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„Jahr der Familie“ mit Mängeln

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Das vom Katholischen Familienverband Österreichs für 1978 proklamierte „Jahr der Familie“ geht in sein letztes Viertel. Symposien, Seminare, Wochenendtagungen, Arbeitskreise in Pfarrgemeinden und auf diözesaner Ebene, Beiträge in kirchlichen Zeitungen und Zeitschriften sollten mithelfen, den drohenden oder bereits eingetretenen Zerfall der Familie zu stoppen. Trotzdem blieben alle diese Aktionen von der Öffentlichkeit eher unbe-

merkt und ohne Resonanz in der Bevölkerung.

Wer im Bereich kirchlicher Erwachsenenbildung (im weitesten Sinn verstanden) arbeitet, wird die Erfahrung machen, daß leider Gottes

fast immer derselbe Personenkreis ansprechbar und zur Mitarbeit bereit ist. So kommt es, daß Frau und Herr X bereits zum siebenten Male akademisch die Situation der Familie diskutieren, während Frau und Herr Y. von eben dieser Situation betroffen sind, aber „draußen vor der Tür“ bleiben.

Ursachen dafür gibt es verschiedene: Es kann die Werbung mangelhaft sein (die Kirche bedient sich hier meines Erachtens häufig noch Praktiken, die bestenfalls in den fünfziger Jahren wirksam waren), oder das Ehepaar Y. scheut sich, über seine Probleme zu reden, oder es hat das Vertrauen in die Hilfe der Kirche in Ehe-und Familienfragen verloren.

Was ist die Folge? Die „Dauerseminaristen“ ko-

chen immer den gleichen Brei. Ihre festgefahrenen Vorstellungen von einer ihrer Meinung nach funktionierenden Familie sind nicht zu bewegen, ihre Prinzipien nicht umzustoßen. Mit ganz und gar unchristlicher Sturheit beschwören sie Verhaltensschemata, die längst der Vergangenheit angehören, und haben für die Wiederherstellung der „funktionierenden“ Familie Medikamente anzubieten, die so wirksam sind wie Kamillentee gegen Krebs.

Und sie, die Dauerseminaristen in unserer Kirche, verschließen so gerne die Augen vor Tatsachen. Vor jener etwa, daß jährlich in Österreich 10.000 Ehen geschieden werden. Das sind, nimmt man das gängige Beispiel der Kleinfamilie mit zwei Kindern, jährlich rund 40.000

Menschen, die von einer zerbrochenen Familie betroffen sind.

Rund 30.000 stehen vor dem größeren Problem als die, restlichen 10.000, mit der neuen Situation fertig zu werden, nämlich die Mütter mit den Kindern.

Wie hilft denen die Kirche? Ist ihnen mit seitenlangen Zeitungsartikeln über die Gestaltung des Familienlebens gedient? Helfen ihnen idealisierte Photos von wandernden Familien, wo Vater das Kleinste huckepack durch blühende Wiesen trägt? Was geben ihnen Anleitungen zur Pflege der Hausmusik und der familiären Kultur?

Selbst geschiedene Mütter (und ich rede hier hauptsächlich von Müttern, da im Großteil der Scheidungen ihnen die Kinder zugespro-

chen werden), die innerhalb des kirchlichen Lebens stehen, fühlen sich abgedrängt. Familienrunden, Familientage, Familienwanderungen: Dürfen sie denn da mitmachen? Sind sie mit ihren Kindern noch eine Familie?

Auch jene, die ihr Selbstverständnis als zwar unvollständige, aber dennoch als Familie nicht verloren haben, fühlen sich mehr und mehr durch die plakative Darstellung der intakten und funktionierenden Familie diskriminiert.

Als vor zwei Jahren Johann Millendorfer am Kra-stowitzer Symposion des Katholischen Familienverbandes Kärnten die Öffnung der Familie als Mittel gegen die Isolation forderte, erhielt er begeisterten Beifall. Als aber in der Diskussion zur Spra-.che kam, daß diese Öffnung auch bedeuten müßte, unvollständige Familien in das eigene Familienleben und in familienbezogene Aktionen einzubeziehen, sah man dies als gefährliche Bedrohung der Familie.

Die bereits auf den nächsten Mann lauernde Geschiedene, die noch dazu (zwangsläufig) berufstätig ist, könnte zu viel Unruhe in das so ängstlich gehütete häusliche Glück bringen ... Darum stehen auch im „Jahr der Familie“ Zehntausende Frauen und Kinder (und wohl auch Männer) im Winkel.

irrt Begleitbrief zur Übermittlung dieses Textes hieß es u. a.:

,Jn der Beilage also den gewünschten Beitrag. Ich bin mir bewußt, daß er ob seines provokanten Tones Anstoß erregen wird. Aber aus meiner Erfahrung heraus bewirkt Provokation eher Veränderung als die sanfte katholische Diktion. Wenn Sie Bedenken haben, bin ich Ihnen gar nicht böse, auch in Ihrer Redaktion steht ein Papierkorb. Ich bin Mutter von zwei Kindern, geschieden .. .“

Nichts hätte weniger in den Papierkorb gehört als dieser Beitrag!

D. Red.

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