"Im Namen der Ehre" einfach ermordet

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Hunderte Frauen werden jedes Jahr in Pakistan erschlagen, angezündet oder erschossen, weil sie die "Ehre" des Mannes oder der Familie besudelt haben sollen. Beweise sind nicht notwendig. Der bloße Verdacht genügt.

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Hunderte Frauen werden jedes Jahr in Pakistan erschlagen, angezündet oder erschossen, weil sie die "Ehre" des Mannes oder der Familie besudelt haben sollen. Beweise sind nicht notwendig. Der bloße Verdacht genügt.

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Der vageste Verdacht kann zum Mord führen - ein Gerücht, das in einem Dorf verbreitet wird, ein Vorwurf eines eifersüchtigen Gatten oder, in einem Extremfall, eines Mannes Traum von einem Ehebruch seiner Frau", heißt es im jüngsten Bericht von Amnesty International (AI) zu Pakistan, zugleich dem ersten, den Amnesty ausschließlich den Ehrenmorden an Mädchen und Frauen in diesem Land widmet.

Hunderte Pakistanerinnen - von jungen vorpubertären Mädchen bis zu Großmüttern - werden Jahr für Jahr ermordet, weil sie die Ehre des Mannes respektive der Familie verletzt haben sollen, die Dunkelziffer liegt weitaus höher, schätzen heimische und internationale Menschenrechtsorganisationen. Sie betonen zugleich auch die Bedeutung der Formulierung "die Ehre verletzt haben sollen", da bei dieser Art der extralegalen Justiz der Verdacht genügt, Beweise nicht erforderlich sind und den Frauen daher gar keine Chance gegeben wird, etwas zu erklären oder Mißverständnisse auszuräumen, geschweige denn von eigenen Rechten oder Frauenrechten zu reden.

Als Beispiel nennt Amnesty eine Frau namens Ghazala, die in Joharabad in der Region Punjab von ihrem Bruder getötet wurde, weil ihre Familie sie einer Affäre mit einem Nachbarn verdächtigte. Ihr von Brandwunden übersäter und nackter Körper soll nach Augenzeugenberichten stundenlang auf der Straße gelegen sein. Niemand wollte etwas damit zu tun haben.

So sehr der Verdacht genügt, so wenig ist dagegen die Rolle einer Frau (aktive Zustimmung oder Opfer eines Übergriffs) von Relevanz. Im Fall einer Vergewaltigung muß eine Pakistanerin laut Amnesty zusätzlich mit "Bestrafung" durch Mord rechnen, da ihr Geschlechtsverkehr mit einem fremden Mann, unabhängig von den Umständen, die Ehre ihrer Familie besudelt hat.

Verbrannt, erschossen So wurde im März dieses Jahres ein 16jähriges, geistig zurückgebliebenes Mädchen von einem Beamten der Lokalregierung in der Nordwest-Grenzprovinz mehrfach vergewaltigt, woraufhin der örtliche Stammesrat zusammentrat und wegen dieser Schande die öffentliche Erschießung der Frau verfügt. Verbrennen, erschießen - die Art des Tötens variiert von Region zu Region. In der südlichen Provinz Sindh werden eine, wie es dort heißt, Kari (schwarze Frau) und ein Karo (Schwarzer Mann) - zwei Personen also, die einer verbotenen Beziehung verdächtigt werden, - mit Äxten gerichtet. Wobei es einem Karo - im Gegensatz zu einer Kari - häufig gelingt, durch Flucht oder Kompensationszahlungen sein Leben zu retten. Diese Möglichkeit, zu "Kompensation" - in Form von Geld, einer neuen Frau oder auch Schweigen über andere Verbrechen - zu gelangen, hat nach Angaben von Menschenrechtsaktivistinnen in manchen Gegenden zu einer wahren "Industrie an Ehrenmorden" geführt: Ein Verdacht ist leicht geäußert, die Kari wird ermordet, dem Karo großzügig das Leben geschenkt - gegen Kompensation. Das dem Amnesty-Bericht vorgesetzte Zitat der führenden Anwältin und Menschenrechtsaktivistin Hina Jilani, wonach "in Pakistan das Recht der Frauen auf Leben von ihrer Befolgung gesellschaftlicher Normen und Traditionen abhängt", wird folglich alsbald qualifiziert. Selbst wenn eine Frau sich noch so sehr bemüht, die Normen einzuhalten, droht ihr, wie obige Beispiele belegen, ständig Gefahr und muß sie tätliche Angriffe befürchten. Der Mann allein, betont Amnesty, verfügt über das Definitionsrecht darüber, was seine Ehre ausmacht und wodurch sie beschmutzt wird. Der Mann will dabei mehr als Körper und Sexualverhalten seiner Frau kontrollieren, er will über "ihr gesamtes Wesen, einschließlich ihrer Bewegungen und Sprache" bestimmen.

Jeder Akt des "Nichtgehorsams" kann dann als Angriff auf die Ehre des Mannes ausgelegt werden. "Schwerbestraft" werden können Frauen demnach, weil sie das Essen zu spät servieren, zurückreden, gegen den Willen des Mannes ihre Herkunftsfamilie besuchen oder entgegen den Sitten selbst ihren Lebenspartner wählen wollen.

So wurde der erst 16jährigen Sabira Khan kurz nach der Hochzeit 1991 von ihrem Mann jeder weitere Kontakt mit ihrer eigenen Familie untersagt. Als Sabira, damals im dritten Monat schwanger, gegen dieses Verbot anzukämpfen versuchte, wurde sie nach eigenen Aussagen von ihrem Mann und der Schwiegermutter mit Kerosin übergossen und angezündet. Trotz 60prozentiger Verbrennungen überlebte sie. Alle Versuche, einen Prozess einzuleiten, sind bisher gescheitert. Das Gericht schloß sich derVersion des Mannes an, wonach Sabira sich in einem Anfall von Wahnsinn selbst verbrennen wollte.

Die Progressive Frauenvereinigung in Islamabad hat, so Amnesty, seit ihrer Gründung im März 1994 1.600 Fälle gezählt, in denen allein in den beiden Städten Islamabad und Rawalpindi Frauen in ihrem eigenen Zuhause Opfer derartiger Brandanschläge wurden. Ob die Anzahl dieser wie anderer Verbrechen im Namen der Ehre im Steigen ist, kann derzeit nicht gesagt werden, betont Shamsa Khalique von Amnesty Pakistan. "Vorerst steht nur fest, daß die Medien des Landes begonnen haben, regelmäßiger über solche Morde zu berichten, was sicher eine gewisse Bewußtseinsbildung nach sich gezogen hat. Deshalb sind die Zahlen wichtig", sagt Khalique dieser Zeitung.

Mit den Zahlen der Progessiven Frauenvereinigung und von Amnesty ist auch der häufig vorgebrachte Einwand widerlegt, wonach Ehrenverbrechen vor allem in den unterentwickelten ländlichen und von noch mehr von alten Stammesgebräuchen geprägten Gebieten passierten, wo man von Frauenrechten nichts verstehe. So wurde in Lahore die 29jährige Samia Sarwar in der Kanzlei ihrer Anwältin, der eingangs bereits erwähnten Hina Jilani, erschossen, weil sie sich nach Jahren des Mißbrauchs von ihrem Mann wollte scheiden lassen. Der Mord geschah im April dieses Jahres durch einen von der Familie angeheuerten Täter und im Beisein der Mutter - einer ausgebildeteten Ärztin, die mit dem Täter in die Kanzlei gekommen war ...

Kein Prozeß Mehr als ein halbes Jahr nach der Tat gab es im Fall Samia Sarwar weder Festnahmen noch einen Prozess. Statt desssen wurden Hina Jilani und ihre Schwester Asma Jehangir, ebenfalls eine Anwältin und Gründerin der unabhängigen pakistanischen Menschenrechtsorganisation (HRCP), bedroht, weil sie, so der Vorwurf, Frauen zum Verlassen von Männern und generell zum Durchbrechen überkommener Normen anstifteten.

Menschenrechtsaktivistinnen betonen dagegen, daß Ehrenverbrechen unislamisch sind, und verweisen darauf, daß das mehrheitlich muslimische Pakistan vor wenigen Jahren die UNO-Konvention zur Abschaffung aller Formen von Diskriminierung gegen Frauen (CEDAW) ratifiziert hat. Diese untersagt es Staaten ausdrücklich, alte Bräuche oder Religion zum Vorwand zu nehmen, um bestimmte Formen von Diskriminierung gegen Frauen beizubehalten. Drohungen wie die gegen Jehangir und Hilani gehören laut Shamsa Khalique von Amnesty Pakistan zum Alltag all jener Anwältinnen und Menschenrechtsaktivistinnen, "die progressive Arbeit leisten und gegen Verbrechen ankämpfen, wobei die Art der Drohung jeweils vom Anlaßfall abhängt."

Abschrecken lassen sich die diversen Anwältinnen in den großen Städten des Landes - die alle der kleinen gebildeten Elite Pakistans angehören, wo bis heute 70 Prozent der Frauen und mehr als die Hälfte der Männer Analphabeten sind - dennoch nicht. Sie gründen, wie Jehangir und Hilani, ein Frauenzentrum, bieten, wie die Vereinigung pakistanischer Anwältinnen (PAWLA) Rechtshilfe und gehen in die Dörfer, um dort Aufklärungs- und Bildungsarbeit zu leisten. Und - sie geben nicht auf im Bemühen, bei Verbrechen die Einleitung eines Verfahrens zuerreichen, immer in der Hoffnung, wie Shamsa Khalique es ausdrückt, "daß all diese Anstrengungen zu einer menschlicheren Gesellschaft führen werden."

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