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Hinhalten — bis zum „Tag X”

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Die italienische Haltung zum Problem Südtirol ist von zwei Gesichtspunkten aus geleitet:

Einmal soll die Verwirklichung der Autonomie möglichst lange hinausgezogen werden. Das wird dadurch erreicht, daß die Durchführungsbestimmungen zum Autonomiestatut zum großen Teil noch nicht erlassen sind und so Italien immer die Möglichkeit hat, die Durchführung des Gesetzes vom 28. Februar 1948 mit dem Bemerken zu unterbinden, daß dieses Gesetz nicht zur Gänze durchgeführt werden kann, weil eben die Durchführungsbestimmungen dazu fehlen. Als nun die Südtiroler Landesregierung in der Frage des Volkswahnbaues in Ermangelung von staatlichen Durchführungsbestimmungen selbst Durchführungsbestimmungen erließ, wurden diese von der italienischen Regierung mit dem Bemerken, daß die Erlassung der Durchführungsbestimmungen nicht in die Kompetenz der Provinz oder Region, sondern einzig und allein in die Kompetenz des Staates falle, abgelehnt.

Diese Durchführungsbestimmungen zum Autonomiestatut — zweiter Gesichtspunkt — werden einmal erlassen werden, und zwar genau dann, wenn die Italiener in der Provinz Bozen die Mehrheit haben werden. Dann allerdings ist das ganze Autonomiestatut bereits hinfällig …

Das einzige Hindernis der Autonomie der Provinz Südtirol sind also die Durchführungsbestimmungen zum Autonomiestatut.

Es soll einmal festgestellt werden, zu welchen Artikeln des Autonomiestatuts Durchführungsbestimmungen erlassen sind und wie die gesetzgebende Verwaltung zwischen der Region und der Provinz Bozen aufgeteilt wurde. Nach einer Mitteilung der Bozner Provinzialverwaltung vom 11. April 1957 wurden von der Region Südtirol-Trentino übernommen:

Artikel 4: Ziffer 4 (Enteignungen), Ziffer 7 (Grundbuch), Ziffer 8 (Feuerwehr), Ziffer 9 (Landwirtschaft, aber nur zum Teil), Ziffer 14 (Verkehr), Ziffer 15 (Genossenschaftswesen, ebenso nur teilweise), Ziffer 17 (Fremdenverkehr);

Artikel 5: Ziffer 1 (Gemeinden und Provinzen, teilweise);

Artikel 6: Absatz 2 (Krankenkasse);

Artikel 7: Gemeindegliederung durch Volksabstimmung.

In die Kompetenz der Provinz fallen:

Artikel 11: Ziffer 2 (Berufsschulwesen, teilweise), Ziffer 6 (Städtebau und Verbauungswesen), Ziffer 8 (bürgerliches Nutzungsrecht, teilweise), Ziffer 9 (Höferecht, ‘ teilweise), Ziffer 10 (Handwerk, aber ohne Strafmöglich- keiten);

Artikel 14: Ausübung der Verwaltungsbefugnisse und deren Uebertragung an die Gemeinden und anderen Gebietskörperschaften;

Artikel 57: Uebertragung des Staatsvermögens in die Region.

Gerade der Artikel 14 wurde von den Italienern selbst auf das heftigste angegriffen, und ein Urteil des italienischen Verfassungsgerichtshofes vom 9. März 1957, Nr. 39, legt diesen Artikel so aus, daß nur dieUebertragung der Befugnisse, nicht aber die Befugnisse selbst gemeint sind, wobei sich die Region die auf- sichts-, weisungs- und stellvertretenden Entscheidungen auch gegenüber den autonomen Provinzen vorbehält. Mit dieser Entscheidung ist natürlich der Sinn dieses wichtigen Artikels, der der Provinz größere Machtbefugnisse geben sollte, illusorisch geworden, da sämtliche Entscheidungen, welche die Provinzen fällen, der endgültigen Entscheidung der Region unterliegen und daher für die Provinz selbst nicht endgültig sein können. Gerade in der Region Südtirol-Trient wird dann die Entscheidung stets gegen die Entscheidung der deutschen Provinz Bozen fallen, da im Regionalrat 33 Italiener und nur 15 Deutsche sitzen. Im Falle des Volkswohnbaues haben wir es praktisch erlebt, daß eine Entscheidung der Provinz unmöglich gemacht wird, obwohl ausdrücklich im Regionalstatut im Artikel 4 der Völkswohnbau der Kompetenz der Provinz Vorbehalten bleibt.

Der Regionalassessor, Dr. Alfons Penedikter, hat die Mängel des Statuts aufgewiesen und die Notwendigkeit einer Abänderung des Autonomiestatuts in folgenden Punkten gefordert:

1. In Abänderung des Artikels 2 des Autonomiestatuts und in Anlehnung an Artikel 19 des Oesterreichischen Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867: Alle Volksstämme des Staates sind gleichberechtigt und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Sprache, seines Volkstums und seiner Kultur sowie des völkischen Charakters des von ihm bewohnten Gebietes. (Gerade in letzter Zeit ist von Rom wieder eine Weisung an die deutschen Gemeinden in Südtirol ergangen, nach der die Amtssprache zwischen den Bürgermeistern und anderen Behörden auch unter sich rein italienisch sein muß und keine andere Amtssprache zugelassen ist. Es berührt eigenartig, daß ausgerechnet jetzt diese Verfügung erlassen wird, wo nicht nur im Parlament und im Senat, sondern auch vom italienischen Ministerpräsidenten wieder einmal behauptet wird, daß das Gruber-Degasperi-Ab- kommen in seiner vollen Ausdehnung von den italienischen Regierungen stets erfüllt wurde und noch erfüllt wird.)

3. Die Entwicklung von Punkt X und im Sinne des Artikels 73 der Satzungen der Vereinten Nationen: Die Bewohner der Region Südtirol haben unbedingtes Vorrecht in der Beschäftigung. sowohl in öffentlichen wie in privaten Diensten. (Wie die Gleichberechtigung zwischen der deutschen und der italienischen Bevölkerung im öffentlichen Dienst aussieht, hat zuletzt Außenminister Figl in seiner programmatischen Rede im österreichischen Parlament klargestellt.)

4. Zu den heute der Region vorbehaltenen Sachgebieten müssen wie in Sizilien und Sardinien noch die Sachgebiete über Arbeitsvermittlung und Pflege der Altertümer und Kunstdenkmäler sowie das Niederlassungsrecht hinzukommen.

5. Die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe im autonomen Gebiet und dementsprechend die Muttersprache werden durch die Erklärung der interessierten Person selbst oder ihres gesetzlichen Vertreters (und nicht von Staats wegen) festgelegt.

6. In Abänderung des Artikels 84 des Autonomiestatuts ist gleich wie im Artikel 3 8 des Statuts über das Aostatal im autonomen Gebiet die deutsche Sprache der italienischen Sprache gleichberechtigt. (Wenn dies im Aostatal für die französische Sprache durchführbar ist, so ist und muß es ebensogut in Südtirol für die deutsche Sprache durchführbar sein.)

7. ‘ Der Landtag von Bozen muß denselben Schutz der Meinungsäußerung und das Recht haben, in Angelegenheiten staatlicher Zuständigkeit Gesetzesvorschläge an das Zentralparlament einzubringen, wie alle anderen Regionalparlamente (Sizilien, Sardinien, Aostatal).

8. Der Landesausschuß muß befugt sein, staatliche Gesetze und Verwaltungsmaßnahmen wegen Verletzung des Autonomiestatuts anzufechten. (Diese Forderung ist um so berechtigter, als bis jetzt nur der Regionalausschuß Südtirol-Trentino für solche Anfechtungen befugt war, in dem 33 Italiener, aber nur 15 Deutsche sitzen.)

Aus all dem geht hervor, daß die einzige Lösung der Krise Südtirol die Gewährung der eigenen Provinzialautonomie für Südtirol ist.

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