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Die Araberin - das unbekannte Wesen

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In Tunesien, dem kleinsten Land Nordafrikas, traut mancher Besucher seinen Augen nicht, wenn er junge Tunesierinnen in kurzen Röcken den Verkehr regeln sieht. Bisher kannte man den Maghreb nur als eine Männerwelt, in der sich verschleierte Frauen wie scheue, schemenhafte Wesen bewegten.

In Marokko kann man erleben, daß westlich gekleidete Marokkanerinnen von ihren jungen Landsleuten angeraunzt, bedrängt und verhöhnt werden. Ein Gang durch die Stadt ist dort für eine Frau ohne Begleitung manchmal ein Spießrutenlaufen.

In Algerien verkündete wieder einmal die Partei- und Regierungszeitung „El Mouhjahid” in fetter Schlagzeile: „Die Revolution bestätigt erneut die Rechte der Frau!” Aber wo sind die Frauen, fragt man sich, wenn man ein Cafe- betritt oder eine Sportveranstaltung besucht.

Die Algerierin, sagen Nordafrikakenner, habe während des Unabhängigkeitskampfes weitgehendere Rechte gehabt als heute. Nicht nur auf dem Lande, auch in städtischen Familien treffen noch immer die Eltern die Brautwahl, sie verständigen sich über das Brautgeld, und erst in der Hochzeitsnacht bekommt der Bräutigam seine Frau zu Gesicht. Algerien hat mehr verschleierte Frauen als Tunesien und sogar Marokko.

Zwar behaupten algerische Männer, der Schleier sei eine Koketterie der Frauen, sie möchten beim heimlichen Flirt von ihren Ehemännern und Brüdern unerkannt bleiben. Es heißt auch, der Schleier sei ein Protest gegen die einst von den Franzosen forcierte Europäisierung Nordafrikas, Zu einer Anti-. Schleier-Kundgebung der .Franzosen seien damals nur die Freudenmädchen Algiers erschienen.

In Libyen hat der Revolutionsrat in seinem Arabisierungseifer die Frauen in die Zeit des Propheten Mohammed zurückversetzt. Dort ist die Vielehe erlaubt, aber der Minirock verboten. Männer dürfen nicht den Beruf des Damenfriseurs ausüben, weil der Koran verbietet, daß ein Mann den Kopf einer fremden Frau berührt. In diesem Randland des Maghreb treten die Frauen am wenigsten in Erscheinung.

Die Frau in Gesellschaft des Mannes ist in Nordafrika immer noch ein seltener Anblick. Spazierengehende Ehepaare machen den Eindruck, sie gehörten nicht zusammen. Junge Liebespaare aber, die in Versuchung geraten, in der Öffentlichkeit harmlos-schüchterne Zärtlichkeiten auszutauschen, werden nicht nur sprachlos angegafft, sondern polizeilich verfolgt.

Vor den Parktoren in Algier und Tripolis wachen Beamte darüber, daß unverheiratete junge Paare oder gemischte Gruppen nicht die Parkanlagen betreten. Dem Kinopublikum werden gewagte Liebesszenen vorenthalten. Weniger gewagte Szenen lösen Gejohle und Gelächter aus.

Die überkommene arabisch-islamische Sozialstruktur macht aus dem Mann einen krassen Egoisten. Der Frau bleibt es vorbehalten, zu Hause zu schalten und zu walten. In der streng abgegrenzeten Welt der Männer hat sie nichts zu suchen. Der Mann möchte diesen Zustand im Grunde nicht verändert sehen, so sehr ihn andernteils auch der westliche Frauentyp anzieht.

Normalerweise heiraten die Männer verhältnismäßig spät, sie müssen erst einen Arbeitsplatz finden und Geld verdienen. Viele junge Araber machen ihre ersten Liebeserfahrungen im Bordell, auch in einem sozialistischen Staat wie Algerien, wo Prostitution offiziell verboten ist. Kein Wunder, daß die Frau wenig geachtet wird. In den Augen vieler Männer ist sie vor allem Sexualobjekt, weniger eine Partnerin.

Eine Umfrage in Marokko ergab, daß 64 Prozent der befragten jungen Männer ihre Frauen praktisch einsperren wollen. Auf die Frage: „Was wirst du deiner Frau einmal nicht erlauben?” lauteten die häufigsten Antworten:

„Sie darf nicht allein aus dem Hause gehen, sie darf nicht mit Fremden sprechen, sie darf nicht arbeiten gehen, sie darf nicht mit mir streiten, sie soll gehorchen”. Die meisten jungen Männer fanden die Art, wie bei ihnen zu Hause die Frau behandelt wird, völlig in Ordnung.

In puncto Frauenemanzipation ist Tunesien zweifellos das fortgeschrittenste Land Nordafrikas. Unter Habib Bourguiba, dem Landesvater der fünfeinhalb Millionen Tunesier, wurden der Gesichtsschleier und die mohammedanische Vielehe abgeschafft. Für die Eheschließung wurde ein Mindestalter festgesetzt; junge Frauen können erst ab 16, junge Männer ab 18 Jahren heiraten.

Ein Flirt junger Leute erregt hier weniger Aufsehen als in den anderen Maghrebländern. Und nur in Tunesien sieht man neben dem Konterfei des Präsidenten das Porträt seiner Frau. Von Madame Bourguiba heißt es freilich, sie sei nicht nur am politischen Geschäft Tunesiens, sondern auch an internationalen Finanzunternehmen beteiligt. Undenkbar wäre allerdings auch in Tunesien - wie in allen arabischen Ländern - eine Frau auf dem Präsidentenstuhl.

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