Angst ist kein unüberwindbares Schicksal

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Carla Stanek war 26 Jahre alt, als ihr Leben durch den Selbstmord ihrer Mutter aus den Fugen geriet. Panische Angst war danach ihr ständiger Begleiter. "Ich habe wie auf einem Pulverfaß gelebt, und es hat mich enorm viel Kraft gekostet, die alltäglichen Dinge zu erledigen", erinnert sich Stanek. Heute weiß sie, daß sie unter Panikattacken, plötzlich einsetzende, intensive Angstzustände, gelitten hatte.

Die Ärzte meinten damals, daß sie erblich vorbelastet wäre und verschrieben ihr Medikamente gegen die Depressionen. Süchtig machende Medikamente, die sie nun bis an ihr Lebensende nehmen müßte. "Damit war für mich die Sache besiegelt. Aus, Ende. Die Ärzte haben mir gesagt, ich wäre unheilbar krank, ich müßte vorsichtig leben, sonst würde ich wie meine Mutter enden. Mit Selbstmord! Die Medikamente haben bewirkt, daß ich alles wie durch einen Schleier erlebt habe. Ich war völlig phlegmatisch, obwohl ich eigentlich ein sehr lebhafter Mensch bin."

Carla Stanek erzählt diesen Abschnitt ihres Lebens ohne Verbitterung, obwohl die Ärzte damals offensichtlich eine Fehldiagnose stellten. Denn heute ist sie ein völlig gesunder Mensch, lebensfroh und temperamentvoll. Ein kleiner Wermutstropfen ist ihr allerdings geblieben. "Die schönste Zeit meines Lebens habe ich diese Krankheit gehabt, 15 Jahre einfach weggeschmissen", bedauert Stanek.

Erst als sie bereits über 40 war, hat ein Arzt erkannt, daß Carla Stanek unter einer schweren Angststörung litt und die richtige Behandlung in die Wege geleitet. "Als ich gehört habe, daß meine Krankheit kein Schicksal ist, sondern daß ich eine Chance habe, habe ich sie mit all meiner verbliebenen Kraft ergriffen", erinnert sich Stanek. Zwei Jahre hat die Therapie gedauert. Danach waren die Angst, und die damit verbundenen körperlichen Beschwerden, wie etwa Kreislaufbeschwerden, verschwunden. "Ich konnte damals beispielsweise nicht mehr mit dem Auto fahren. Vier Monate nach Beginn der Therapie bin ich bereits alleine ins Ausland gefahren." Im Laufe der Therapie mußte sie mit Hilfe ihres Arztes die Medikamente absetzen, und das war für sie ein schwerer Entzug, weil ich von den Medikamenten bereits körperlich abhängig war."

Danach gründete Carla Stanek eine Selbsthilfegruppe. Der Gedanke dazu kam ihr nach einem Auftritt im ORF. Sie erzählte ihre Lebensgeschichte und wie sie von ihrer Angstkrankheit geheilt wurde. "Ich habe nicht gewußt, was das für Folgen haben würde. Ich habe 84 Briefe bekommen von Menschen, denen alleine die Botschaft, daß ich es geschafft habe, schon Hoffnung gegeben hat." Mit drei Mitgliedern eröffnete sie 1991 die Selbsthilfegruppe, den Club D&A (Selbsthilfe bei Depression und Angststörungen). Heute betreut der Club in ganz Österreich 3.600 Menschen.

Männer fühlen sich gleich als Versager Der Club dient als erste Anlaufstelle. "Selbsthilfe heißt aber nicht, daß ich es alleine schaffen muß, wie viele glauben. Selbsthilfe heißt, sich die richtigen Helfer auszusuchen", betont Stanek. Der Club D&A hat aus diesem Grund Partnerärzte in ganz Österreich. Ärzte, die eine Angstkrankheit richtig behandeln. Denn das ist auch heute bei weitem nicht selbstverständlich. Meist wird die Krankheit erst erkannt, wenn der Patient bereits einen langen Leidensweg hinter sich hat. Sieben Jahre dauert es im Schnitt, bis eine Angststörung als solche behandelt wird. Manche Patienten durchlaufen in ihrer medizinischer "Karriere" mehr als 70 "Stationen", ehe sie auf einen Therapeuten stoßen, der imstande ist, mit ihnen gemeinsam das Problem zu lösen.

Oberster Grundsatz in der Selbsthilfegruppe ist, daß sich der Patient angenommen fühlt. "Denn es ist ein großer Unterschied, ob der Patient die Schwelle eines Spitals überschreitet oder sich in eine private Atmosphäre begibt, wo er andere Betroffene trifft." Trotz des großen Erfolges gibt es noch immer eine große Zahl von Menschen, die von einer Angstkrankheit betroffen sind. "Diese Menschen teilen sich oft nicht mit, sie gestehen es sich meist selbst nicht ein, daß sie an dieser Krankheit leiden. Sie glauben, daß das ein Schicksal ist, das sie ertragen müssen. Das müssen sie aber nicht. Ihnen kann Hilfe angeboten werden."

Was Carla Stanek kritisiert, ist das Unverständnis der Öffentlichkeit für Menschen, die unter Angst leiden. "Vor allem für Männer ist das schwierig. Sie fühlen sich gleich als Versager, als wertlose Mitglieder der Gesellschaft." Auch in den Club D&A kommen mehr Frauen als Männer. Laut Statistik sind allerdings beide Geschlechter gleich häufig von einer Angsterkrankung betroffen. Jeder Zehnte hat irgendwann im Laufe seines Lebens eine Panikattacke, bei einem Sechstel davon kommen diese Anfälle immer wieder. "Frauen wenden sich leichter und früher an jemanden, der ihnen helfen kann. Männer ersticken ihre Angst häufiger mit Alkohol oder arbeiten bis zum Umfallen," so Stanek Und noch etwas ist Carla Stanek im Laufe ihrer Tätigkeit aufgefallen. Die Menschen, die bei ihr Hilfe suchen, werden immer jünger. "Jugendliche finden derzeit viel schwerer einen Job, der Existenzkampf ist härter geworden, Beziehungen scheitern. Viele Jugendliche kommen aus einem kaputten Elternhaus, wo sie kein Gefühl der Sicherheit mitbekommen haben. Die jungen Menschen haben weniger Strukturen als früher, und das erzeugt auch Angst." kun.

Kontaktadresse: Carla Stanek, Club D&A, Schwindgasse 5, 1040 Wien, Tel. Nr. 504 46 80.

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