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Blick ins Vatikanhaushaltsbuch

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Pressekonferenzen hoher vatikanischer Würdenträger sind etwas durchaus Ungewöhnliches, aber als ganz außerordentliches Ereignis muß es betrachtet werden, wenn der Kardinal-Staatssekretär selbst sich mit den Journalisten über ein Thema unterhält, das bislang als Tabu gegolten hatte: die vatikanische Vermögensverwaltung. Zwar ging es diesmal nur um ein Detail, um das Gehalts- und Lohnschema der Beamten und Angestellten des Heiligen Stuhles, aber auch darüber war bisher aus berufenem Munde nichts ausgesagt worden. „Da jeder Grund für eine Geheimhaltung des Gegenstandes weggefallen ist, hält es der Heilige Stuhl jetzt für angebracht, nicht nur die Form, sondern auch die Substanz der jüngsten Maßnahmen bekanntzugeben." Diese Worte des Kardinals Domenico Tardini. Staatssekretär Seiner Heiligkeit, zeigen eine sicherlich nicht entscheidende, aber doch höchst bemerkenswerte Neuerung im Pontifikat Papst Johannes’ XXIII. an; denn nur der Papst konnte Anweisung gegeben haben, das Geheimnis über die vatikanischen Finanzen ein wenig zu lüften.

lieber die Finanzen des Heiligen Stuhles des Vatikans, der kirchlichen Zentrale, oder Wie immer man sich ausdrücken mochte, ist anläßlich des Wechsels auf dem Papstthron mehrfach geschrieben worden, aber immer mußte der Mangel an genauen Informationen durch die Phantasie ergänzt werden. Es sind Summen genannt worden, die auf den einfachen Mann Eindruck machen sollten und mußten, schon deswegen, weil es an Vergleichsmöglichkeiten fehlte und an dem Hinweis, daß die Vatikanstadt zwar der kleinste souveräne Staat der Erde ist, die kirchliche Organisation jedoch weltweit, was naturgemäß auch in ihrer Zentralverwaltung Ausdruck findet Wenn die erwähnten Summen durch die Zahl der Katholiken in der Welt — heute rund 470 Millionen — dividiert werden, dann schrumpft die eindrucksvolle Größe sofort zu einem sehr bescheidenen Durchschnittsbetrag zusammen. Die Pressepublikationen übten eine negative Wirkung aus: sie zeigte sich in-einer plötzlichen Verminderung des Ertrages kirchlicher Spendensammlungen („der Vatikan ist ohnedies reich genug“) und gab einer gewissen, auf die Denkweise des kleinen Mannes zugeschnittenen antikirchlichen Propaganda willkommenen Stoff. Daraus mag sich erklären, daß die strenge Geheimhaltung der vatikanischen Finanzgebarung in einzelnen Kreisen der kirchlichen Zentralverwaltung durchaus nicht als opportun, sondern als recht unzeitgemäß betrachtet wird, um so mehr, als der Heilige Stuhl nichts zu verbergen hat. Johannes XXIII. scheint der gleichen Auffassung zu sein, wenn er seinem Staatssekretär jetzt die Erlaubnis gab, einige die Ausgabenseite der Verwaltungsbilanz betreffende Angaben zu machen. Tardini hat nämlich gesagt, daß die Personalausgaben des Heiligen Stuhles nach den letzten Gehalts- und Lohnerhöhungen im vergangenen Juli von drei auf viereinhalb Milliarden Lire jährlich gestiegen sind; sie verteilen sich auf rund 3000 Beschäftigte. Als hauptsächliche Einnahmsquelle bezeichnete er den St.-Peters-Pfennig, der in allen Diözesen der Erde gesammelt und dem Papst als Gabe der Gläubigen überwiesen wird. „Die Kapitalien des Heiligen Stuhles müßten, um einen Ertrag von 4,5 Milliarden Lire abzuwerfen, mindestens 90 Milliarden Lire betragen", bemerkte der Staatssekretär, „der Heilige Stuhl ist jedoch weit davon entfernt, eine solche Summe zu besitzen." Was der Vatikan heute besitzt, geht nur zu einem winzigen Teil auf jenes „Patrimonium Petri“ zurück, das der Papst bei der Einigung Italiens im Jahre 1870 verloren hat. Der Papst hatte über den Kirchenstaat mit einem Gebiet von 41.200 Quadratkilometern geherrscht und über drei Millionen Einwohner, was ungefähr der Größe Dänemarks entspricht. Die Finanzlage des Kirchenstaates war jedoch in den letzten Jahrzehnten äußerst mißlich gewesen, die Säkularisierungen des 19. Jahrhunderts taten ein übriges. Was gerettet werden konnte, wurde durch eine kluge Verwaltung erhalten, gestattete jedoch keine wirkliche Finanzpolitik. Es bedeutete daher einen erheblichen Vermögenszuwachs, als Pius XL durch die am 11. Februar 1929 mit der Regierung Italiens abgeschlossenen Lateranverträge nebst der Anerkennung der vollen Souveränität über die Vatikanstadt auch die Ablösung einer Jahresrente durch die einmalige Zahlung von 1750 Millionen Lire erhielt, die heute mindestens den hundertfachen Wert, also 175 Milliarden Lire, darstellen. Und da anzunehmen ist, daß die eigens für die Verwaltung der Ablösungssumme und des übrigen kirchlichen Besitzes am 7. Juni 1929 ins Leben gerufene „Amministrazione Speciale“ in den nun drei Jahrzehnten ihres Bestandes gut gearbeitet hat, ist anzunehmen, daß sich dieser Besitzstand inzwischen wenigstens verdoppelt hat.

An die Spitze der „Amministrazione Speciale"war nämlich ein gewiegter Bankfachmann als Delegato Speziale berufen worden, der vor einigen Monaten im hohen Alter verstorbene Bernardino Nogara, welcher die Möglichkeiten des kleinen, aber souveränen, neutralen, nichtkriegführenden Vatikanstaates zu nutzen und das Vermögen vor Inflation zu bewahren verstand. Heute gehören dem Sekretariat zehn Beamte und vier Buchhalter an, an der Spitze der Schweizer und ehemalige Direktor des „Credit Suisse“, Henri de Maillardoz. An der Verwaltung des Staatsschatzes sind drei Großbanken beteiligt, in den USA die J. P. Morgan (New York), in Europa die Hambros Bank in England und der „Credit Suisse". Im Vatikan ist das ..Schatzministerium" in einigen alten Räumen des Apostolischen Palastes untergebracht, in dem gleichen, den der Papst bewohnte. Papst Pius XL hatte sich persönlich für die Finanzverwaltung interessiert und ihr einen Teil seiner Arbeitskraft gewidmet; Pius XII. überließ die Verwaltung ganz seinem Delegato Speciale und ließ sich nur in periodischen Abständen Bericht erstatten. Johannes XXIII. zeigt für die technische Seite der Finanzverwaltung womöglich noch geringeres Interesse. Der Peterspfennig, obwohl er in den letzten Jahren wieder etwas reichlicher fließt, kommt heute in ansehnlichen Beträgen eigentlich nur noch aus Nordamerika, denn die traditionellen katholischen Großmächte der Vergangenheit, Spanien, Frankreich, Deutschland, sind entweder durch die Verlagerung des wirtschaftlichen Schwergewichts oder durch den Protestantismus aus der Reihe der „großen Spender“ ausgeschieden.

Die zweite Finanzorganisation des Vatikans ist in einem viel eigentlicheren Sinne vatikanisch, nämlich das „Istituto per le Opere di Religione“, die unter Pius XIL, genau am 27. Juni 1942 von dem Almosenier des Papstes, Kardinal Cremonesi, gegründet wurde und die Funktionen einer richtigen Staatsbank ausübt, nämlich die Aufbewahrung und Verwaltung der einzelnen kirchlichen Werke und Organisationen, der Institute und religiösen Orden, aber auch einzelner privater Personen. Ihre Tätigkeit ist völlig autonom, es besteht keine Verbindung zum Staatsschatz, und wickelt sich streng nach den in den einzelnen Ländern geltenden Bestimmungen ab. Die „Opera" wird von einer Kardinalskommission überwacht, und ihr Gebäude befindet sich im S.-Damasus-Hofe, ständig bewacht von einigen päpstlichen Gendarmen.

Wenn die „Opera“ auch ausschließlich für die Verwaltung kirchlicher Vermögen bestimmt ist, so ist es in Ausnahmefällen doch auch einigen „Ausländern“ gelungen, hier ein Konto zu eröffnen. Die finanziellen Operationen der Staatsbank sind überaus verzweigt und umfassen jeden Sektor des Industrie- und Handelslebens. Als dritte Organisation sei schließlich noch die autonome Verwaltung der vatikanischen Staatsdomänen genannt, die „Amministrazione dei Bene della Santa Sede“.

Wenn Kardinal-Staatssekretär Tardini erwähnt hat, daß das Vermögen des Vatikans, aus dem die Gehälter und Löhne seiner Angestellten und Beamten bezahlt werden, keine 90 Milliarden Lire erreicht, so konnte er sich offensichtlich nur auf einen bestimmten Teil des vatikanischen Besitzstandes bezogen haben. Tatsächlich reichen die finanziellen Verpflichtungen des Heiligen Stuhles über die Mauern der Vatikanstadt und der Kongregationen weit hinaus, sie umspannen die ganze Erde, man möchte sagen jeden einzelnen Katholiken und darüber hinaus auch Nichtkatholiken. Man erinnere sich nur, daß der Vatikan während und nach dem letzten Krieg imstande war, eine Hilfskommission ins Leben zu rufen und zu finanzieren, die das Erstaunen der Mitwelt her- vorrief und die auch eines großen Staates würdig gewesen wäre.

Denn der Vatikan ist ein Staat, dessen Jahresbilanz kein Passivum aufweist, der niemals eine Anleihe aufnehmen mußte, der frei von inneren und ausländischen Schulden ist, dessen Bürger vollständige Steuerfreiheit genießen. Aber es ist auch ein Staat, in dem es keine Reichen gibt. Denn seine Finanzkraft steht ganz im Dienste der Allgemeinheit. Wenn es im Studentenliede heißt „Der Papst lebt herrlich in der Welt", so gibt es keinen größeren Widerspruch zwischen den naiven Vorstellungen und der Wirklichkeit eines geistig und physisch mühseligen und opfervollen Lebens. Wie groß das vatikanische Vermögen ist, vermag nur ein ganz enger Personenkreis abzuschätzen, und dieser ist zur strengen Geheimhaltung verpflichtet. Denn der Vatikan ist der Staat ohne öffentliches Budget, ohne eigentlichen Finanzminister, der eine umfassende Sicht hätte. Wenn oben angeführt wurde, daß sich allein das Vermögen aus der Ablösungssumme der italienischen Regierung seit 1929 zumindest verdoppelt haben müßte — eine sehr vorsichtige Annahme —, so käme man auf 350 Milliarden Lire. Eine gewaltige Summe, wird man denken. Es sind auf jeden Katholiken gerechnet weniger als 744 Lire, weniger als 30 Schilling!

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