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Von der sanften Spielart des Islam

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Eingezwängt zwischen Algerien und Libyen, gelingt es Tunesien, mit einer Mischung aus Ordnung und Demokratie seinen eigenen Weg zu gehen.

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Eingezwängt zwischen Algerien und Libyen, gelingt es Tunesien, mit einer Mischung aus Ordnung und Demokratie seinen eigenen Weg zu gehen.

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Rein geopolitisch betrachtet haben die Tunesier nichts zu lachen: Eingezwängt zwischen dem vom Bürgerkrieg erschütterten Algerien und dem „revolutionären” Libyen Muammar Gaddafis, erinnert ihre Lage an jene der Ersten österreichischen Republik zwischen Hitlerdeutschland und Mussolinis Italien.

Doch im Falle Tunesien hinkt dieser Vergleich ganz gewaltig. Im Gegensatz zu vielen Österreichern der 30er-Jahre wissen die Tunesier ihre Eigenständigkeit sehr wohl zu schätzen. Es geht ihnen gut, objektiv betrachtet besser als den Einwohnern jedes anderen arabischen Staates. Die Mischung von Ordnung und Demokratie, die seit der mehr oder weniger zwangsweisen Pensionierung des Staatsgründers Habib Bourgiba durch dessen „modernen” Nachfolger Zine El-Abidine Ben Ali (seit 1987 im Amt) herrscht, scheint der toleranten Spielart des Islam in Tunesien zu entsprechen. Wofür auch die Tatsache spricht, daß in diesem 1 ,and Andersgläubige nie ernsthaft unterdrückt oder verfolgt wurden.

Der Ölreich-tum Libyens, mit dem Gaddafi immer wieder winkt, kann die Tunesier angesichts der internationalen Isolation von „Bruder Muammar” nicht reizen, ebensowenig der islamische Fundamentalismus der algerischen GIA-Fanatiker. Nicht, daß die Nachbarn ke*ine Versuche unternommen hätten, das „lasche” Tunesien anzuschließen. Gaddafi ging sogar soweit, Habib Bougiba bei dessen Staatsbesuch im Nachbarland mit gar nicht so sanfter Gewalt zu zwingen, einen Unionsvertrag zu unterzeichnen. In die Heimat zurückgekehrt, zerriß Bourgiba jedoch den Vertrag und feuerte seinen Außenminister, der ihn zu diesem Staatsbesuch überredet hatte.

Die algerischen Fundamentalisten würden sich ihrerseits gerne in Tunesien etablieren, doch die Begie-rung Ben Alis hat dies bisher so effektiv unterbunden, daß sich die Führung der GIA gezwungen sah, nach Europa auszuweichen und dort unter den algerischen Gastarbeitern Unruhe zu stiften.

Auch in Tunesien waren die Fundamentalisten noch vor einigen Jahren recht aktiv, doch gelang es der Begierung, sie unter Kontrolle zu bringen. „Mit einem globalen Programm”, wie Tunesiens Außenminister Habib Ben Yahia dem Korrespondenten versicherte: „Nicht nur mit polizeilichen Maßnahmen, sondern auch mit einem sozialen Paket.”

Dennoch wird Sicherheit weiterhin in Tunis groß geschrieben. Zumindest in der Hauptstadt und auf den wichtigsten Landesstraßen ist die Präsenz, schwerbewaffneter Polizei unübersehbar - was von Ausländern keineswegs als störend empfunden wird; und es ist verboten, den gemeinsamen Amtssitz von Regierungschef und Außenminister im ehemaligen Palast der Beys zu fotografieren.

Sowohl Gaddafi als auch die viknnarkpoiu algerischen Fundamentalisten würden gerne ihren Einfluß in

Kairouan, der viertheiligsten Stadt des Islam (nach Mekka, Medina und Jerusalem) verstärken, um mehr Einfluß in der arabischen Welt zu gewinnen, doch die Tunesier antworteten mit einem entschlossenen „Hände weg!”. Kein anderes muslimisches Heiligtum kann heute von Ausländern in passender Kleidung so ungestört besucht werden, wie die Große Moschee Okba Ibn Nafis in Kairouan.

Außenpolitisch steht Tunesien eindeutig im prowestlichen gemäßigten Lager. In Tunis gibt es eine Interessenvertretung Israels, und Tausende jüdischer Pilger - zumeist tunesischer Herkunft - nehmen alljährlich an der Wallfahrt zur Synagoge El Ghriba auf der Insel Djerba teil. Gemeinsam mit Israel gehört Tunesien der Fünf-Mann-Kontaktgruppe der südlichen Mittelmeerländer an, welche mit der OSZE in Wien verhandelt.

Nach der Abhalfterung Bourgibas wurden auch dessen krause sozialistische Wirtschaftsmaßnahmen über Bord geworfen - mit geradezu erstaunlichem Erfolg. „Schwarz”-Geldwechseln ist völlig unnötig geworden, und ausländisches Geld strömt wieder ins Land, seitdem Investoren ihre Gewinne „exportieren” können. Parallel dazu wurden die Rechte der Frauen in einem für islamische Staaten erstaunlichen Maß erweitert - wiewohl diese Schritte der Frauenrechtlerin Faiza Keti noch immer nicht weit genug gehen: „Aber wir sind im Vormarsch, jedenfalls nicht auf dem Rückzug wie in anderen nordafrikanischen Ländern.” Gaddafis weibliche Leibgarde erscheint ihr indessen nicht als Vorbild.

Touristisch ist Tunesien längst kein Geheimtip mehr, was von Fans nicht nur als Fortschritt betrachtet wird. Die Tunesier selbst wundern sich, daß die meisten Besucher in den Badeorten „kleben” bleiben und vom reichhaltigen Kultur- und Abenteuerangebot wenig Gebrauch machen. Etwa von Wüstensafaris auf den Spuren Karl Mays. Was hätte wohl Kara Ben Nemsi zu einem komfortablen Trip zum großen Salzsee Schott el Gerid gesagt: „Zu ungefährlich.” Den heutigen Nemsa-wis erscheint diese Gefahrlosigkeit eher als Fortschritt.

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