanken ungezählte mittlere und kleine Produzenten, in erster Linie solche, die weder über Branchenkenntnis noch über finanziellen Rückhalt verfügen. Es sind größtenteils spekulativ veranlagte Naturen, ähnlich denjenigen, die vor der letzten Krise auf gut Glück drauflos wirtschafteten und die jährliche Produktion um ein paar Dutzend mittelmäßige und schlechte Filme „bereicherten“.

Tatsächlich ist die Zahl der jährlich hergestellten Bildstreifen ständig angewachsen. 1962 wurden 245 Spielfilme ■ hergestellt (1961 waren es 213). Dies ist ungefähr das doppelte der letzten Hollywood-Jahresproduktion. Für das laufende Jahr 1963 sind schon rund 200 neue Filme geplant, an deren restlose Verwirklichung aber kaum jemand glaubt.

Sieht man von den einmaligen, sich fast nie wiederholenden

Ausnahmen ab — so etwa von den die Welt erobernden Großfilmen „Das süße Leben“, „Rocco und seine Brüder“, die „Ciociara“, die eben dank ihres Triumphzuges durch das Ausland ungeheure Gewinne abwarfen —, so ist die finanzielle Ausbeute der in ihrer Mehrzahl den Durchschnitt nicht erheblich überschreitenden italienischen Filme sehr gering. Sie ist in letzter Zeit noch geringer geworden, weil die Unkosten unter dem Antrieb bisheriger Erfolge jäh in die Höhe geschossen sind. Nicht nur sind die Materialien für die Herstellung, die Mieten für die Benutzung der Werkstätten, die Gehälter und Löhne für sämtliches Personal gestiegen; auch die noch so kleinen „Stars“ und die sonstigen Darsteller haben höhere Gagen durchgesetzt.

Heute kostet ein gut durchdachter und wohlgestalteter Mittelfilm 200 bis 300 Millionen Lire, und auch der bestbewährte „Mann des neuen Filmkurses“, Goffredo Lombardo, kann nicht mehr viel billiger herstellen. Erst recht machen sich die Kostenfaktoren bei den künstlerisch anspruchsvollen Großfilmen geltend, wo die zum „Groß-Star“ emporgestiegenen Hauptdarsteller und ebenso die „Meisterregisseure“ Honorare von 150 bis 600 Millionen Lire verlangen. Solche Leistungen setzen freilich in Thematik, Gestaltung und Durchführung Seltenheitswert voraus, der im Inland wie im Ausland ansprechen muß. Ja, im Ausland ganz besonders! Denn nur von der sieghaften Macht, die ein solches Erzeugnis auf die vielen Millionen Besucher in aller Welt auszuüben vermag, ist — prosaisch genug! — ein klingender, nicht nur die Unkosten herausholender Erfolg zu erwarten. Ohne die Gewinne aus dem Auslandsgeschäft dürften auch die besten Filmschöpfungen nicht ihr Auskommen finden.

Abgesehen von den märchenhaften Erfolgen einiger großer Schöpfungen der italienischen Filmkunst sind also die finanziellen Ergebnisse, im ganzen gesehen, nicht hoch einzuschätzen. Zwei Ausnahmen sind gegenwärtig anzumerken. Es handelt sich um die beiden Großschöpfungen: „8%“ unter der Regie des eigenwilligen Federico Fellini, der bestrebt ist, den ungeheuren Erfolg seines Films vom „süßen Leben“ zu übertrumpfen, und um den Monumentalstreifen „Der Leopard“, der von dem Regisseur Luchino Visconti nach dem Erfolgsroman von Tomasi di Lampedusa, mit einem Aufwand von nahezu fünf Milliarden Lire in Sizilien gestaltet und auf dem Festival von Cannes mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde.

Solche Spitzenleistungen aber sind, wie erwähnt, an den Fingern einer Hand abzuzählen. Sie können nicht über die mageren Erfolge oder gar die Mißerfolge zahlreicher Mittel- und Durchschnittsfilme hinwegtäuschen, die der italienischen Filmkrise ihre besondere Note geben.

Seit zum Überfluß die Eintrittspreise in sämtlichen Kinos erhöht wurden, hat sich die Besucherzahl stark verringert. Aber der damit verbundene Rückgang der Einnahmen wird auch durch andere Momente beeinflußt. Genannt werden heute wieder das Fernsehen und die rapid fortschreitende Motorisierung. DerDrang zum Kino hat auch aus anderen Gründen bei den breiten Massen nachgelassen: Das italienische Publikum ist nämlich wählerisch geworden und läßt sich nicht durch jeden beliebigen

Film bestricken. Es will einen zugkräftigen, ja wertvollen Film sehen — und nicht irgendeinen.

Diese Geschmacksverfeinerung sollte Ansporn zu Bestleistungen sein, wovon der Durchschnittshersteller noch weit entfernt ist.

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