Langeweile und Sexgespräche im Harem

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Eine Schweizerin erzählt, wie sie die Zeit als Französisch-Lehrerin eines Prinzen in einem saudi-arabischen Harem überstand.

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Eine Schweizerin erzählt, wie sie die Zeit als Französisch-Lehrerin eines Prinzen in einem saudi-arabischen Harem überstand.

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In der der Malerei des 19. Jahrhunderts räkeln sich im Harem üppige Odalisken hingabewillig auf weichen Pfühlen. Ein Augenzeugenbericht aus Saudi-Arabien zeigt jetzt die Wirklichkeit aus weiblicher Sicht. Denise Zintgraff, einst Geschäftsinhaberin in der Schweiz, später in einer Kommune auf Ibiza, schließlich professionelle Kunsteinkäuferin in New York, trifft in Paris eine Prinzessin aus Saudi-Arabien. Die sucht eine Vorleserin für ihren kleinen Sohn, "den vertraue ich dir an; du gibst mir dafür deine Freiheit. Mein Sohn ist für mich das Wichtigste auf der Welt - das muß dir als Garantie genügen; mehr kann ich dir nicht geben, und mehr kann ich dir nicht sagen."

Denise Zintgraff nimmt das Angebot an und findet sich alsbald - trotz eindringlicher Warnungen - im Palast besagter Prinzessin in Riad wieder: "Aus dem Spiegel blickt mich ein schwarzes Gespenst an. Bin das wirklich ich? Ich weiß, hinter der dunklen Maske verbirgt sich mein Gesicht, unter dem Chiffonschleier mein blondes Haar, unter der knöchellangen Abaya mein Körper. Trotzdem habe ich Mühe, mich in der vermummten Gestalt wiederzuerkennen. Erbarmungslos führt mir der Spiegel meine Verwandlung vor Augen, sie ist erschreckend, und doch geht von dem archaisch anmutenden Wesen da vor mir auch eine große Faszination aus."

Der Brauch, die Frauen wegzusperren, geht auf die vorislamische Zeit zurück und wird nur noch in Saudi-Arabien streng eingehalten. Die Aufgabe der Schweizerin im Harem war es, dem sechsjährigen Prinzen Französisch beizubringen. Sie gewinnt den verzogenen Mini-Macho sogar lieb. Was sie sonst über das Leben in einem der heißesten Länder der Erde erfährt, kommt aus Frauenmund, denn Kontakt mit Männern ist auch der Ausländerin streng untersagt. Wachten früher türkische Eunuchen im Harem, so sind es heute türkische Diener. Männer dürfen nur mit den Frauen aus der eigenen Familie sprechen. Auf vorehelichen Geschlechtsverkehr steht die Todesstrafe. Die Europäerin sieht jeden Freitag die Hinrichtungen und das Handabhacken im Fernsehen. Und ihre Angst wächst, bis sie sich kaum mehr aus dem Harem hinauswagt.

Nach drei Monaten hat sie sich an das träge Leben so gewöhnt, daß ihr die Klausur scheinbar inneren Frieden bringt. Fünfmal am Tag ruft der Muezzin zum Gebet, gearbeitet wird von denen, die arbeiten müssen, maximal drei Stunden. Frau Zintgraff schildert ein soziales Paradies: kostenlose Behandlung im Spital für jeden, niemand zahlt Steuern, Armut gibt es nicht. Sie bewohnt ein eigenes Haus mit Garten, ihre Dienerinnen finden es selbstverständlich, am Fußende ihres Bettes zu schlafen. Uhr und Kalender haben keine Bedeutung. Gehälter werden immer zu Neumond ausbezahlt. Die Religion beherrscht das Leben, aber nicht die Phantasie: Die Philippininnen mit ihren Zweijahresverträgen leiden unsäglich unter der Abwesenheit der Männer und auch die Autorin gibt ihre sexuellen Entzugserscheinungen unumwunden zu. Sex ist das beherrschende Gesprächsthema unter den Frauen. Viele Ausländerinnen verlassen das Land rasch, weil sie die Enthaltsamkeit nicht ertragen und Beziehungen unter den Augen der Sittenpolizei lebensgefährlich sind.

Die Araberinnen, welche die Autorin auf Festen und im Alltag kennenlernt, sind sanft, haben stets ein strahlendes Lächeln, geben sich weiblich und bekommen im Lauf der Jahre jenen geistesabwesenden Blick, der die Frucht eines streßfreien, sorglosen Lebens ist. Die meisten saudi-arabischen Prinzen, es gibt über 3.000, haben nur noch eine Ehefrau. Der Ölreichtum hat die Menschen faul gemacht, das Klima tut ein übriges. Als kühler Monat gilt der Oktober, da sinkt das Thermometer auf 40 Grad, sonst ist es um zehn Grad wärmer.

Denise Zintgraff findet viel Freundlichkeit, menschliche Wärme und Anteilnahme unter den Haremsfrauen, die sich aus Dienerinnen, Friseusen, Masseusen, Schneiderinnen und so fort zusammensetzen. Doch wird sie so apathisch, daß sie 20 Kilo zunimmt und größte psychische Probleme bekommt, den Müßiggang zu ertragen. Die Vorstellung, daß eine Frau eine sinnvolle Beschäftigung braucht, die über das Märchenerzählen auf Französisch hinausgeht, ist den Araberinnen des Harems jedoch nicht nachvollziehbar. Ihre Lebensphilosophie: "Die Männer lieben und verwöhnen uns nur, so lange wir es schaffen, sie zu erregen. Deshalb müssen wir Frauen an allererster Stelle schön sein und mit unseren Reizen umzugehen wissen."

Als die Idee aufkommt, ihr einen arabischen Ehemann zu suchen, nimmt sie Abschied. Außerdem ist ihr Schützling inzwischen acht Jahre alt geworden und wird der Obhut der Frauen entrissen. Die Rückkehr nach Europa und das Einleben gestaltete sich für die Haremserfahrene schwerer als geahnt: Hektik, Streß, Disziplin, Uhr in der Hand... Schade, daß die Sprache von Klischees strotzt. Was hätte eine schriftstellerisch Begabtere aus dieser Erfahrung machen können!

Die Frau aus Tausendundeiner Nacht: Mein Leben in einem Harem Von Denise Zintgraff, Marion von Schröder, München 1999 283 Seiten, geb., öS 281,- /e 20,40

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