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Der „Kopf der Verschwörung“

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Mit der Einvernahme des ehemaligen Generalsekretärs der Südtiroler Volkspartei, Dr. Hans Stanek, hat der Mailänder Sprengstoffprozeß seinen politischen Höhepunkt erreicht

Die Einvernahme des Angeklagten, den die nun schon fast dreijährige Untersuchungshaft schwer gezeichnet hat — Dr. Stanek erlitt am Abend des 17. Februar einen schweren Herzanfall und mußte einen Tag pausieren —, brachte zur Enttäuschung der in- und ausländischen Presse keinerlei Sensationen. Der 64jährige, der als letzter der insgesamt 68 Südtiroler Häftlinge zu Wort kam, brauchte als erster keine frühere Aussage zu widerrufen. „Ich bestätige meine Aussagen vor den Karabinieri, vor den Untersuchungsrichtern und vor dem Staatsanwalt“, erklärte Stanek.

Wie so viele italienische Zeitungen, scheint auch der Mailänder Gerichtshof irrigerweise der Meinung zu sein, die Position des SVP-Generalsekretärs sei mit jener bei den verschiedenen italienischen Parteien gleichzusetzen. Dabei ist der ,.Macht“-Unterschied jedoch bedeutsam: Während der Generalsekretär bei einer italienischen Partei die erste Geige spielt und viele Entscheidungen selbst treffen kann, ist der Generalsekretär der SVP im Prinzip lediglich der oberste Verwaltungsbeamte der Partei, der natürlich auch zu allen politischen Beratungen beigezogen wird. Aber zum Unterschied von seinen italienischen Kollegen in der Parteihierarchie der SVP erst an sechster Stelle rangiert.

Alles das wird von italienischen Zeitungen glattweg ignoriert. Die Anklage, die in der Person Doktor Staneks das politische Oberhaupt der „Verschwörung gegen den Staat“ erblickt, unterstellt ihm, sozusagen aus dem sicheren Hintergrund die Fäden zu den Sprengstoffanschlägen gezogen zu haben. Aus diesem Grunde ist es mehr als begreiflich, daß alles versucht wird, ' um ' den SVP-Generalsekretäf zu einer Schlüsselfigur des ganzen Verfahrens zu stempeln.

Die Kardinalsfrage, nämlich auf welche Art die in der Wohnung Dr. Staneks in Brixen „gefundenen“ Flugzettel dorthin gekommen sind, Ist nach wie vor ungeklärt. Daß Dr. Stanek, als Generalsekretär der SVP, durch mehrere Hausdurchsuchungen mehr als gewitzigt, in seinem Hause Flugzettel aufbewahrte, widerspricht jeder Logik. Schließlich ist der Angeklagte auch Rechtsanwalt, also ein Mensch, der sich der Konsequenzen seiner Handlungen eher als ein anderer bewußt sein mußte.

Aber der Widersprüche und Ungereimtheiten gibt es mehrere: Wie erklärt sich die Anklageschrift diesen: Einerseits wird Dr. Stanek als „Haupt der Verschwörung“ bezeichnet, anderseits wird ihm zugetraut, ein simpler Verteiler von Flugzetteln gewesen zu sein!? Unserer Ansicht nach hätte ein Führer einer „Sabotagetruppe“ wohl andere Funktionen zu erfüllen, als sich gerade um Flugzettel zu kümmern ...

Dr. Stanek hat bei seiner Vernehmung die beiden Karabinierioffi-ziere, die am 16. Juli 1961 seine Wohnung in Brixen durchsucht und dort die inkriminierenden Flugzettel gefunden hatten, nicht direkt der „Legung“ der belastenden Requisiten bezichtigt. „Ich will nur wiedergeben, was ich gehört habe“, sagte der Angeklagte, der mit leiser, stockender Stimme sprach und nervös und verwirrt schien. „Die Folgerungen muß ich dem Gericht überlassen.“

Dr. Stanek hat an der Hausdurchsuchung trotz seines Protestes, daß Ihm das nach dem Gesetze erlaubt sei, nicht beiwohnen dürfen. Er kennt ihren Verlauf nur aus den Schilderungen seiner Frau. Die zwei Offiziere, so erzählte er dem Gerichtshof, hätten zuerst die Garage durchsucht. Plötzlich sei der eine von ihnen allein ins Haus gegangen. Seine langjährige Hausgehilfin, Maria Überbacher, die zufällig von der Terrasse gekommen sei, habe gesehen, daß er sich an dem mit Seide verhängten Bücherschrank im Vorzimmer zu schaffen machte. Sie habe ihm sogar geholfen, ihn zu schließen, da sich der Offizier mit der Schlußvorrichtung nicht recht ausgekannt habe. Wenige Minuten später aber habe der andere Kara-binierioffizier in demselben Kasten plötzlich das Paket Flugzettel gefunden. „Meine Frau“, erklärte Doktor Stanek, „sagte mir aber, daß sie nicht sehen konnte, wie die Flugzettel aus dem Schrank herausgenommen wurden, da sie dem Kasten den Rücken zuwandte und eine Schranktür den Hauptmann verdeckte. Darauf kam eine Schar Karabinieri und durchsuchten das Haus von oben bis unten ...“

Dr. Stanek betonte, daß es sehr leicht möglich gewesen sei, ihm die Flugzettel hineinzulegen. „Ich hatte damals die Maler im Hause, und Türen und Fenster waren geöffnet. Außerdem befindet sich der Raum, in dem die Flugzettel gefunden wurden, im Erdgeschoß.“ Und wer will etwa behaupten, daß ein Generalsekretär der SVP keine Feinde hat? Und warum haben die beiden Kara-binierioffiziere Dr. Stanek nicht an der Hausdurchsuchung (die übrigens wie auch die beiden anderen ohne richterlichen Hausdurchsuchungsbefehl durchgeführt wurde) teilnehmen lassen? Die Erklärung, sie hätten es aus „Respekt vor seiner Person“ nicht zugelassen, ist fast zu kindisch, um ernstgenommen zu werden.

Bei der weiteren Vernehmung Dr. Staneks ging es vor allem um den Inhalt einiger von der Polizei beschlagnahmter Briefe des Angeklagten. Die Anklage sieht Doktor Stanek vor allem durch einen Brief, der ihm vom ehemaligen Obmann des „Bergisel-Bundes“, Dr. Wid-moser, über seine Hausgehilfin Überbacher zugeschickt worden war, belastet.

Dieser am 20. April 1960 datierte Brief Widmosers lautet:

„Liebes Fräulein! Es freut mich, daß alles gut angekommen ist. Das Tonband kommt zeitgerecht. Hinsichtlich der beiden Sachen möchte ich noch mitteilen, daß diese Ihnen zur Verfügung stehen und nicht der Organisation und deshalb bei uns inventarisiert wurden. Den Grund werde ich Ihnen mündlich auseinandersetzen. Dies ändert nicht, daß diese beiden Sachen in Ihrem Besitz bleiben, solange Sie diese brauchen. Meine Frau freut sich riesig über Ihren lieben Gruß und besten Genesungswünsche. Hoffentlich ist Ihnen beim Zusammenstoß nichts passiert. Ansonsten möchte ich Ihnen versichern, daß ich noch nicht aufgegeben habe. Sehr dankbar wäre ich Ihnen, wenn sie den Wünschen Oberösterreichs in Bälde zur Gänze entsprechen könnten. Auf ein Wiedersehen freuend, bin ich mit den besten Grüßen Ihr Eduard Widmoser.“

Für die italienische Presse wie anscheinend auch für die Anklage, stellt dieser Brief praktisch schon einen Schuldbeweis des Angeklagten dar. Dr. Stanek konnte jedoch manche dunkle Stellen des Briefes überzeugend aufklären. Die Deckadresse, so betonte er, sei von Widmoser offensichtlich deshalb — aber jedenfalls ohne sein Einverständnis — gebraucht worden, „weil damals die Post zum Teil zensuriert wurde und dies auch heute noch der Fall ist“.

Die „beiden Sachen“, fährt Doktor Stanek fort, seien eine Adressiermaschine und ein Tonbandgerät gewesen, die ihm Widmoser als Generalsekretär der finanziell eher schwachen SVP leihweise zur Verfügung gestellt habe. Was den „Zusammenstoß“ betrifft, so habe es sich um einen kleinen Autounfall, der ihm zugestoßen sei, gehandelt. Mit dem „Nichtaufgeben“, habe Widmoser die Hoffnung auf die Genesung seiner todkranken Frau gemeint. „Vorher hatte mir Dr. Widmoser mitgeteilt“, ergänzte der Angeklagte, „daß er von einem Münchner Professor erfahren habe, daß es für die Kranke keine Rettung mehr gäbe“. Was aber schließlich die „Wünsche Oberösterreichs“ angehe, so habe Widmoser damit wahrscheinlich die Bitte der dortigen „Bergisel-Bund“-Sektion um die Entsendung von Südtiroler Politikern für einen Vortragszyklus urgieren wollen. Dr. Widmoser habe, so erklärte Dr. Stanek, den Brief, nach seinem Wissen, im Spital diktiert. Dies erklärte manches: die Sprung-haftigkeit und den schlechten Stil.

Bei der Vernehmung Dr. Staneks wurden entscheidende Phasen der Südtiroltragödie wieder aufgerollt: Die gescheiterten Außenministerkonferenzen 1960/61 ebenso wie die Ratlosigkeit, die in Südtirol nach den ersten Sprengstoffanschlägen herrschte. Der Tinzl-Sand-Entwurf für ein neues Autonomiestatut kam zur Sprache und die Kundgebung von Sigmundskron, auf der die Parole „Los von .Trient“ geboren wurde; Dr. Stanek meinte, er sei damals der Meinung gewesen, man hätte besser von „Gleiche Rechte wie Trient“ gesprochen, denn in dieser Forderung bestehe ja die angestrebte Landesautonomie.

Viel Kopfzerbrechen und viele Schwierigkeiten bereitet nach wie vor — besonders aber bei der Einvernahme Dr. Staneks, wo es auf jedes Detail und auf jede Nuance ankommt — die Ubersetzung. Staneks Verteidiger, der Exparlamentsabge-ordnete Dr. Riz, hat darüber hinaus jedoch schon mehrmals schwerwiegende Ubersetzungsfehler korrigieren müssen.

Ein Fall betrifft ein Schreiben Dr. Gschnitzers an Stanek aus dem Jahre 1957. In diesem ersucht Doktor Gschnitzer Doktor Stanek, das Generalsekretariat der SVP zu übernehmen, da es wichtig sei, eine „vermittelnde Persönlichkeit“ in dieser Position zu haben. Die Ubersetzung der Anklage lautet, daß es wichtig sei, „direkt beteiligt zu sein“ (nämlich an den Beschlüssen der SVP). Damit wird dem ehemaligen Vizebürgermeister von Brixen unterstellt, er sei gewissermaßen als „lange Hand“ der österreichischen Politik in die Führung der SVP hineingeschleust worden.

Ein anderer Übersetzungsfehler betrifft einen Brief des ehemaligen Tiroler Landesrates Dr. Oberhammer und ist womöglich noch heimtückischer. In einem Postskriptum kündigt der Tiroler ÖVP-Politiker Dr. Stanek eine wirtschaftliche Subvention für den „Leitner“-Bauern in Tschöfs an. Die Anklageübersetzung machte aus dem Leitner flugs einen Leiter („Dirigente“), solcherart unterstellend, daß es sich dabei offenbar um den Leiter irgendeiner illegalen Gruppe handeln muß.

Die beiden Ubersetzer haben es nicht leicht. Sie tun sicherlich ihr Bestes. Hie und da passieren ihnen aber trotzdem Pannen, die für den Angeklagten schicksalbestimmend sein können.

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