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Boztier Flecken
Kein Parteiprogramm behandelt den zweiten Bildungsweg. Kein Parteiprogramm interessiert sich für die Bildungspolitik als Ganzes. Auch über den Komplex der Landesverteidigung und Wehrpflicht weiß keines der Parteiprogramme etwas auszusagen.
Es handelt sich um die Programme der für die bevorstehenden Wahlen in Südtirol kandidierenden Parteien, die sich offenbar auch keine Meinung “ü^ber die Verwaltungsetn-hedten und -ebenen sowie über die Zusammenlegung. von Gemeinden gebildet haben. (Bilden wollten? Bilden konnten?) Verkehrsplanung kommt allenfalls unter der Spitzmarke Infrastruktur an völlig untergeordneter Stelle vor. Dafür bleibt der gesamte Bereich von Justiz und Strafvollzug in allen vier analysierten Parteiprogrammen völlig unerwähnt. Auch unter den sozialen Minderheiten und Randgruppen sind es einzig die Alten und Kranken, welche die Südtiroler Parteitaktiker interessieren.
Festgestellt hat diese beeindruk-kende Serie von blinden Flecken auf der politischen Netzhaut sämtlicher politischen Parteien Südtirols der „Skoiast“, die ebenso modern wie aggressiv gemachte Zeitschrift der Südtiroler Hochschülerschaft, welche die Parteiprogramme von PDU, SPS, SFP und SVP analysierte und einander gegenüberstellte. Das Ergebnis dieses publizistischen Rohedtsaktes ist ein (für die Parteien) tristes. Denn dabei wurden nicht nur Lücken in Detailpunkten offenbar, sondern auch eine im politischen Leben Südtirols offenbar in den harten Jahren des Volkstumskampfes eingerissene Haltung der Selbstabschließung.
„Als schwerer Mangel aller Programme'“, so schreibt der „Skoiast“ in seiner Zusammenfassung des Programmvergleiches, „bleibt festzustellen: Das Festhalten aller Parteien an der Idee der Volksgruppe — der Mangel, sich irgendwie konstruktiv im Rahmen der Republik einzurichten und für ein Gemeinwesen einen Beitrag zu leisten, dessen Schicksal auch das Schicksal der Provinz Südtirol sein wird (dieser Mangel ist bei der SVP besonders erstaunlich, die doch Abgeordnete ins Parlament entsendet, wo selbst für Minderheiten-Abgeordnete nicht ausschließlich Minderheiten-Angelegenheiten zur Debatte stehen dürften).“
Die Programmanalyse der Südtiroler Skolasten stellt einen der seltenen kritischen Beiträge zu einer Südtiroler Politik dar, die über in-nersüdtirolerische Fragen hinausgeht. Was dabei — von den Autoren unausgesprochen — sichtbar
wird, ist die Tatsache, daß Südtiroler Abgeordnete in Rom, außer in Fragen, die 'Südtirol unmittelbar betreffen, offenbar wenig in Erscheinung treten. Dabei hätte gerade eine Minderheit wie die deutschsprechenden Südtiroler vielleicht die Möglichkeit, sich durch profilierte Stellungnahmen in Fragen, die ihre Region nicht betreffen, zu profilieren und im Bewußtsein der italienischen Öffentlichkeit zu verankern.
Der Maßstab, an dem die Programmkritiker die kritisierten Parteiprogramme messen, ist freilich nicht der politischen Wirklichkeit, sondern einem bislang auch ander--wärts kaum verwirklichten Normenkatalog entnommen. Sie erwarten vom Grunsatzprogramm einer Partei, daß sie sich charakterisiere, fordern, sie beschreibe und analysiere „die Situation“ (die für die Politik relevanten Aspekte der Wirklichkeit), von der sie bei ihren politischen Bestrebungen ausgehen will, mache ihre Werte sichtbar, stelle ihre Idealvorstellung von der Gesellschaft dar und gebe die konkreten Maßnahmen an, „mit Hilfe derer sie die
Übereinstimmung von tatsächlichen und gewünschten Verhältnissen herstellen will. Wie will sie ihre Wertvorstellungen lin die Wirklichkeit umsetzen; welcher Taktik, welcher Art Methodik will sie sich bedienen.“
Womit die Skolasten, nachdem sie Realität einer überzeugenden Kritik unterzogen hatten, wieder einmal zeigten, wie sehr sich vernünftig klingende Konzepte von den Grundbedingungen politischer Wirklichkeit entfernen können.
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