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Gewaltlosigkeit als Alternative?

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Kardinal König schrieb am 6. November 1976 in der FURCHE im Zusammenhang mit dem Rüstungswettlauf der Supermächte und dessen Folgen unter anderem: „Wo Massenvemichtungswaffen zur Anwendung gelangen, ist das Recht auf Verteidigung nur noch ein Recht und eine Pflicht zu gewaltfreiem Widerstand” und „Niemals hat Christus Unrecht schweigend gelten lassen, nie darf der Christ dies tun. Aber er bekämpft es mit neuen revolutionären Waffen. Wie der vom Unrecht betroffene ist auch der dafür verantwortliche Gegner in die Befreiung eingeschlossen … letztlich geht es darum, die gewaltfreie Revolution als humane dem Menschen entsprechende schöpferische … Form… zu verwirklichen”.

Die Sorge von Kardinal König um den Rüstungswettlauf in der Welt und die latente Bedrohung mit Massenvemichtungsmitteln ist mehr als verständlich. Auch in den Machtzentren der Menschheit ist sie vorhanden. Bedauerlicherweise behielt Wilhelm Grewe recht, als er 1970 prognostizierte (Grewe: Das Spiel der Kräfte in der Weltpolitik, 346 f): „Ein pazifistisches Zeitalter ist nicht zu erwarten. Die Neigung zur Gewalttätigkeit wird eher zunehmen. Völkerrecht und internationale Moral werden einen schweren Stand haben und in Gefahr geraten, zwischen den Mühlsteinen der gegen Gesetz und Ordnung und der die Rechtsordnung für ihre Machtzwecke mißbrauchenden Ordnungsfanatiker zermahlen zu werden… Auch in den siebziger Jahren wird man ,mit der Bombe leben’ und die Furcht vor ihr wird ein beherrschender Faktor der Weltpolitik bleiben.”

Die Bedrohungen, Konfliktursachen und Konflikte sind vielschichtiger geworden. In keinem Fall vermochte die Gewaltlosigkeit sie zu beseitigen oder zu lösen und für die betroffenen Menschen Frieden zu schaffen. Dies gilt nicht nur für den zwischenstaatlichen Bereich (seit Hiroshima und Nagasaki wurden über 100 militärische und revolutionär-militärische Konflikte auf der Welt ausgetragen), sondern auch für viele innerstaatlichen Konfliktursachen.

Wie verhindert im letzten Bereich eine bewußte Gewaltlosigkeit der Betroffenen Rassentrennung in Südafrika und Rhodesien, Sklaverei in Gebieten am Roten Meer, Einschränkung der Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit in den Volksdemokratien, Verbringung von Dissidenten in Irrenhäusern in der UdSSR, Verhaftung von Regimekri- tikem in der CSSR, Ausrottung oppositioneller Kräfte in Laos, Hinrichtung politischer Gegner im Irak usw.?

Oder sind vielleicht die Bomb’en- und sonstigen Anschläge der katho- lischririschen Untergrundbewegung durch demonstratives Hinnehmen der betroffenen Opfer zu verhindern? Laut Amnesty International werden in 122 Staaten der Erde Menschenrechte verletzt (fast alle diese Staaten haben die Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen unterzeichnet) und in 60 Staaten wird mehr oder minder regelmäßig gefoltert.

Nebenbei gesagt beinhaltet die Wortschöpfung „gewaltfreie Revolution” in sich schon einen unlösbaren Zwist, so man sie, wie im zitierten Artikel in der FURCHE, zwar aus dem Evangelium motiviert, aber im politischen Bereich stattfindend verstanden haben will. Laut Großem Brockhaus ist das Ziel einer Revolution, im politischen Bereich „… eine neue Ordnung zu schaffen und diese dann gegen jeden weiteren Umsturz auch mit Gewalt zu verteidigen.” - Gewaltfreie Revolution mit dem Ziel neue Gewalt herbeizvführen?

Aber auch das Bedrohungsbild für den neutralen Kleinstaat Österreich ist leider doch wesentlich umfassender und differenzierter als es häufig oberflächlich vorgestellt wird. Eingebettet in Europa ist uns ein dritter großer Krieg in diesem Jahrhundert nicht nur wegen der Interdependenz der Staaten und Völker und der Vernunft ihrer Führer, sondern auch wegen des Gleichgewichtes militärischer Kräfte in Europa und vor allem wegen der Furcht vor dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen erspart geblieben. Für Österreich verbleibt aber trotzdem und gerade in der Zukunft, daß es hinsichtlich begrenzter Konflikte und gegen die Anwendung indirekter Strategien von außen und im inneren verantwortbare, das heißt einen Frieden in Freiheit undnicht einen Frieden um jeden Preis garantierende Antworten im sicherheitspolitischen Bereich zu suchen haben wird.

Die Beobachtung moderner Konflikte zeigt, daß das Schwarz- Weiß-Bild von Krieg undFrieden in globalen und lokalen Dimensionen von einer latenten Verflechtung unterschiedlicher Bedrohungen verdrängt wurde und äußere und innere Sicherheit nicht mehr sauber voneinander zu trennen sind. Mit der Einschränkung der Anwendbarkeit staatlicher, auch militärischer Machtmittel in verschiedenen Regionen ist die Anwendung von Gewalt nicht verschwunden. Sie hat sich nur auf eine andere Ebene verlagert. Anwendung von nicht von Staaten organisierter Gewalt ist auf Grund der Wirksamkeit von Guerilla- und Subventionstechniken und von gewissen Mechanismen der Massenmedien im Vormarsch.

Die Abwesenheit staatlicher, insbesondere militärischer Machtmittel -wie z. B. durch ein Konzept des gewaltfreien Widerstandes - führt nicht nur zur Verunsicherung im regionalen außenpolitischen Bereich, sondern auch zu einer Eskalation der Gewaltanwendung im innerstaatlichen Bereich. Die hun- derttausenden Toten und Millionen vertriebenen Mohammedaner und Hindus nach dem „gewaltlosen” Sieg Ghandis sowie die jüngste Entwicklung im Libanon mögen hier stellvertretend für viele leidvolle Erfahrungen stehen.

Es war und soll immer Aufgabe des Christen und seiner kirchlichen Organisationen sein, den einzelnen Menschen und das Kollektiv zur Nichtanwendung von Gewalt hinzuführen und zu erziehen. Es mag darüber hinaus dem Gewissen des einzelnen überlassen sein, Ungerechtigkeiten zu erdulden, allerdings im Bewußtsein, daß er damit deren Anwendung fördert. Die Gemeinschaft aber hat aktive Vorsorgen zu treffen, um ein Entstehen, Wirksamwerden und die Auswirkungen von Konflikten zu verhindern.

Hiezu bedarf es jedoch für den Katholiken und die katholische Gemeinschaft keiner Neuinterpretation ihrer Pflichten und der Art ihres Widerstandes. Das II. Vatikanum gibt hiezu die verbindliche Regel und Antwort: „Allerdings - der Krieg ist nicht aus der Welt geschafft. Solange die Gefahr von Krieg besteht und solange es noch keine zuständige internationale Autorität gibt, die mit menschlichen Mitteln ausgestattet ist, kann man, wenn alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung erschöpft sind, einer Regierung das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht absprechen. Die Regierenden und alle, die Verantwortung für den Staat tragen, sind verpflichtet, das Wohl der ihnen anvertrauten Völker zu schützen, und sie sollen diese ernste Sache ernst nehmen.”

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