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Deutsches Sprach ~ schweres Sprach

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In einem Amte, das aus Bescheidenheit nicht genannt sein will, war es seit ur-denklichen Zeiten Brauch, daß die Beamten ein wenig zu spät ins Büro kamen und es ein wenig zu früh verließen. Das war eine seit Jahrhunderten geheiligte Sitte, eine Att Naturalrecht, wie Dienstkleidung, Amtswohnung oder freie Bahnfahrt.

Aber die gute alte Zeit ging dahin. Die neue Zeit brach herein wie die schwarze Pest. Es tauchte die vermutlich falsch übersetzte ausländische These auf: ,;Zeit ist Geld“, deren Unsinnigkeit jedem klar war, da es zu den Landesüblichkeiten zählte, daß jeder Zeit, aber keiner Geld hatte.

So wurde denn auch die Axt an den noch immer prächtig blühenden Baum des Zuspätkommens gelegt. Der Konzeptspraktikant Dr. Hager erhielt den Auftrag, ein zweckdienliches Schriftstück zu verfassen, das die genaue Einhaltung der Bürostunden durch das Personal gewährleiste. Er legte zunächst einen Akt an, der die Zahl 45961 bekam. Dann schuf er das Konzept für einen

Laufzettel:

„Die Herren Beamten werden aufmerksam gemacht, daß von morgen an die Amtstunden pünktlich einzuhalten sind.“

Der Akt ging zur Vorrevision an den Kommissär Dr. Nalhoner, der nach entsprechender Vertiefung in denselbigen Herrn Dr. Hager zu sich beschied und sagte:

„Herr Kollega, so geht das natürlich nicht. Sie sind noch ein junger Beamter und nehmen die Sache ein bißchen zu leicht. Das, was Sie da geschrieben haben, ist erstens ungenau und zweitens nicht gut deutsch. Bei uns gibt es nicht nur die Beamten, sondern auch weibliches Personal, nicht wahr, außerdem aber auch noch Unterbeamte, provisorische Hilfskräfte, und schließlich sind auch drei Arbeiter im Hause beschäftigt. Dann ist „morgen“ keine genaue Bezeichnung. Ferner muß man den Leuten sagen, was Amtsstunden sind, was unter „pünktlich“ zu verstehen ist und was das Wort „einhalten“ beinhaltet. Machen Sie sich nichts draus. Die Welt ist auch nicht an einem Tage erschaffen worden. Wir alle haben lernen müssen, ehe wir das Richtige getroffen haben.“

Dr. Nathoner strich das Werk Dr. Hagers aus und schrieb:

Amtsverfügung.

„An sämtliche Herren Beamten von der vierten Dienstklasse abwärts, an alle Unterbeamten, die weiblichen Kanzleikräfte, die provisorischen Vertragsangestellten und die hieramts vorübergehend zugeteilten Arbeiter.

Es wird zur Darnachachtung in Erinnerung gebracht, daß die Herren Beamten von der vierten Dienstklasse abwärts, die Unterbeamten, die weiblichen Kanzleikräfte, die provisorischen Vertragsangestellten und die hieramts vorübergehend zugeteilten Arbeiter verpflichtet sind, um neun Uhr im Büro zu erscheinen und die ihnen obliegenden Dienstverrichtungen nicht vor vier Uhr zu beenden. Diesbezüglich wird auf den Artikel 19, Punkt 7, der Dienstvorschrift G 27 verwiesen, der unter anderem auch die disziplinaren Folgen beinhaltet, die einzutreten haben, wenn Beamte, Unterbeamte, weibliche Kanzleikräfte, provisorische Vertragsangestellte und vorübergehend zugeteilte Arbeiter trotz des hiemit ergehenden Erlasses die oben auseinandergesetzte Zeit nicht genau einhalten. Den Herren Vorständen wird die ofte Kontrolle des unterstellten Personals in diesem Belange zur Pflicht gemacht.“

Der Akt kam zu dem schon in halb leitender Stellung waltenden Dr. Bech-stein, in dessen elastischer Persönlichkeit ein feiner politischer Denker heranreifte. Er ließ Dr. Nathoner kommen und sprach mit eleganter Nebensächlichkeit:

„... und was ich noch sagen wollte, verehrter Herr Doktor, ich habe hier Ihren Akt betreffend die Amtsstunden. Einverstanden. Vollkommen einverstanden. Nur möchte ich das heikle Thema ein bißchen vorsichtiger angepackt haben. Es scheint mir, nach außen, politischer, wenn wir nicht gegen einen bestehenden übelstand, dessen Existenz von uns zwar gekannt, aber offiziell nicht zugegeben wird, schweres Geschütz auffahren, sondern wenn wir mehr eine Warnung für künftige mögliche Unzukömmlichkeiten aussprechen. Manches möchte ich auch etwas genauer, präziser haben. Allenfalls auch besser deutsch. Was meinen Sie zum Beispiel, sagt man ,es enthält' oder ,es enthaltet'?“

„Es enthält.“

„Nun sehen Sie, da muß man wohl auch sagen ,es beinhält', nicht ,es beinhaltet'. Auch habe ich das Gefühl, man müßte statt ,ofte' .oftmalige' Kontrolle sagen.“

„Man sagt aber doch auch .seltene Kontrolle'. Selten — seltene, oft — ofte. Warum nicht?“

„Ja, ,off ist ein Umstandswort der Zeit wie Jetzt', ,nie' et cetera. Man kann aber auch nicht sagen, die ,jetzte Kontrolle' oder die ,niee Kontrolle', nicht wahr?“

Dr. Bechstein lächelte überlegen. Doktor Nathoner verbiß seinen Zorn und ging. Dr. Bechstein dachte nach und schrieb: „Amtsvorschrift. Artikel I.“ Aber dann hielt er inne. Er erwies sich als der gewiegte Diplomat, für den man ihn hielt, und leitete den Akt an die für die nächste Woche einberufene Konferenz sämtlicher

Abteilungschefs zur gemeinsamen Beratung.

Die Sitzung gestaltete sich sehr bewegt. Es lag eine vom Präsidialisten Dr. Obenaus umgearbeitete, fünf Seiten zählende Fassung vor. Sie begann: „Mit Bezug auf die Verordnung vom usw.“ Hier entwickelte sich bereits eine scharfe Debatte, was deutsch sei und was nicht. Einige behaupteten, unter „Bezug“ sei das zu verstehen, was der Beamte, wenn auch in geringer Menge, beziehe, nämlich der Gehalt. Hier müsse es heißen: „Mit Beziehung“. Worauf Dr. Höcht erwiderte, daß man unter „Beziehungen“ jene einflußreichen Persönlichkeiten verstehe, die zu einer Karriere unerläßlich seien. Worauf Dr. Passauer bemerkte, daß man unter „Beziehungen“ nicht Personen verstehen könne, sondern höchstens das Verhältnis zu ihnen. Und weiter heiße es nicht „der Gehalt“, sondern „das Gehalt“. Dr. Fitz, ein kleines, runzliges Männchen, hatte den „Duden“ mit, in dem er bei jeder Streitfrage hastig blätterte und dann in den Saal rief: „Duden sagt...“ (es klang immer wie „Dudelsack“).

Ein gewaltiges Ringen entspann sich um die Frage, ob es „trotz dem'1 oder „trotz des“ heißen solle. Die Trotz-demisten wurden als Renegalen, geradezu als Trotzkisten bezeichnet. Dann wurde nach einer genauen Fassung des Begriffes „zu spät“ gesucht. Ferner wann der Beamte als im Büro befindlich zu betrachten sei. Wenn er zu arbeiten beginne oder schon, wenn er durch das Ter des Amtsgebäudes schreite. Hiebei wurde das Wort „befindlich“ als undeutsch bemängelt. Das gleiche geschah dem Worte „bemängeln“, wie von Dr. Kapp „ausstellig bemerkt“ wurde. Worauf Doktor Zehetner den Einwurf machte, daß man besser „ausstellen“ sage. Worauf erwidert wurde, daß „Einwurf“ das Lodi beim Automaten sei, wo man das Geld hereinwerfe. „Hineinwerfe!“ rief ein anderer dazwischen. Der Streit, wann „hin“ und wann „her“ zu sagen sei, wogte lange hin und her, stets untermalt von der immer wiederkehrenden „Duden-sagt“-Begleitung.

Nach der Mittagspause stieg das Niveau mehr ins Begriffliche und Philosophische. Um den Begriff der Amtszeit genau zu erfassen, mußte der Zeitbegriff

überhaupt näher beleuchtet werden. Da zeigte sich, daß der Zeitbegriff ein ganz merkwürdiges Gebilde war, das dem Messer der amtlichen Logik immer wieder wie ein nasser Fisch entglitt. Ein jüngerer Herr, der über Einstein in den Zeitungen gelesen hatte, betonte die ungeheure Kompliziertheit des Problems. Der Laie könne heute nicht mehr mit. Es gebe schon einen gekrümmten Raum. Warum nicht auch eine gekrümmte Zeit? Besser, nicht daran zu rühren.

Schließlich erhielt Dr. Pelikan den Auftrag, eine Amtsverfügung, nötigenfalls eine kleine Broschüre unter Berücksichtigung aller hier vorgebrachten Einwände und Verbesserungen anzufertigen. Doktor Pelikan mühte sich redlich. Das Werk wuchs auf sechs, zehn, fünfzehn Seiten.

Aber noch immer war es nicht restlos genau und einwandfrei deutsch. Da fiel ihm sein Freund Bärenstein ein, der sich bald nach der Matura der Literatur ergeben und schon viele Bücher geschrieben hatte. Er traf ihn im Cafe Central bei einer Schachpartie. Da der Gegner gerade lange über einen Zug nachdachte, konnte Bärenstein Dr. Pelikan immerhin mit einem Ohr anhören, während er mit dem anderen den Selbstgesprächen des Gegners folgte. Er nickte oftmals mit dem Kopf, und als Pelikan zu Ende gesprochen hatte, sagte er etwas zerstreut: „Ja, das ist nicht so einfach ... gar nicht so einfach ... wenn er jetzt mit dem Turm geht... ja, die deutsche Sprache ... verdammte Geschichte ... ja ... man darf da nie zu genau hineinsteigen (oder hereinsteigen? dachte Dr. Pelikan) ... also, Herr Gerstel, wann werden Sie endlich ziehn? ... nämlich, ja, man löst so manches Rätsel, aber so manches Rätsel knüpft sich auch ... sagt Herr Gerstel... nämlich Mephisto, du weißt ja ... Die Sprache ist etwas Wundervolles, aber sie ist nicht fest, sondern gasförmig ... die Begriffe sind lauter Nebelflecke, übergreifen einander, schneiden sich...- je schärfer du mit dem Fernrohr hinschaust, desto mehr neue Nebelflecke tauchen auf... wart, das mit den Nebelflecken muß ich mir notieren (er kritzelte hastig etwas auf den Marmortisch) ... Na, Herr Gerstel, haben Sie endlich gezogen? ... was will er da mit dem Roß... mit dem blöden Roß ... nämlich, mußt du wissen, der Duden ist bei mir ein ganz gewöhnlicher Oberlehrer ... ha, Schach will er geben, der Patzer! ... ja, und die Sprache, lieber Pinguin, wird nämlich nebenbei auch gesprochen, daher der Name Sprache, ja wohl... der Patzer... alles fließt weiter ... Duden, ha, lächerlich... Genauigkeit ist Quatsch ... und Deutsch kann niemand ... nicht einmal ich ... so ist es, lieber Papagei... so, dorthin geh ich, Herr Gerstel... was gedenken Sie auf diesen starken Zug zu tun? Was wollen Sie tun? Was können Sie tun? Was sollen Sie tun? Aufgeben... ja, ja, servus, lieber Vogel, wenn du was braudist...“

Dr. Pelikan hörte die letzten Worte nicht mehr und eilte heim. Am nächsten Tage im Büro nahm er den Akt und schrieb klein und schlicht: ad acta. Nach längerem Nachdenken unterschrieben auch die höheren Vorgesetzten. Der Akt sank in die Registratur, wo er heute noch ruht. Das alte, ehrwürdige Gewohnheitsrecht blieb in Kraft. Die Beamten, die Unterbeamten, die weiblichen Hilfskräfte, die provisorisch Zugeteilten und die Arbeiter kamen wie bisher zehn Minuten zu spät und gingen zehn Minuten zu früh. Da somit ungefähr 200 Personen dem alten Brauch in Treue anhingen, wurde der Staat um rund 20.000 Stunden im Jahre weniger verwaltet, was in hervorragendem Maße zum Gedeihen des Landes beitrug und aufs neue dafür Zeugnis ablegte, daß noch ungeahnte Schätze in der Sprache schlummern. Man muß es nur verstehen, sie zu heben.

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