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Schluß mit schönen Worten!
Am 4. April vor 25 Jahren wurde in Memphis/Tennessee der schwarze Bürgerrechtskämpfer Martin Luther King erschossen. Seine Idee von der Gleichheit aller Menschen steht heute noch immer in einem Überlebenskampf. Eine Weltmen-schenrechtskonferenz der Vereinten Nationen vom 14. bis 25. Juni im Austria Center in Wien wird Bilanz ziehen, was in 25 Jahren geschehen ist. 1968 war nämlich auch das Jahr der ersten Menschenrechtskonferenz - in Teheran.
Am 4. April vor 25 Jahren wurde in Memphis/Tennessee der schwarze Bürgerrechtskämpfer Martin Luther King erschossen. Seine Idee von der Gleichheit aller Menschen steht heute noch immer in einem Überlebenskampf. Eine Weltmen-schenrechtskonferenz der Vereinten Nationen vom 14. bis 25. Juni im Austria Center in Wien wird Bilanz ziehen, was in 25 Jahren geschehen ist. 1968 war nämlich auch das Jahr der ersten Menschenrechtskonferenz - in Teheran.
Der knapp drei Monate nach seinem 39. Geburtstag erschossene Martin Luther King hat die Beschließung des von ihm miterkämpften „Bürgerrechtsgesetzes" am 11. April 1968 nicht mehr erlebt; was mit seiner Ermordung getroffen werden sollte, hat allerdings überlebt. Die Ost-West-Auseinandersetzung, das Aufkommen Lateinamerikas, die internationalen Befreiungskämpfe, der Vietnam-Krieg und der mit der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) eingeleitete europäische (als Weltmodell zu verstehende) Friedensprozeß hatten ein gemeinsames großes Thema: die Menschenrechte.
Der Kampf um die Durchsetzung der Menschenrechte - zunächst als ureigenstes individuelles Recht des Menschen vor jedem staatlichen Zugriff verstanden - war nicht selten von der bitteren Erkenntnis geprägt, daß das Recht von dem gebeugt werden konnte, der die Gewalt auf seiner Seite hatte und keine Hemmungen kannte, sie anzuwenden. Nicht selten folgte daraus auch bei zunächst gewaltlosen Kämpfern gegen die Inhumanität der Griff zur Waffe.
Trotz einer breiten Blutspur, die Folter, Mord und Bürgerkrieg in den vergangenen 25 Jahren hinterlassen hatten, läßt sich auch jener Weg nicht übersehen, den Pazifisten, Vertreter der gewaltlosen (nicht machtlosen) Auseinandersetzung, weltweite Organisationen wie amnesty international, Internationaler Versöhnungsbund, die Gesellschaft für bedrohte Völker, die Helsinki Föderation und viele andere gegangen sind: das ist schließlich auch der Weg der Vereinten Nationen, wenngleich eine Unzahl der in der UNO vereinten Nationen von der Verwirklichung dessen, was man unterzeichnet hat, Lichtjahre entfernt ist.
Bis vor kurzem hat aber Europa noch geglaubt, die Greuel der finstersten Jahre unseres Jahrhunderts endgültig als Unmenschlichkeit der scheußlichsten Art entlarvt und sich davon distanziert zu haben. Doch die zeitliche Distanz zum wahren saeculum obscurum -den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts - hat offenbar nicht zu einer inneren Distanz geführt. Mitten in Europa - in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens beispielsweise - zählt der Mensch nicht viel.
Am 1. April - zweieinhalb Monate vor Beginn der Menschenrechtskonferenz in Wien, hat die Republik Bosnien-Herzegowina beim Internationalen Gerichtshof in den Haag eine Klage wegen „Völkermords" gemäß der UNO-Konvention aus dem Jahre 1948 eingebracht. Die UNO-Menschenrechtskonferenz in Wien will die wichtigsten Fortschritte auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes auflisten, aber auch die Realität der weltweit fortgesetzten Mißachtung der Menschenrechte der Welt vor Augen führen - das werden in erster Linie wohl die an der Konferenz teilnehmenden staatlichen Menschenrechtskommissionen, amnesty international und andere Non-governmental organisations (NGOs, Organisationen, die nicht eine Regierung repräsentieren) einbringen. Zweieinhalb Monate vor der Konferenz stehen wir Europäer aber fassungslos vor der Tatsache, daß schwerste Verletzungen der Menschenwürde, Folterungen, willkürliche Erschießungen Unschuldiger, Zivilpersonen und Gefangener, Inhaftierungen aus politischen und Vertreibungen aus ethnischen Gründen seit einem Jahr auch in Europa wieder an der Tagesordnung sind.
Nicht nur Dritte-Welt-Gruppen, pazifistische Vereinigungen, katholische Gruppierungen wurden von den teuflischen Ereignissen in Bosnien überrollt. Was nach dem Zerfall der Moskau-dominierten Welt nahtlos in eine neue Weltordnung unter den Vorzeichen der Anerkennung der Menschenrechte überzugehen schien, ist längst in Frage gestellt. Und wir Europäer, denen bisher beim Stichwort Verletzung der Menschenrechte Chile, das frühere Argentinien, Iran, Irak, verschiedene arabische Staaten, die untergegangene Sowjetunion und China einfiel, müssen verstört bekennen, daß das bei uns auch möglich ist.
Fünf Ziele hat sich die UNO-Menschenrechtskonferenz in Wien gesetzt. Sie lesen sich sehr trocken im Vergleich zum himmelschreienden Unrecht, das uns heute unmittelbarer als früher trifft: mit romantischen Befreiungskampfvorstellungen ist es allemal vorbei. In Wien wollen die Mitgliedsregierungen der UNO das bisher im Menschenrechtsbereich Erreichte bewerten und Hindernisse für weitere Fortschritte beziehungsweise deren Überwindung auflisten. Auch das Verhältnis zwischen Entwicklung und Menschrechten soll untersucht werden - ein Thema, das immer mehr von Dritte-Welt-Staaten als eminent wichtige Grundvoraussetzung für menschenwürdiges Leben eingefordert wird.
Weiters geht es um Verbesserungen der Einhaltung bestehender Menschenrechtsnormen sowie um eine Bewertung der UNO-Metho-den und -Mechanismen bei ihren Menschenrechtsprogrammen - und schließlich um die Bereitstellung der dafür notwendigen finanziellen Mittel.
Im Wissen um den Mißbrauch derartiger Konferenzen - siehe Rio-Umweltkonferenz 1992 - von RegierungsVertretern für schöne Worte hat amnesty international radikale Reformvorschläge ausgearbeitet. Die sogenannte Gefangenenhilfsorganisation, deren Anliegen ja im Bereich der politischen Rechte angesiedelt sind, fordert die Ernennung eines eigenen UN-Hochkommissars für Menschenrechte, der, so heißt es in den jüngsten ai-Informatio-nen (4/1993), „die ganze Breite der bürgerlich-politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte abdecken soll".
Die Gefahr des Zerredens der Probleme zeichnet sich ab - wer jemals einen kommunistischen Apparatschik die Menschenrechte verteidigen hörte, weiß, wovon ich rede. Wir brauchen aber gar nicht in die Vergangenheit gehen: Serbenführer Radovan Karadzic sieht alles, nur keine Menschenrechtsverletzungen seiner Seite in Bosnien. Daher müssen NGOs in Wien eine klare Sprache sprechen. Die Menschenrechte sind universal, daher können sie nicht als innere Angelegenheiten eines Staates abgetan und damit der Kontrolle entzogen werden. Die wirtschaftlichen und sozialen Rechte des einzelnen werden stärker betont werden müssen. Und schließlich -amnesty spricht es deutlich an - wird man in Wien vor allem auf die Stimme der Opfer von Menschenrechtsverletzungen hören müssen. Die damit erzielte Betroffenheit - von der wir in Europa jetzt immer reden - müßte zu einer globalen Neumotivation im Einsatz um die Durchsetzung der Menschenrechte führen. Dann hätte die Konferenz in Wien Erfolg gehabt. Dann könnte man sagen, der Geist von Menschen wie Martin Luther King lebt noch.
In 25 Jahren werden wir hoffentlich nicht eines Schlechteren belehrt sein.
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