Die zweite Revolution ist weiblich

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Seit der Wahl Mohammed Khatamis zum Präsidenten des Iran weht eine Reformbrise durch das Land. Erst kürzlich zeigte jedoch die Verhaftung des liberalen Teheraner Bürgermeisters, daß die konservativen Kräfte im Land nach wie vor mächtig sind. Aber nicht zuletzt die immer selbstbewußter auftretenden Frauen zeugen von Aufbruchstimmung.

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Seit der Wahl Mohammed Khatamis zum Präsidenten des Iran weht eine Reformbrise durch das Land. Erst kürzlich zeigte jedoch die Verhaftung des liberalen Teheraner Bürgermeisters, daß die konservativen Kräfte im Land nach wie vor mächtig sind. Aber nicht zuletzt die immer selbstbewußter auftretenden Frauen zeugen von Aufbruchstimmung.

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Leila kann keine Kinder empfangen. Gebildet und wortgewaltig, überredet sie - von der Schwiegermutter gedrängt - ihren Ehemann, sich eine zweite Frau zu nehmen, daß diese ihm einen Sohn gebäre. Denn erst dann sei das Leben des Mannes erfüllt.

Leila ist Fiktion, die Hauptfigur in einem gleichnamigen Film, der in der "Islamischen Republik" die Kinosäle füllt. Denn er wirft nicht nur die Frage der Vielehe auf, eine vom Islam unter bestimmten Voraussetzungen gebilligte Praxis, die die Iraner zunehmend ablehnen; Leilas Geschichte spiegelt auch die Probleme und Belastungen von fast 20 Millionen Perserinnen wider.

In ihrem Kampf um Befreiung und Gleichberechtigung in einer zutiefst patriarchalischen Gesellschaft setzen Irans Frauen heute große Hoffnung auf Präsident Zayed Mohammed Khatami, der ihnen seinen überwältigenden Wahlsieg im Vorjahr zu einem wesentlichen Teil verdankt. Khatami versprach den Iranerinnen einen größeren Anteil am öffentlichen Leben. Künftig sollen nach den Vorstellungen des Präsidenten "nicht Geschlecht, sondern Verdienst und Befähigung ... die Kriterien für die Übertragung von Verantwortung in Politik und Gesellschaft" sein.

Seit Khatamis Machtübernahme im August 1997 sind die Diskussionen über den Platz, den die Frauen in der "Islamischen Republik" einnehmen sollen, heftiger geworden, wagen immer mehr Autorinnen in diversen Medien des Landes, sich offen für die Gleichberechtigung der Geschlechter einzusetzen. Immer mutiger fordern sie die konservativen Geistlichen heraus, die sie zornig unter Berufung auf den Koran in die Schranken weisen wollen - aber vergeblich.

Bisher konnte Khatami seine Versprechen aber höchstens in Ansätzen erfüllen. Er bestellte zwar drei Frauen zu höheren Staatspositionen: Massumeh Ebtekar wurde Vizepräsidentin, Aazam Nuri stellvertretende Kulturministerin und Zahra Shojaei Generaldirektorin für Frauenangelegenheiten im Innenministerium. Die Übertragung eines Ministerressorts an eine Iranerin scheiterte jedoch am heftigen Widerstand der konservativen Patriarchen. Ebtekar und Shojaei dürfen aber an Kabinettssitzungen teilnehmen. Die Rechtsanwältin und Frauenaktivistin Mehranguiz Kaar sieht darin einen "Fortschritt von starker Symbolkraft. Denn wir Frauen hatten seit Gründung der ,Islamischen Republik' 1979 einen äußerst schwierigen Stand. Als Khomeini die Macht übernahm, drängte man uns aus dem öffentlichen Leben, verbot uns das Richteramt, entließ uns aus Ministerien und Schlüsselpositionen". Das Regime legte Anwältinnen und Ärztinnen enorme Hürden in den Weg.

Tradition & Moderne Die Iranerinnen, meint ein Intellektueller, spielen heute eine entscheidende Rolle in einem seit hundert Jahren tobenden Konflikt zwischen Tradition und Moderne, der durch die Revolution der Mullahs eine neue Dimension erhielt. "Weil die Tradition die Macht eroberte und sie auch behalten will, ist sie gezwungen, sich zu verändern. Sie tut dies nicht freiwillig, und deshalb kommt es oft zu grotesken und krassen Widersprüchen." Diese Widersprüche treffen vor allem die Frauen.

Zu Zeiten des Schahs verdammten die Geistlichen nicht nur das Lüften des Schleiers als Sakrileg. Ihnen galt gar jegliche Bildung für Frauen als ein "Weg zur Prostitution". 1969 erklärte der spätere Revolutionsführer Khomeini das Wahlrecht für Frauen als "unislamisch". Nach dem Sieg über den Schah zwang Khomeini den Iranerinnen im Namen "islamischer Reinheit" schärfste Restriktionen auf. Doch er brauchte ihre politische Unterstützung und rief sie deshalb zu den Wahlurnen.

Für die Masse der Iranerinnen, insbesondere der Unterschicht, war Khomeinis Revolution vor allem ihre Revolution gewesen. Sie stürzten für den Imam auf die Straßen. Die Revolution weckte das soziale und politische Bewußtsein der Perserinnen, sie ließen sich nicht mehr in ihre Häuser zurückdrängen. Mehr und mehr müssen sich die Mullahs heute den Zwängen dieser Realität anpassen. So öffneten sie die Schulen für Mädchen (die Analphabetenrate unter den Frauen sank seit 1979 von 40 auf 25 Prozent) und - da die Männer an der Front (im Krieg gegen den Irak von 1980 bis 1988) standen - auch die Büros. Die Berufstätigkeit der Frauen ist heute selbst in erzkonservativen Kreisen vom uralten Stigma der "Unreinheit" befreit. Fast 50 Prozent aller Universitätsstudenten sind derzeit Mädchen. 1976 machte der Anteil der Perserinnen unter den Ärzten neun Prozent aus, heute liegt er bei 45 Prozent. Insgesamt stellen Frauen nun ein Drittel aller Arbeitskräfte. Sie leiten und besitzen Unternehmen. Irans erste Busfahrerin, die 51jährige Soltan Belaghis, legt regelmäßig die tausend Kilometer lange Route zwischen Teheran und dem südlichen Kerman zurück. Im Parlament sitzen heute unter 257 Männern 13 Frauen - so viele wie nie zuvor.

Es sind - Ironie der Geschichte - ausgerechnet Schador und Hejab (das islamische Kopftuch), diese Mittel der Repression, die der Masse der Iranerinnen das Tor zu sozialem Aktivismus öffneten. Züchtig, bescheiden und unansehnlich gekleidet, können sie in Büros arbeiten, sich in einer traditionalistischen Umgebung frei bewegen und sich für ihre Rechte engagieren. Diesen in der Geschichte einmaligen Kampf führen an die 60 Organisationen diverser Richtungen - islamische und säkulare, gemäßigte und radikale. Sie setzen Abgeordnete, die Medien und Regierungsstellen unter Druck, mit dem Hauptziel, die vielen für Frauen demütigenden Gesetze zu verändern. Diese Iranerinnen entwickelten sich zu einer Kraft, die kein Politiker, kein religiöser Führer mehr ignorieren kann. Es gleicht einer "zweiten Revolution, die das islamische System zwingt, seine Meinung zu revidieren", meint Kaar stolz. Und Irans Frauen nennt die charmante Anwältin die "unbekannten Soldatinnen eines Kulturkrieges".

Anwältinnen An vorderster Front stehen die regimetreuen Frauenbewegungen, die mit "islamischen Argumenten" Reformen durchzusetzen suchen. So manche einflußreichen Geistlichen stehen ihnen bei. Die Frauen haben bereits die Aufhebung von Restriktionen durchgesetzt, die ihnen gewisse Studienrichtungen (Rechtswissenschaft, Ingenieurswesen und Medizin) versperrten. Für Streitfälle in Familienfragen werden seit kurzem Richterinnen wieder zugelassen. Auch Anwältinnen akzeptiert man heute erneut vor Gericht. Frauen, die gegen ihren Willen geschieden werden, sind nun zum Bezug einer stattlichen Geldsumme als Entschädigung für die in der Ehe geleistete Hausarbeit berechtigt.

Doch noch gilt es, viele Mißstände auszumerzen. Wenn Frauen gegen die islamischen Kleidervorschriften verstoßen, drohen ihnen immer noch 74 Peitschenhiebe oder bis zu zwei Monaten Gefängnis. Zeugenaussagen von Frauen vor Gericht wiegen nur halb so schwer wie jene von Männern. Nach wie vor ist es einem Mann, der seine Frau beim Ehebruch ertappt, rechtlich gestattet, die Untreue zu töten. Eine Frau darf immer noch ohne Genehmigung des Mannes das Land nicht verlassen. Im Fall der Scheidung darf die Mutter ihre Söhne nur bis zum Alter von zwei, die Töchter von sieben Jahren behalten. Im November verabschiedete das Parlament jedoch ein Gesetz, das es geschiedenen Frauen ermöglicht, das Sorgerecht für ihre Kinder einzufordern, wenn der Vater für diese Aufgabe nicht befähigt ist.

Modell-Frauen Die Änderung der Gesetze erachtet Kaar als unumgängliche Voraussetzung für die Besserstellung ihrer Geschlechtsgenossinnen. Der erste Schritt dazu ist eine lebhafte Diskussion, die über diese Themen nun in den theologischen Schulen und unter islamischen Rechtsgelehrten entbrannt ist. Dort stoßen Reformen zum Abbau des patriarchalischen Systems freilich immer noch auf heftigen Widerstand. "Wir fühlen uns heute wie in einem Topf voll brodelnder Suppe. Es wird noch einige Zeit dauern, bis das Fleisch gar ist." Kaar fordert energisch die Einberufung eines Expertenkomitees aus Frauen diverser Schichten und Berufsgruppen, das dem Präsidenten in diesen äußerst schwierigen Fragen beratend zur Seite steht.

Die Iranerinnen sind fest entschlossen, den Präsidenten unermüdlich an seine Versprechen zu gemahnen - und an ein Ziel, das er jüngst mit folgenden Worten beschrieb: "Die muslimischen Frauen des Irans sollen eines Tages zum Modell aufsteigen für alle Frauen der Welt."

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