Kirchliches Familien-Lobbying

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Die Familie als "Umfeld zur Entwicklung zum sozialen und kreativen Menschen und zur selbstlosen Liebe". Eindrücke vom sechsten Symposium zum Mitteleuropäischen Katholikentag, das in Brünn stattfand.*)

Wie werden wir morgen leben?" war das Motto des sechsten internationalen Symposiums im Rahmen des Mitteleuropäischen Katholikentags: In der mährischen Hauptstadt Brünn sollten Strategien zur demografischen Entwicklung Europas entworfen werden. Veranstaltet wurde das Treffen, an dem mehr als 200 Menschen aus 14 europäischen Ländern teilgenommen haben, von vier Bischofskonferenzen: Tschechien, Ungarn, Kroatien und Österreich. Die christliche Familie als unersetzliches Mittel zur "Reproduktion des Humankapitals" wurde wiederholt proklamiert. Bischöfliche Positionen nahmen auch optisch einen breiten Raum ein: die Plätze auf dem Podium waren - bis auf eine kurze Ausnahme - mehrheitlich geweihten und unverheirateten Männern vorbehalten.

Küng gegen Krippen

Klaus Küng, Bischof in Vorarlberg und österreichischer Familienbischof, forderte ein "konsequentes und beharrliches Lobbying", besonders für die kinderreiche Familie auf der Grundlage der Ehe zwischen Mann und Frau. Sie bilde den "Nährboden gesunder Persönlichkeiten" und befähige zu Solidarität, Verantwortung und Gemeinschaft. Als wichtigsten Grund für die Krise der Familie sieht Küng eine Lebenseinstellung an, die an erster Stelle nur das eigene Wohl oder den persönlichen Erfolg im Auge habe. Da die Betreuung der Kinder durch die eigene Mutter "noch immer das Beste" sei, lehnt der Familienbischof die flächendeckende Einführung von Kinderkrippen und Ganztagsschulen ab. Seinen Aufruf, das Geld dafür "lieber in die Hände der Mütter" zu geben, quittierte die Versammlung mit lang anhaltendem Applaus. Weiters prangerte der Familienbischof die jährliche Zahl von etwa 7,8 Millionen Abtreibungen im "kinderarmen Europa" an:

Die "unübersehbaren Zeichen von Dekadenz mit fortschreitendem Sittenverfall" und die "Zerstörung der Gesellschaft in nicht wenigen Ländern Europas" könnten nur durch eine "mutige Neuverkündigung des Evangeliums" überwunden werden.

Diesem kulturpessimistischen Gesellschaftsbild setzte Johannes Christian Koecke, Teamleiter für Religion und Wertorientierung bei der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung, empirische Umfragen entgegen: mit Werteappellen ziele man auf eine Situation, in der diese gar nicht umsetzbar seien, warnte Koecke. Denn ein aus der Ökonomie entlehnter "Werte"-Begriff beinhalte schon in sich ein "Schwanken und Wanken".

Schwankende Werte

Nach der jüngsten deutschen Shell-Jugendstudie sei die nachwachsende Generation eher am Aufstieg als am Ausstieg aus der Gesellschaft interessiert, orientiere sich an Karriere und Berufszielen. Auch Partnerschaft, Freundschaft und Familie bildeten einen hohen Wert: "80 Prozent wollen eine Familie gründen, kommen aber nicht dazu", stufte Koecke die jungen Leute als sehr "nüchtern, kurzfristig und pragmatisch" ein.

Nach der Europäischen Wertestudie genieße der Begriff Familie einen hohen Stellenwert, besonders in den katholisch geprägten Ländern Polen, Ungarn, Irland und Italien. In den mittel- und osteuropäischen Staaten stehe die Familie an der Spitze der Werteskala, in den westlichen Ländern würden fast in einem Atemzug die Freunde angeführt: "Dort können sich doppelt so viele vorstellen, ein Leben ohne Eltern und Kinder zu führen." Die Scheidung sei besonders in den skandinavischen Ländern eine Option, die ernsthaft in die Lebensplanung mit einkalkuliert werde. Auch die Elternschaft werde nicht mehr automatisch mit der Ehe verbunden, die Patchwork-Familie sei auf dem Vormarsch: "Einziger Lebensmittelpunkt ist dann der Kühlschrank, an den alle gehen." Besonders für Kinder sei die Patchwork-Familie ein "nicht mehr ganz kalkulierbares, amöbenhaftes Gebilde", urteilt Koecke und plädiert dafür, dass die Kirche keine Politik betreiben, sondern besonders orientierungsbedürftigen Politikern "wichtige ethische Hinweise" geben solle. Die von ihm beschriebene Entwicklung kenne nur eine Verlierergruppe: "Unsere Kinder. Das möchte ich verhindern."

Nicht nur Kinderzahl

Josef Zeman, Psychologe und Therapeut in einer christlichen Eheberatungsstelle in Brünn, kritisierte, dass Politiker die Bedeutung der Familie meist nur an der Anzahl der geborenen Kinder mäßen: "Es geht darum, Familien zu ermöglichen, ihnen nicht nur etwas zu geben oder abzuverlangen." Die Bedeutung der Familie als "Umfeld zur Entwicklung zum sozialen und kreativen Menschen und zur selbstlosen Liebe" habe sich nicht verändert: das "Wachstum des Humanvermögens" in den Familien trage unersetzbar zum Aufbau der Gesellschaft bei. Viele Menschen seien sich des Risikos einer Eheschließung nicht bewusst: "Sie meinen, ihr Bedürfnis nach Liebe in einer unverbindlichen Beziehung angeblich mit größerer Sicherheit ausleben zu können."

"Geistige Elternschaft"

Dass christliche Familien sich den Kinderwunsch öfter erfüllten als Formen alternativen Zusammenlebens, sei wissenschaftlich nicht belegbar, aber "wahrscheinlich". Bis sich die Väter verstärkt engagieren werden, sieht Zeman noch Generationen vergehen: "Das konkrete Paar wird sich gegen äußere Zwänge je individuell entscheiden müssen."

Jaroslav ÇSturma, Professor an der Prager Karlsuniversität, machte auf der Basis der Entwicklungspsychologietheorie nach Ericsson eine komplementäre Beziehung der Rollen und Bedürfnisse zwischen Eltern und Kind aus: Vater oder Mutter könne man im wörtlichen oder im übertragenem Sinne sein. "Geistige Elternschaft" setze psychische und physische Energie frei, bilde ein "empathisches Verständnis" aus. Dabei lernten alle Beteiligten, die Bedürfnisse des anderen zu erkennen. Kinder störten oft gefasste Lebenspläne, könnten aber eine Bereicherung sein, wenn das Lebensziel im Sinne einer "Zivilisation der Liebe" umformuliert werde.

Johannes Fenz, Präsident des Katholischen Familienverbandes in Österreich und des Dachverbandes auf europäischer Ebene, will die Familienpolitik weiterhin auf der nationalen Agenda sehen, weil dies dem Subsidiaritätsprinzip entspreche. Der Lebensschutz dürfe nicht gesetzlich "ausgehöhlt", für alle im Haushalt Tätigen solle "zumindest das Existenzminimum" finanziell abgesichert werden. Jeder Staat solle definieren, wie viel Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Familie aufgewandt werde.

Strapazierte Idylle

Luitgard Derschmidt, Präsidentin der Katholischen Aktion Österreich, hat das Symposium als Teilnehmerin beobachtet: die Kirche habe im Laufe der Geschichte andere Einstellungen zur Ehe und Familie gehabt als jetzt. Derschmidt wendet sich gegen "übersteigerte Erwartungen und Forderungen", die der Sehnsucht nach dauerhaften und verlässlichen Beziehungen entgegenwirkten: "Die so stark strapazierte Idylle ist nicht wirklich lebbar", meint sie in einem ORF-Interview. Und das lasse sich auch theologisch gut argumentieren: "Wir sind auch Gebrochene. Wir müssen die Situation darauf hin anschauen, was möglich ist", erinnert sie an die Forderung des Zweiten Vatikanischen Konzils, die "Zeichen der Zeit" zu erkennen. Die idyllische Kleinfamilie des Großbürgertums des 19. Jahrhunderts könne nicht von allen gelebt werden. Die KAÖ-Präsidentin wünscht sich deshalb eine "Familienverträglichkeitsprüfung" bei allen gesellschaftlichen Entwicklungen und staatlichen Gesetzesvorlagen: "Väter, die Zeit für ihre Kinder und Partnerinnen haben wollen, auch Mütter, die mal mit ihrem Mann etwas unternehmen wollen, um die Beziehung zu pflegen, werden in vielen Betrieben sehr scheel angeschaut." Die Verantwortung gegenüber dem Betrieb gehe oft allem anderem vor: "Da wird der Kampf härter. Da sehe ich große Probleme auf die Familien zukommen."

*) Eine Kooperation der Furche mit der Österr. Bischofskonferenz. Die redakt. Verantwortung für diesen Beitrag liegt bei der Furche.

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