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Nur Spitze des Eisberges"

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Seit 1961 gibt es „amnesty international", gibt es jene Gefan-genenhilfeorganisation, die sich um Menschen bemüht, die wegen ihrer politischen Uberzeugung, ihres Glaubens, wegen ihrer Hautfarbe oder Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe verfolgt werden; die deshalb gefoltert, verschleppt, ermordet werden, weil sie — gewaltlos — um ihre Menschenrechte kämpfen: etwa um das Recht, sich gewerkschaftlich organisieren zu dürfen—siehe Polen; etwa um das Recht, gleich behandelt zu werden wie Weiße — siehe Südafrika: etwa um das Recht, den Kindern die Religion der Eltern lehren zu dürfen - siehe UdSSR; etwa das Recht, eine politische Partei zu gründen und frei die Meinung äußern zu können.

Was mit jenen Menschen geschieht, die das fordern, wissen wir - in Argentinien „verschwinden" sie, in Guatemala werden sie erschossen, in Vietnam werden sie „umerzogen". In Rumänien steckt man diese Unliebsamen auch in psychiatrische Anstalten.

In 121 Ländern - so stellt der jüngste Jahresbericht von amnesty international fest — werden die Menschenrechte nachweislich mit Füßen getreten. In 121 Ländern müssen Tausende Menschen Leid erdulden.

Seit 1961 hat amnesty international mehr als 20.000 politische Gefangene betreut — oder wie die amnesty-Mitglieder sagen,

„adoptiert". Seit 21 Jahren kämpft amnesty international gegen Folter, gegen Todesstrafe, und nun auch gegen politischen Mord, der mit Wissen oder aber mit Duldung von Regierungen ■ durchgeführt wird. Aber auch die Aufklärung der Öffentlichkeit über die Motive für das „Verschwinden" politischer Oppositioneller hat amnesty auf seine Fahne geschrieben.

In den vergangenen Jahren „verschwanden" Tausende Menschen. In Uganda unter der Herrschaft von Idi Amin wird eine Zahl von rund 50.000 als Untergrenze genannt. Menschen verschwanden auch in Äthiopien, in Chile, Honduras, Argentinien, Guatemala und El Salvador - um nur ein paar Beispiele zu erwähnen.

Gegen das Unrecht angetreten sind in aller Welt 325.000 amnestyMitglieder. In 154 Ländern informiert amnesty international über Menschenrechtsverletzungen. In 41 Staaten gibt es nationale Sektionen.

Eine davon ist die österreichische ai-Sektion. Rund 1.500 Aktive in fast 100 Gruppen helfen Gewissensgefangene durch Interventionen verschiedenster Art aus der Haft, dem Straflager, der psychiatrischen Klinik zu befreien. Sie unterstützen die Familienangehörigen auch finanziell, wenn der, der die Familie ernährt, hinter Gittern ist. amnesty international beschafft oft auch einen Anwalt für die Verteidigung der politischen Häftlinge und kommt für die Kosten auf.

Im Jahre 1982 wurden 1.109 Gefangene, die von ai betreut waren, freigelassen. Im selben Zeitraum mußten 1.703 Fälle politischer Häftlinge neu registriert werden.

Für jeden Namen eines politischen Gefangenen, der amnesty international bekannt ist, können weitere fünfzig bis hundert unbekannte Gewissensgefangene angenommen werden. Es gibt Tausende, ja Hunderttausende solcher Gewissensgefangenen.

Die 1.703 neu adoptierten politischen Gefangenen des vergangenen Jahres sind — leider — nur die Spitze eines Eisberges.

Um nicht nur die Spitze dieses Eisberges zu verringern, sondern allen Gewissenshäftlingen helfen zu können, hat amnesty international Mitte Dezember weltweit einen Appell zugunsten aller politischen Verfolgten präsentiert. Ein Appell, der an die Generalversammlung der UNO ebenso gerichtet ist wie an alle Regierungen und Staatsoberhäupter:

„Tausende von Männern und Frauen befinden sich weltweit wegen ihrer politischen oder religiösen Uberzeugung im Gefängnis. Andere werden aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer ethnischen Abstammung festgehalten. Sie alle sind Gewissensgefangene — keiner von ihnen hat Gewalt angewendet noch Gewaltanwendung propagiert. Keiner dieser Menschen sollte im Gefängnis sein. Die Tatsache, daß sie wegen ihrer Uberzeugung oder ihrer Herkunft.inhaftiert und bestraft sind, ist eine Herausforderung an die Menschlichkeit. Wir fordern daher eine universelle Amnestie für alle Gewissensgefangenen!"

Menschenrechte, ihre Einhaltung und Friede sind trennbar miteinander verbunden. Die Freilassung aller Gewissensgefangenen würde einen in dieser Form bisher einmaligen Akt vertrauensbildender Maßnahmen auf internationalem Niveau darstellen. Immerhin haben bereits sieben Friedensnobelpreisträger den amnesty-Appell unterschrieben, darunter Adolfo Perez Esquivel, Willy Brandt und — Andrej Sa-charow.

Es war Andrej Sacharow, der vor etwa einem Jahr amnesty international folgenden Vorschlag schriftlich übermittelte: „Eine Amnestie für politische Gefangene in aller Welt würde ein apolitischer und zugleich menschlichhumanitärer Schritt von großer geschichtlicher Bedeutung sein. Dieser Vorstoß wird die Respektierung der Menschenrechte in aller Welt unterstützen und fördern. Internationale Sicherheit und gegenseitiges Vertrauen wird von einer solchen Initiative profitieren, wie auch die Sache des Friedens."

Diesen Appell zu unterschreiben sind all jene aufgefordert, die den Gewissensgefangenen in aller Welt beistehen wollen.

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