Stille Revolution in Pakistan

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Bei den jüngsten Kommunalwahlen haben Pakistans Frauen alle überrascht. Mehr als 36.000 Kandidatinnen wurden in einer beispiellosen Werbekampange an die Macht gewählt. Beinahe jeder dritte Lokalpolitiker ist jetzt weiblich.

Die wirkliche Herausforderung beginnt jetzt. Nun müssen sich die Frauen bewähren. Sie müssen beweisen, dass sie einen Unterschied machen können", sagt Mesbah Tahrir. Die Frauen, von denen die in Lahore ansässige Aktivisten spricht, sind jene 36.309 Pakistanis, die bei den jüngsten Lokalwahlen in die Gemeinde-, Stadt- und Bezirksräte gewählt wurden.

Nie zuvor waren so viele Frauen in den Kommunalregierungen des Landes vertreten. Möglich wurde ihre Wahl dadurch, dass unter Militärmachthaber Präsident Pervez Musharraf erstmals 33 Prozent der Sitze auf der Lokalebene für Frauen reserviert wurden. Nichtregierungsorganisationen (NGOs), engagierte Feministinnnen und andere Mitglieder der Zivilgesellschaft hatten schon seit langem auf ein solches System gedrängt. Doch sie hatten sich mit den auch in den südasiatischen Nachbarländern oft bemühten Argumenten abwimmeln lassen müssen. "Woher sollten denn die vielen Frauen kommen?" "Es werden sich nie genug Kandidatinnen finden," hatten Gegner eingewendet.

Die Ergebnisse der Kommunalwahlen haben ihre Thesen widerlegt. Bei den Urnengängen, die gestaffelt bis in den Spätsommer des vergangenen Jahres stattfanden und mit einigen Nachwahlen im Oktober abgeschlossen wurden, konnten dank einer beispiellosen Kampagne genau 90,1 Prozent aller für die Frauen bestimmten Sitze konnten gefüllt werden. Dafür haben landesweit NGOs mit ihrem Einsatz gesorgt. Sie waren es, die die Frauen mobilisierten, ihnen mit praktischer Hilfe zur Seite standen und Aufklärungsarbeit betrieben. Wie meldet man eine Kandidatur an? Wie füllt man alle Formulare korrekt aus? Wie stellt man sich den Wählerinnen vor?

In all diesen und vielen anderen Fragen standen die Aktivistinnen den angehenden Politikerinnen zur Seite. Sie waren zur Stelle, wenn eine potentielle Bewerberin plötzlich von ihrer Familie im Haus eingesperrt wurde, weil ihr Weg in ein öffentliches Amt nicht erwünscht war. Sie sprangen ein, wenn eine Kandidatur an der Entrichtung der anfallenden Gebühren zu scheitern drohte.

Diese Mobilisierung fiel in Punjab und Sindh leichter als in dem noch viel stärker in Feudal- und Clanstrukturen verhafteten Baluchistan und der Nordwestgrenzprovinz (NFWP), was auch die Wahlresultate bestätigen. Wurden in Punjab 96,9 aller verfügbaren Sitze von Frauen eingenommen, so waren es in NWFP lediglich 70,7 Prozent. Ubaid Ullah von der Aurat-Foundation, einer der führenden Frauenorganisationen Pakistans, spricht dennoch von einer "stillen Revolution". Auch Frauenministerin Atiya Inayatullah betont, "es ist die größte Revolution, die im Leben und für die Zukunft der Frauen in Pakistan stattgefunden hat." Ähnlich überzeugt äußerten sich Kommentatoren in angesehenen, wenn auch nur von einer kleinen Elite gelesenen, englischsprachigen Zeitungen wie Dawn. "Die Frauen verdienten diese Sitzreservierung umso mehr, als ein Mangel an Bildung, einschränkende soziale Normen und das Gewicht der Tradition sich zu ihren Ungunsten auswirken. Lokalregierungen mit 33 Prozent Frauen können nur zu einer Verbesserung führen. In jedem Fall wird der Sexismus, der als pakistanische Männlichkeit gilt, gemäßigt werden, ja, wer weiß, vielleicht werden Gemeinderegierungen endlich auch ernster genommen werden", erklärte der Kommentator von Dawn und befürwortete sofort die 33-Prozent-Quote auch für das Bundesparlament und die Regionalversammlungen. Teilnehmerinnen an einem Symposium in Karachi erinnerten kürzlich daran, dass das Thema der Ehrenmorde an Frauen vor einiger Zeit im Senat nicht einmal hatte besprochen werden können. Verantwortlich dafür sei die "diskriminierende Haltung" der fast ausschließlich männlichen Abgeordneten gewesen. "Gäbe es genügend Parlamentarierinnen, die Debatten würden wohl anders laufen."

Hemmnis Islam

General Musharraf, der sich im Oktober 1999 an die Macht putschte und damit ein Jahrzehnt leidvoller Erfahrungen mit den zwar demokratisch gewählten, aber durch und durch korrupten Regierungen unter den Premiers Benazir Bhutto und Nawaz Sharif beendete, soll der 33-Prozent-Quote auf allen Ebenen gegenüber nicht abgeneigt sein. Zumindest zugesagt hat er Neuwahlen für das Unterhaus und damit eine Rückkehr zur Demokratie für den Oktober dieses Jahres.

Nur vom Bundesparlament können ja die besonders gegen die Frauen diskriminierenden und großteils unter Militärdiktator Zia ul-Haq in den achtziger Jahren verhängten islamischen Gesetze aufgehoben werden. Wann und ob es dazu kommen wird, wagt keine Aktivistin vorherzusagen. Illusionen macht sich keine. Zugleich aber können sich engagierte pakistanischen Feministinnen, wie es Anwältin Hina Jilani einmal formulierte, "den Luxus von Frustration oder Depression nicht leisten." Statistiken wie die über 700 Ehrenmorde an Frauen wegen angeblicher moralischer Fehltritte im Jahre 1999 belegen die Aufgabe, die vor den Aktivistinnen liegt.

"Wir können nur einen vorsichtigen Schritt nach dem nächsten tun", sagen die Mitarbeiterinnen der Aurat Foundation. Jetzt geht es darum, die 36.309 neugewählten Lokalpolitikerinnen zu unterstützen. Auf der Dorfebene müssen viele Frauen erst alphabetisiert werden, die Analphabetenrate in Pakistan liegt offiziell ja bei 40 Prozent, tatsächlich, heißt es, soll sie weitaus höher sein, und bei den Frauen ist sie stets am allerhöchsten.

Alle Gemeinde- und Stadträtinnen brauchen, unabhängig von ihrem Bildungsniveau, berufsrelevantes Training zu effizientem Lobbying, Verhandlungstechniken, Regierungsmechanismen und dergleichen mehr. Und nicht wenige werden wohl auch Unterstützung in der Auseinandersetzung mit Ressentiment-beladenen männlichen Kollegen benötigen. "Wir NGOs wollen ihnen zur Seite stehen und eigene Ressourcenzentren aufbauen. Das ist eine gewaltige Aufgabe," sagt Mesbah Tahrir.

Aber das Ziel ist klar formuliert: Wenn vor den nächsten Kommunalwahlen Bilanz gezogen wird, dann muss es heißen: Die Lokalpolitikerinnen haben einen großen Unterschied gemacht.

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