6802935-1971_43_16.jpg
Digital In Arbeit

„Ich war im Harem“

19451960198020002020

Die normalen Assoziationen beim Erwähnen des Saudischen Königreiches sind ziemlich einheitlich: Wüste, Erdöl, Harem, verschleierte Frauen, Ihn Saud, Vielweiberei, Reichtum; unendlicher Reichtum. Darf eine Europäerin unverschleiert auf die Straße? Darf sie allein das Haus verlassen? Darf sie in europäischer Kleidung auf dem Markt Einkäufe machen? Besteht die Möglichkeit, als Frau in Saudi-Arabien einer Arbeit nachzugehen? Fragen, auf die niemand oder nur wenige Antworten geben können. Nun, ich habe mich einen Monat in Saudi-Arabien aufgehalten. Und ich weiß, wie falsch die arabische Welt eingeschätzt wird.

19451960198020002020

Die normalen Assoziationen beim Erwähnen des Saudischen Königreiches sind ziemlich einheitlich: Wüste, Erdöl, Harem, verschleierte Frauen, Ihn Saud, Vielweiberei, Reichtum; unendlicher Reichtum. Darf eine Europäerin unverschleiert auf die Straße? Darf sie allein das Haus verlassen? Darf sie in europäischer Kleidung auf dem Markt Einkäufe machen? Besteht die Möglichkeit, als Frau in Saudi-Arabien einer Arbeit nachzugehen? Fragen, auf die niemand oder nur wenige Antworten geben können. Nun, ich habe mich einen Monat in Saudi-Arabien aufgehalten. Und ich weiß, wie falsch die arabische Welt eingeschätzt wird.

Werbung
Werbung
Werbung

Die erste Überraschung bereitete mir die nächtliche Ankunft auf dem Flughafen von Riyadh: kein einziger Araber würdigte mich auch nur eines Blickes. Schon gar nicht die Zollbeamten, die eifrig im Gepäck eines jeden nach nichts anderem als Alkoholika suchten. Salamistangen, die ihnen ab und zu in die Hände fielen, legten sie achtlos beiseite: obwohl auch die Einfuhr von Salami strikt verboten ist. Mein kleines goldenes Kreuz, das ich an einer Kette um den Hals trug, blieb unbemerkt, obwohl mir die verbotene Einfuhr meines Halsschmucks gar nicht bewußt war.

Saudi-Arabien ist das Mutterland des Islam; der Mittelpunkt der Welt, die heiligste Stadt Mekka, untersteht seiner Gerichtsbarkeit und Gesetzgebung. Mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der im katholischen Italien der Vatikan die

Scheidung verbietet, richtet sich die saudi-arabische Legislatur nach den Suren des Koran: Alkoholika, sowie der Genuß von Schweinefleisch sind verboten.

Ohne Tradition und Schleier

Es begann mit einer Einladung. Prinz Fued bat zur Party…Mein Mann war inzwischen in der Rub al Kali, tausend Kilometer weiter im

Süden, ich selbst wohnte bei einem italienischen Ehepaar. Er war UNO- Beamter, seine Gattin das, was notgedrungen in Saudi-Arabien jede Europäerin ist: eine Frau mit viel Freizeit und einer Menge Freundinnen. Einer Frau ist (mit wenigen Einschränkungen wie Ärztin oder Stewardeß) die Ausübung eines Berufes verboten. Seit Jahren im Land, kannte dieses Ehepaar Gott und die Welt, oder wie man stilecht sagen müßte, Allah und seine Machthaber.

Um neun Uhr waren wir zur Party geladen. Unser amerikanischer Straßenkreuzer parkte würdevoll neben den anderen Autos. Im Palast selbst war versammelt, was üblicherweise auf Partys dieser Gesellschaftsschachten kommt. Gastgeber Prinz Fued und seine Frau, Brüder und Neffen, Scheichs und Emire, Direktoren aus der Wirtschaft, Beamte der Verwaltung, Honoratioren aus Rundfunk und Fernsehen. Dann Europäer und Amerikaner mit ihren Frauen, denen im Laufe der Jahre die Ehre zuteil geworden war, miteingeladen zu werden. Vier Herren, die sich zwanglos am Whiskykonsum beteiligten: Geheimpolizisten. Selbstverständlich waren die meisten Saudis mit ihren Frauen erschienen. Ohne Schleier natürlich. Denn man kam im „american way of life“ zusammen. Bis zum Palast war man allerdings verhüllt gekommen: dann hatte man Tradition und Schleier abgelegt.

Ich habe kaum hübschere Frauen gesehen, als die nach letzter Pariser Mode gekleideten Prinzessinnen. Ich habe aber auch kaum hübschere Frauen gesehen, als ich zwei Wochen später mit meinem Mann das echte Saudi-Arabien erleben durfte. Ich habe Arabien noch mehr lieben gelernt, als ich in den kleinsten Wüstenortschaften von Harem zu Harem kam und dort die Welt der arabischen Frau erlebte und kennen lernte.

Harem. Für uns Europäer ein Traum- und Zauberwort. Ein Begriff, der seinem Wesen in nichts nahekommt. Den Harem nach unserem Begriff gab es zwar einmal und König Ibn Saud war einer der letzten, der auf ihn Wert legte. Im Grunde genommen bedeutet Harem aber heute nichts anderes als „Frauengemach“. Und da es in Saudi-Arabien genau so teuer ist, eine Frau zu erhalten wie in Europa, wird der Durchschnitt der mit einem Mann verheirateten Frauen bei etwa 1,5 liegen.

Im Harem leben die Frauen des Hauses. Also die Ehefrau, vielleicht die zweite, das aber eher selten, da die zweite Frau — wenn es eine gibt — einen eigenen Haushalt in einem anderen Dorf führt. Der Begriff der Eifersucht macht sich unter europäisch-amerikanischem Einfluß auch unter Araberfrauen breit.

Wer sonst lebt im Harem? Die

Frau, die Schwestern des Mannes, seine Kinder, andere weibliche Verwandte. Wie der Harem aussieht? Wie der den Männern reservierte Teil des Hauses, nur mit mehr Liebe und mehr Achtung vor der Frau eingerichtet, als man in unseren Breiten zu glauben bereit ist.

Natürlich begehrt auch der Araber andere Frauen — wie sollte er auch nicht! Hat er die Möglichkeit, erfolgreich zu sein, wird seine Achtung vor der eroberten Frau hingegen ins Bo-

denlose sinken. Mit Unrecht? Wie sehr achtet der Europäer seine Gelegenheitsfreundin? Welcher europäische — oder amerikanische — Mann nimmt nicht das Recht für sich in Anspruch, eine Freundin zu haben, bezeichnet aber seine Frau als unberührbar und für fremde Männer tabu. Wo wäre da ein Unterschied, zwischen unserem Kul- turkreis und dem arabischen?

Kam ich in die Frauengemächer einer Familie, weitab der Hauptstadt und unserer sogenannten Zivilisation, wurde ich immer wieder bestaunt. Freude und Gastfreundschaft der Frauen kannten keine Grenzen. Meine Haare wurden betastet, gekämmt, geölt, gebürstet. Ich wurde mit Parfüm überschüttet, meine Kleider wurden bewundert. Man kleidete mich in arabische Tracht, verhüllte und verschleierte mich, lud mich zum Essen und zum Tratsch ein, zeigte mir die Kinder, säugte sie vor mir. Ich fand manchen

Unterschied zu uns: alles war herzlicher und echter, ungekünstelt und ehrlich.

Haben wir Europäerinnen und Amerikanerinnen unsere Fraulichkeit unter dem Namen der Gleichberechtigung um den Preis verkauft, auf offener Straße Zigaretten rauchen zu können?

Ich habe im Harem darüber nachgedacht. Ich liebe Saudi-Arabien. Und sogar den Harem…

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung