Muslime sollen neue Babas werden

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Muslimische Väter: Die Gesellschaft verlangt nach mehr Engagement für die Kinder - und wirft den Männern zugleich Steine in den Weg.

Autos, Trillerpfeifen und menschliche Stimmen übertönen einander wieder einmal am Kairoer Tahrir-Platz. Unweit des ägyptischen Museums wird wieder einmal demonstriert. Anders als seit Beginn der 2010 begonnenen und bis heute unvollendet gebliebenen Revolution mischen sich unter die von den Demonstranten skandierten Forderungen nach Freiheit und Gerechtigkeit auch Rufe nach Mama und Papa. Spielten in den Anfangstagen des Umbruchs vor allem Mütter eine wichtige Rolle, indem sie mit Argusaugen die regimekritischen Tätigkeiten ihrer Zöglinge überwachten und von diesen beinahe stündlich telefonische Rückmeldung verlangten, sind es nun zusehends Väter, die aktiv für ihre Kinder auftreten. Dass viele nur mehr in der Erinnerung ihrer Babas leben, ist trauriges Detail zahlreicher Vater-Kind-Beziehungen in einem Land politischen Umbruchs und totalitärer Repressalien.

Ob in Kairo oder in Wien …

Ob in Zeiten des Friedens oder jenen der kriegerischen Auseinandersetzung, ob in Kairo oder in Wien: Überall gibt es sie, die liebenden Väter. Auch den muslimisch-religiös verwurzelten wird zunehmend Achtung zuteil. "Wie leben Menschen mit Migrationshintergrund hierzulande in Familien, und vor allem: Wie leben die Männer?“, fragte "Frauen-ohne-Grenzen“-Leiterin Edit Schlaffer mit einer Studie über die neuen muslimischen Väter und kam zu dem Ergebnis, dass sich der Alltag muslimischer Babas von dem ur-österreichischer Papas im Wesentlichen nicht unterscheidet.

Patriarchale Strukturen seien hier wie dort vorzufinden. Unterschiedlich laufen dagegen Sozialisationsprozesse, ergänzt Seyid Arslan, Chefredakteur der österreichisch-türkischen Wochenzeitung Zaman. Während es das Ziel der ersten und zweiten Generation war, die traditionelle Familienstruktur aufrechtzuerhalten, änderte sich das mit der dritten und vierten. Zudem seien etwa türkische Familien mit Migrationshintergrund bedeutend kleiner und Großfamilien eine Seltenheit geworden. Interesse an großfamiliären Strukturen bestünde dennoch. "Der Artikel über eine türkische Großfamilie ist der meistgelesene auf unserer Webseite“, bemerkt der Chefredakteur der Wochenzeitung. Zurückzuführen sei das laut Arslan auf eine mit Integrationswunsch gepaarte Angst vor dem Verlust ihrer ursprünglichen Kultur.

Nahe des Wiener Westbahnhofs bringt Omar A. seine zweieinhalbjährige Tochter Zainab in den Kindergarten. Vor 20 Jahren kam der in Palästina geborene Wiener nach Österreich. Dass er sein Kind einmal zweisprachig erziehen würde, war für den mit einer Österreicherin verheirateten Chemiker klar. Dass er keine diesem Wunsch entsprechende Bildungseinrichtung in Wien dafür finden würde, jedoch nicht. "Wer sein Kind in einen arabischsprachigen Kindergarten geben will, hat wenig Auswahl.“ Lediglich in islamistisch gesinnten Betreuungseinrichtungen werde mit den Kindern auf Arabisch gesprochen. Weil er selbst höchstens liberal muslimisch sei, komme ein streng religiöser Kindergarten für ihn nicht in Frage. Was den Spracherwerb des Arabischen angelangt, so ist Zainab auch in den kommenden Jahren von ihrem Vater abhängig.

Die Einstellung ist die Trennlinie

Sprachlich einfacher haben es da die 54 Kinder des "Interkulturellen Bildungsgartens“ in Graz. Die sechs Betreuerinnen und die beiden Betreuer sind zum Teil selbst Migrant(inn)en und damit multilingual. Unter ihnen der 31-jährige Aminou Banna, der aus dem westafrikanischen Togo stammt und Muslim ist. Religion spielt im Zusammenhang mit Interkulturalität nicht nur für ihn eine Rolle, auch wenn Studien beweisen, dass Trennlinien zwischen inländischen Vätern und jenen mit Migrationshintergrund "nicht entlang von Religion, sondern entlang von Einstellungen“ verlaufen. Religiöse Grundsätze lässt Aminou deshalb auch manchmal in seine Arbeit mit Kindern einfließen. Der Umgang mit den eigenen Eltern werde im Islam groß geschrieben: "Das beginnt schon damit, sie zu begrüßen und ihnen Respekt entgegen zu bringen.“ Worauf er angesichts der eigenen religiösen Erziehung bei Kindern verzichten würde? Der liberale Muslim lacht: "Ich würde meine Kinder nicht schon um vier Uhr früh aufwecken, damit sie beten.“

Als Identifikationsfiguren sind Männer ebenso wichtig für Kinder wie Frauen. Trotz Papa-Monat und Väterkarenz seien erstere aber immer noch nicht so präsent in der Erziehung wie gewünscht, weiß Sandra Meiser-Lang, Leiterin des "Interkulturellen Bildungsgartens“ in Graz. Väter mit Migrationshintergrund seien schwerer zur gemeinsamen Bildungsarbeit zu bewegen. Grund dafür sei nicht etwa mangelndes Interesse am Gedeihen des Sprösslings, sondern berufliche Voraussetzungen, die eine von beiden Elternteilen in gleichen Teilen betriebene Kindererziehung erschweren würde.

Angst vor drohendem Arbeitsplatzverlust sieht die Pädagogin als eine der Ursachen dafür, dass die Erziehung oft der Kindesmutter überlassen wird. Zugleich bemerkt die im Bildungsgarten tätige Grazerin, dass Männer mit Migrationshintergrund beruflich oft weniger zeitlich flexibel seien - "vielleicht deshalb, weil sie in vielen Fällen womöglich stärker von Arbeitsplatzverlust betroffen sind als so genannte ‚Inländer‘.“

Männerbewegung fehlt weiter

Für Edit Schlaffer ist es in einem ersten Schritt das derzeitige gesellschaftliche System mit seinen wirtschaftlichen "Turbo-Mechanismen“, das viele Väter davon abhält, ihre Erziehungsaufgabe im selben Maße wahrzunehmen wie Mütter es tun (müssen). "Die ökonomischen Verhältnisse haben sich in einer Art und Weise verschärft, die weder frauen-, noch familien- noch menschenfreundlich sind. Jetzt sitzen halt alle im selben Boot.“

Als Schlaffer vor elf Jahren "Frauen ohne Grenzen“ ins Leben rief, merkte sie bald, dass Frauenprobleme nicht unabhängig von jenen der Männer diskutiert werden können. Eine Männerbewegung, die Väter in ihren Fragen unterstützt, vermisst sie bis heute. "Es gibt zwar interessante Bewegungen wie etwa jene der Männer, die gegen Vergewaltigungen auftreten, und es gibt Selbsterfahrungsgruppen. Aber es gibt nichts, was Männer zusammenhält.“

Was die Mutter einer erwachsenen Tochter den Vätern wünscht? "Den richtigen und rechtzeitigen Einstieg in die Familien. "Der nahende Vatertag ist vielleicht ein guter Tag, um diese Markierung vorzunehmen und zu signalisieren: Ich bin präsent. Nicht nur bei Freizeitaktivitäten, sondern auch im Alltag bin ich einfach da.“

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