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Der Internationale Frauentag am 8. März als Anlass, einen Missstand aufzuzeigen: Immer noch werden muslimische Frauen gegen ihren Willen und im Kindesalter verheiratet - auch in Österreich und Deutschland.

Ich habe immer wieder Nein gesagt!" versichert die 16-jährige Aishe. "Verzweifelt versuchte ich meinem Vater begreiflich zu machen, dass ich meinen Cousin nicht heiraten will. Er schlug mit Fäusten auf mich, zog an meinen Haaren, schlug so hart, dass ich überall blaue Flecken hatte und man mein Gesicht nicht mehr erkennen konnte. Zwei Wochen vor der offiziellen Hochzeit wurde ich in der Wohnung meines Bruders eingeschlossen. Ich versuchte aus der verschlossenen Wohnung herauszukommen, aber es war immer jemand da. Nach drei Tagen hatte ich Gelegenheit, telefonisch Hilfe zu holen." Aishe hat Unterschlupf in einer Kriseneinrichtung irgendwo in Deutschland gefunden. Obwohl ihren Eltern das Sorgerecht entzogen wurde, lebt sie immer noch in Angst, von ihrer Familie aufgespürt zu werden.

Aishe ist leider kein Einzelfall. Auch in unserer offenen Gesellschaft werden junge Türkinnen, Griechinnen, Polinnen, Perserinnen u. a. gegen ihren Willen zur Heirat gezwungen. Die Tabuisierung des Phänomens bei den Migranten hat dazu geführt, dass es auch in der breiten Öffentlichkeit unbekannt ist.

"Stopp Zwangsheirat" lautet das Motto der Aufklärungskampagne von "Terre des Femmes", die mit dem Schweigen bricht. Anstoß haben Hilferufe betroffener Frauen gegeben, die sich an die Tübinger Frauenrechtsorganisation gewandt haben. Rahel Volz ist sich als Leiterin der Kampagne bewusst, dass "es sich um ein sensibles Thema handelt, das die Gefahr beinhaltet, dass Ausländerfeindlichkeit und Rassismus weiter geschürt werden. Doch das Problem muss thematisiert werden, wenn wir es mit der Integration von Migrantinnen und Migranten ernst meinen."

Ideale Schlupflöcher

Mit knapp 130.000 sind die Türken in Österreich die zweitgrößte Migrantengruppe. Sie haben ihre Traditionen und Sitten aus ihrer Heimat mitgebracht, weshalb sich der Blick zum Bosporus lohnt. Seit 80 Jahren ist die Türkei ein laizistischer Staat mit Trennung von Religion und Staat. Dennoch wird jede zehnte Ehe nicht im Standesamt geschlossen, sondern findet durch den Segen des Imam ihre Legitimation.

Imam-Ehen sind ideale Schlupflöcher, wenn es darum geht, minderjährige Mädchen zu verheiraten oder eine polygame Bindung abzusegnen. Kinderehen, Zwangsverheiratungen und Polygamie finden zumeist im bäuerlichen Ostanatolien statt.

Oftmals muss die Religion als Erklärungsansatz für diese Phänomene herhalten. Da wird der Glaube als Machtinstrument zur Durchsetzung patriarchalischer Verhaltensmuster missbraucht. Jungfräulichkeit gilt als höchstes Gut eines Mädchens, die für die Höhe des Brautpreises und die Familienehre ausschlaggebend ist.

Zudem schafft der Brauch, nach dem Männer ihre Auserwählte entführen und vergewaltigen, um durch "Entehrung" das Ja-Wort zu erpressen, den Kinderehen Vorschub. Schutz vor Gewalt und Entwürdigung scheint auch in diesen Fällen eine Frühehe zu bieten. Im übrigen wird mit Jugendlichkeit auch die erhöhte Gebärfreudigkeit verbunden.

Oft Selbstmordversuche

Der überlieferten Tradition nach muss sich die Tochter widerstandslos in ihr Schicksal ergeben. Fluchtversuche gelten als Verletzung der Familienehre und werden mit Gewalt bis hin zum Mord geahndet. Selbstmordversuche junger Frauen sind keine Seltenheit. Liebe ist Luxus, den sich traditionsverhaftete Familien nicht leisten wollen. In der erschütternden Autobiografie von Serap Cileli heißt es: "Vater sagte ständig: Was heißt denn verliebt sein?!? Welch eine Schande, es wird der Mann geheiratet, den dir die Eltern aussuchen. Die Liebe zu ihrem Ehemann wächst bei einer Frau nach der Eheschließung, vorherige Zuneigung führt die Frau nur zu Prostitution. Befolg den Rat deines Vaters, so wirst du das Glück finden, mein Kind!'"

Die angestrebte Mitgliedschaft in der EU setzt die türkische Regierung in Menschenrechtsfragen unter Druck. Erstmals greift der Staat bei der gesetzlich verbotenen Vielehe, Kinderehe und Blutrache ein. Dazu die Türkeiexpertin Serap Cileli: "Nach dem neuen Familienrecht, das am 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist, wurde das Heiratsalter - bisher 17 für Jungen und 15 für Mädchen - auf 18 Jahre angehoben und die Schulpflicht bis zur achten Klasse eingeführt. Doch mit Zustimmung des türkischen Familiengerichts und der Eltern können die Jungen noch immer ab 15, die Mädchen ab 14 Jahren heiraten."

In Österreich bewegen sich viele Migranten in kulturell abgeschlossenen Räumen, was traditionelle Verhaltensmuster verfestigt. Das trifft in besonderem Maße auch auf die Partnersuche zu, die häufig im Herkunftsland erfolgt. Auf diese Weise steuern fundamentalistische Eltern den emanzipatorischen Schritten ihrer Töchter entgegen, die wiederum durch Schule, Berufstätigkeit und über das Fernsehen andere Impulse erhalten. Aus weiblicher Perspektive betrachtet gibt es drei verschiedene Heiratsmodelle:

* Minderjährige Mädchen werden unter Anwendung von massivem Druck oder Gewalt in das Herkunftsland der Eltern gebracht. Bei diesen Stippvisiten kommt es zu arrangierten Begegnungen, meist mit Cousins, die sich über das Eheversprechen ein Ticket in den goldenen Westen erwarten. Nach dem Vollzug der Ehe kehrt das Paar nach Österreich zurück.Dass solche Ehen aufrechterhalten werden, hängt meist mit familiärem Zwang oder mit Übergriffen der Männer zusammen.

* Eine Minderheit der Mädchen bleibt nach der Hochzeit in der Türkei zurück. Wie Serap Cileli ergeht es vielen: Sie werden in die Rolle einer Fortpflanzungs- und Arbeitsmaschine gedrängt: "Mit 17 Jahren wurde ich in Mersin zurückgelassen. Ich lebte mit meinem Mann abwechselnd mal im Dorf, mal in der Stadt. Am schmerzvollsten in dieser Ehe war jeder Beischlaf mit einem Mann, den ich nicht wollte, den ich nicht liebte. Es war jedes Mal eine Vergewaltigung an meiner Seele, an meinem Körper. Seine Mutter war die Worthabende in unserer Ehe, sie bestimmte und regelte alles. Sie krempelte ihre Ärmel auf, um mich zu erziehen."

Eine Braut importieren

* Junge Türken gehen im Herkunftsland der Eltern auf Brautschau. Schätzungen zufolge werden 70.000 Importbräuten jährlich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Deutschland gelockt (in Österreich fehlen entsprechende Zahlen). Häufig finden sich diese Frauen als rechtlose Sklavinnen in der neuen Welt wieder.

"Problematisch für die Bräute ist nicht nur der Verlust ihres gewohnten Umfelds, sondern auch die Orientierungslosigkeit in der neuen Gesellschaft", weiß Rahel Volz von "Terre des Femmes" zu berichten. "Fehlende Sprachkenntnisse verschärfen ihre Isolierung. Sich der Tradition verpflichtet fühlend, leben die Frauen zurückgezogen im familiären Umfeld und stärken zwangsläufig die Bildung der Parallelgesellschaften."

"Die Grenzen zwischen Zwangs- und arrangierter Heirat sind fließend", gibt "Terre des Femmes" zu bedenken: "In traditionellen Familien werden die Töchter dazu erzogen, sich dem Willen der Familie zu beugen. Da beginnt der Zwang lange vor der Hochzeit." Der fließende Übergang spiegelt sich auch in einer Umfrage bei türkischen Migrantinnen in Berlin wider. 50 Prozent der Befragten waren zum Zeitpunkt der Eheschließung minderjährig, bei 46 Prozent handelte es sich um eine arrangierte Ehe, 38 Prozent der jungen Frauen haben erst bei der Hochzeit ihren Zukünftigen kennengelernt. Ein Drittel war vor der Hochzeit nicht nach ihrer Meinung gefragt worden.

Jede Dritte nicht gefragt

Über die Zahl der Zwangsheiraten und arrangierten Ehen können europaweit keine Aussagen getroffen werden. Aufhorchen lässt aber die aktuelle Umfrage der Berliner Senatsverwaltung, wonach im Vorjahr 230 junge Frauen in Frauenhäuser und Jungendhilfeeinrichtungen flüchteten, darunter 161 Minderjährige, die aus Angst vor einer drohender Zwangsverheiratung aus dem Elternhaus flohen. 69 Mädchen hatten einen Selbstmordversuch hinter sich.

Auch in Österreich sehen sich Migrantinnen- und Flüchtlingsorganisationen (Peregrina, Miteinander Lernen, Orient Express, Zebra u. a.) sowie kommunale Interventionsstellen immer häufiger mit dem Thema konfrontiert. "Was hierzulande fehlt, ist ein professionelles Unterstützungsangebot für betroffene Mädchen und junge Frauen", klagt die Sozialarbeiterin Tamar Citak, die in der Wiener Interventionsstelle gegen familiäre Gewalt (01-585 32 88) tätig ist. Die geborene Armenierin koordiniert den Arbeitskreis "Zwangsheirat", der vor acht Monaten von Jugendarbeiterinnen initiiert wurde.

Deklariertes Ziel ist die verstärkte kulturelle Aufklärung von Lehrern und Sozialarbeitern. Dass Zwangsheirat längst kein Randthema mehr ist, hat mittlerweile auch die Politik erkannt: Anlässlich des Internationalen Frauentages lädt Frauenministerin Maria Rauch-Kallat zur Veranstaltung "Identität und Konflikte - Junge Frauen der 2. Generation aus anderen Kulturkreisen" ein.

Veranstaltungshinweis

Podiumsdiskussion: "Identität und Konflikte - Junge Frauen der 2. Generation aus anderen Kulturkreisen"

Montag, 8. März 2004, 18 Uhr

Palais Trautmannsdorf, Wien

Informationen: www.bmgf.gv.at oder Tel. (01) 71100-3401.

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