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Der Kult der Gewalt ist das Schlangenei des Terrorismus

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In seiner Inaugurationsrede am 11. November 1977 sprach der Grazer Rektor Anton Kolb, Professor an der Theologischen Fakultät, in engagierter und sehr dezi-dierter Form über „Universität und Gesellschaft“ und ging dabei unter anderem auch auf das so schmerzlich aktuelle Problem des Terrors ein. Anders als in der breiten Öffentlichkeit stieß er mit seinen Ausführungen innerhalb der Universität auf Widerspruch: einmal als philosophische und wissenschaftstheoretische Kritik an seiner Rede, zum zweiten als meistenteils studentische Angriffe, die auch die Theologischen Fakultäten polemisch erfaßten, wiewohl gerade die Heftigkeit der durch diese Inaugurationsrede ausgelösten Auseinandersetzung Indiz für die nach wie vor bestehende Ausstrahlung der Theologischen Fakultäten ist. Der in „Gastkommentaren“ der „Kleinen Zeitung“ sich hinziehende Philosophendisput, in dem das Terrorismusproblem meist nur mehr am Rande vorkam, rief spätestens dann den Wunsch nach Rückkehr zu den Sachfragen hervor, als man die neuesten, meist entmutigenden Informationen über die Entführung Aldo Moros durch die „Roten Brigaden“ und seinen „Prozeß“ erhielt.

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In seiner Inaugurationsrede am 11. November 1977 sprach der Grazer Rektor Anton Kolb, Professor an der Theologischen Fakultät, in engagierter und sehr dezi-dierter Form über „Universität und Gesellschaft“ und ging dabei unter anderem auch auf das so schmerzlich aktuelle Problem des Terrors ein. Anders als in der breiten Öffentlichkeit stieß er mit seinen Ausführungen innerhalb der Universität auf Widerspruch: einmal als philosophische und wissenschaftstheoretische Kritik an seiner Rede, zum zweiten als meistenteils studentische Angriffe, die auch die Theologischen Fakultäten polemisch erfaßten, wiewohl gerade die Heftigkeit der durch diese Inaugurationsrede ausgelösten Auseinandersetzung Indiz für die nach wie vor bestehende Ausstrahlung der Theologischen Fakultäten ist. Der in „Gastkommentaren“ der „Kleinen Zeitung“ sich hinziehende Philosophendisput, in dem das Terrorismusproblem meist nur mehr am Rande vorkam, rief spätestens dann den Wunsch nach Rückkehr zu den Sachfragen hervor, als man die neuesten, meist entmutigenden Informationen über die Entführung Aldo Moros durch die „Roten Brigaden“ und seinen „Prozeß“ erhielt.

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Es gibt wahrhaftig noch zahlreiche offene Fragen, Fragen nach Ursachen, Subjekten, Objekten, Zielen, Mitteln und Folgen des Terrorismus. In vielem, besonders in der Ermittlung der psychisch-personalen, aber auch der politisch-sozialen Ursachen des Terrors, steht die Forschung erst am Anfang, vieles ist kontrovers. So behaup-

ten die einen, daß gerade die Frustration in einem sozial arrivierten „intakten“ Mittel- oder Oberschichtenel- • ternhaus das Absinken Jugendlicher in den Terrorismus fördere, während der umfassende „GewaltReport“ der französischen Regierung vom Juli 1977 die Gruppe der 16- bis 25jährigen Großstädter mit „gestörten“ Familienverhältnissen als besonders anfällig bezeichnet.

Der demokratische Rechtsstaat mit seinen liberalen Verfassungselementen zeigte sich in der vergangenen Dekade in der Auseinandersetzung mit der Neuen Linken legitimitätsstärker und widerstandskräftiger als seine Gegner hofften und seine Anhänger fürchteten; seine Bürger brachten und bringen ihm - auch die italienischen Reaktionen auf die Moro-Entführung zeigen dies - doch nicht nur von permanenter Wohlstandssteigerung gespeiste Loyalitäten entgegen. Gelang es dem westlichen Staatstyp durch temperierte Berücksichtigung von Partizipationsforderungen innerhalb eines grundsätzlich und überwiegend repräsentativen politischen Systems von neuem seine Anpassungsfähigkeit als „mixed government“ zu beweisen, so blieben doch zwei beträchtliche „Restprobleme“ auch nach dem Abebben der Neuen Linken bis heute un-bewältigt:

• die Frage der Kernenergienutzung und

• der neue Terrorismus.

Hier interessiert das zweite Problem, zu dessen Aufbereitung, gleichsam das Szenarium des Geschehens ermittelnd, die Entwicklung des demokratischen Rechtsstaates und seiner terroristischen Infragestellung, staatstheoretisch und politikwissenschaftlich skizziert werden soll.

Die mittelalterlichen Formen vielfältiger privater Rechtsdurchsetzung auf wenige Notwehr- und Nothilfesituationen abbauend, das Territorium zu einem begrenzten Herrschaftsgebiet schließend, entwickelte sich in der Uberwindung der konfessionellen Bürgerkriege des 16. und 17. Jahrhunderts der neuzeitliche Staat mit seiner inneren und äußeren Souveränität, mit seinem Gewaltmonopol, das durch

seine Schutz- und Friedensfunktion final legitimiert wird.

„Der moderne Staat entwaffnet seine Bürger und behält sich selbst das Monopol zur Anwendung körperlichen Zwanges vor.“ (Erwin K. Scheuch) Die Sicherung des inneren Friedens durch die Verstaatlichung der Gewaltausübung wurde schier zur Selbstverständlichkeit, erst die bedrohliche Irritation durch den Terrorismus riß diese Staatsaufgabe

wieder ins öffentliche Bewußtsein. Zur Besorgung dieser Aufgabe bedient sich der Staat der Neuzeit eines Berufsbeamtentums und eines stehenden Heeres, also eines Behördenapparats, der über wirksame Zwangsmittel, ein sich zunehmend differenzierendes Sanktionssystem verfügt Er rationalisiert und bürokratisiert sich, historisch-konkret zuerst als monarchischer Absolutismus.

Im Gefolge der Aufklärung erfuhr der absolutistische Staat revolutionäre und evolutionäre Umprägungen, die jedoch nicht das Gewaltmohopol des Staates und das korrespondierende Verbot privater Gewaltausübung zerstörten. Erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts fanden diese Umprägungen ihre glückliche Kombination im sozialen und demokratischen Rechtsstaat. Der Rechtsstaat bezweckt Bändigung des mächtigen „Leviathan“, Begrenzung der Staatsgewalt, Rechtssicherheit als Orientierungs-, aber eben auch Realisierungssicherheit mit Hilfe von kodifizierten Verfassungen, Gewaltenteilung, Rechtmäßigkeit des Staatshandelns, Grund- und Freiheitsrechten, Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit.

Demokratie ist Ausdruck zunehmender Konsensbedürftigkeit staatlicher Herrschaft, an der - vor allem repräsentativ-parlamentarisch - mitzuwirken einem immer größeren Personenkreis rechtlich möglich wurde. Die soziale Frage des 19. Jahrhunderts führte zur Vermehrung der Staatsaufgaben, zur Dynamisierung der Rechtsordnung, zur Notwendigkeit ständiger Staatsinterventionen in den gesellschaftlichen Bereich, zu ständigem Interessenausgleich in der regulierungsbedürftigen Industriegesellschaft

Die grundsätzliche Offenheit der Staatszwecke ermöglicht im demokratischen Rechtsstaat einen sozialen und rechtlichen Wandel als „peaceful change“ durch pluralistische und kompromißhafte Auseinandersetzung um das Gemeinwohl. Die Gewalt, der physische Zwang, rückt aus dem Alltag, ist nur ultima ratio als staatliche Sanktion bei Durchsetzung der Rechtsordnung.

Von dieser ultima ratio-Funktion der Gewalt, des Zwanges, im demokratischen Rechtsstaat unterscheidet sich die Funktion der Gewalt im Terrorismus, bei dem sie prima ratio des Handelns ist: Unmittelbare, tendenziell unbegrenzte, systematische Gewaltanwendung soll Furcht und Schrek-ken, Unsicherheit, Argwohn und Angst erzeugen und dadurch Machtausübung ermöglichen. Der Schatten vielfältiger Todesdrohungen begrün-

det die äußerste Ernsthaftigkeit einer terroristisch geprägten Situation. Zur Klarstellung ist festzuhalten, daß Terrorismus nicht nur bei revolutionären Gruppen zu finden ist, sondern daß auch der Staat sein oben erwähntes Gewaltmonopol terroristisch handhaben kann; nur der demokratische Rechtsstaat würde seine Qualität verlieren, wollte er eine Schreckensherrschaft aufrichten.

In loser Szenenfolge möchte ich einige Beispiele staatlichen und nichtstaatlichen Terrors vorführen, bis hin zum gegenwärtigen Terrorismus.

Besondere historische Resonanz fand die Phase des „Grand Terreur“ der Französischen Revolution vom Frühjahr 1793 bis zum Sommer 1794 (Maximilian Robespierre: „Das Prinzip der demokratischen Regierung ist die Tugend, und das Mittel, sie zur Herrschaft zu bringen, ist der Terror.“)

Das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts weist eine Intensivierung politischer Gewalttätigkeit auf, als „Propaganda der Tat“ durch individuelle Terrorakte, wobei der russische Anarchismus (Netschajew) eine besondere Rolle spielte. Von beachtlicher Aktualität ist die Angabe der Zwecke von Terroraktionen im Programm der „Na-rodnaja Voha“ vom Oktober 1880: „Ihr Ziel ist es, das Ansehen der Regierungsmacht zu kompromittieren, die Möglichkeit eines Kampfes gegen die Regierung unaufhörlich unter Beweis zu stellen, den revolutionären Geist des Volkes und seinen Glauben an den Erfolg unserer Sache dadurch zu stärken und schließlich kampffähige Kader zu bilden.“

Fatale rechte wie linke Einflußströme gingen an der Schwelle unseres Jahrhunderts von der Überhöhung der Gewalt als schöpferischer, mythenbildender Kraft durch Georges Sorel aus. Die großen Totalitarismen setzten ein hocheffizientes Instrumentarium der Terrorisierung zur Durchsetzung ihrer Herrschaft ein: der Leninismus-Stalinismus links, der italienische Faschismus, noch mehr der deutsche Nationalsozialismus rechts.

Das rabiate Freund-Feind-Denken der Kriegs- und Nachkriegszeit hatte die Atmosphäre für einen düsteren, an-

tiliberalen Kult der Gewalt und des Todes vorbereitet. 1923 schrieb Artur Moeller van den Bruck: „Für alle Völker kommt die Stunde, in der sie durch Mord oder Selbstmord sterben, und kein großartigeres Ende ließe sich für ein großartiges Volk denken als der Untergang in einem Weltkriege, der die ganze Erde aufbringen müßte, um ein einziges Land zu bewältigen.“ Und der Rechtswissenschafter Carl Schmitt notierte bezeichnenderweise in einem Sorel-Aufsatz: „Kriegerische, revolutionäre Begeisterung und die Erwartung ungeheurer Katastrophen gehören zur Intensität des Lebens und bewegen die Geschichte.“

Wie verwandt klingt doch der Todeshymnus Ernesto Che Guevaras aus seiner „Botschaft an die Völker der Welt“ (1967): „Wo immer uns der Tod antrifft, er sei wülkommen, wenn unser Kriegsruf nur ein aufnahmebereites Ohr erreicht hat und eine andere Hand sich ausstreckt, unsere Waffen zu ergreifen, und andere Menschen sich daranmachen, die Trauermusik mit Maschinengewehrfeuer und neuen Kriegs- und Siegesrufen anzustimmen.“

Der Kult der Gewalt ist das Schlangenei des Terrorismus.

Che Guevara wurde nach seinem Tod zu einer Leit- und Symbolfigur der Neuen Linken, deren revoltierender Protest auch aus einer sich bis zur Verhöhnung steigernden antiinstitutiona-listischen Hyperkritik an der liberalen rechtsstaatlichen Demokratie bestand. Die Mittel des Protests zeigten eine wachsende Disposition, das Gewaltverbot des Staates zu durchlöchern:

Erschossene Moro-Leibwächter

zuerst gewaltlose Demonstrationen, Respektlosigkeit mit spielerischen Momenten, dann begrenzte Regelverletzungen und Gewalt gegen Sachen -gerade in dieser Mehrschichtigkeit tremendum et fascinosum, zumal für Jugendliche.

Schließlich wieder das groteske Wort eines deutschen Rechtswissenschafters: „Es gibt in dieser Gesellschaft Gruppen, die sich selbst legitimieren - unter Umständen durch Gewalt - und die sich nicht aus den formalen Prozessen parlamentarischer Repräsentation ableiten lassen.“ (Ulrich K. Preuss) Um auch den demokratischen Rechtsstaat als gewalttätig, ja terroristisch qualifizieren zu können, mußte die Denk- und Sprachfigur der „strukturellen Gewalt“ herhalten, ein Synonym für „soziale Ungerechtigkeit“, die den Einsatz von „Gegengewalt“ rechtfertigen soll; ja letzten Endes wurde, worauf Bernd Guggenberger hinwies, aus dieser Sicht alles zur Gewalt, „was dem einzelnen nicht unbegrenzt verfügbar ist“.

Die Neue Linke zerbröckelte in den siebziger Jahren in vier Richtungen: in einen fast biedermeierlich resignati-ven Quietismus, in eine kritisch angespannte Gruppe am Rande der Sozialdemokratie, in doktrinäre kommunistische Kaderpolitik und in den harten neuen Terrorismus, der auch aus nationalistischen und Sozialrevolutionären Bewegungen der Dritten Welt und der Randzonen Europas wuchs. Seine Phänomenologie findet sich täglich drastisch in den Zeitungen. Seine Neuheit liegt in seiner Technizität, Mobilität und Internationalität.

In der „klassischen“ Variante will dieser Terrorismus, meist die paradoxe Utopie einer gewaltsam zu erringenden gewaltfreien Zukunftsgesellschaft vor Augen, eine radikale Alternative zum Status quo herbeiführen; wozu er mit seinen Uberraschungsund Uberrumplungsaktionen eine revolutionäre Situation, eine umfassende Systemkrise mit Entsolidarisie-rung und Polarisierung der Bürger erzeugen will. Ein wichtiges Mittel ist die als „Bestrafung“ ohne Verteidigungsmöglichkeit konstruierte Ausschaltung von Repräsentanten der Oberschicht, um durch dieses grelle Büd der Verwundbarkeit des Systems - multipliziert durch die Massenmedien - die Öffentlichkeit aufzurütteln, was bisher mißlang: Der „common man“ macht nicht mit. Im Gegenteil. Die Destruktivität des Terrors und sein blindlaufender Automatismus zeigen sich unverhüllt in der zweiten Variante des Terrorismus, bei der die Terrorart nur mehr Revolutionssurrogat, Flucht aus der Verzweiflung, Selbstzweck ist.

Die bisherigen Erwägungen legen folgende Schlüsse nahe:

Der friedenssichernde, die II. Republik tragende Fundamentalkonsens, die Uberzeugung der Österreicher, daß Österreich „ihr“ Staat ist, muß mit allen Kräften bewahrt werden. Auf diesem Fundamentalkonsens, der seinen rechtlichen Ausdruck in der Verfassung, zumal im Grundrechtskatalog findet, kann sich die pluralistische He-terogenität einer komplexen, mannigfach differenzierten Gesellschaft aufbauen, partielle Konflikte und partieller Dissens sind dann gewaltlos und to-

lerant auszuhalten und aufzuarbeiten. Das tiefsitzende Bedürfnis der Bürger nach einem möglichst gesicherten und friedvollen Leben muß sehr ernst genommen werden. Der demokratische Rechtsstaat darf die schon aus einer älteren Schicht der Entwicklung des Staates stammende Schutz- und Friedensfunktion nicht preisgeben, sonst würde ihm in bitterster Konsequenz „eine erneute Dispersion der Gewaltmittel unter dem Rechtstitel der Notwehr“ (Ulrich Matz) drohen. Der demokratische Rechtsstaat darf freilich auch nicht sein Spezifikum, sein liberales Gesicht, bei Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit preisgeben; sein Problem hegt darin, dem Terrorismus wirkungsvoll zu begegnen, ohne selbst terroristische Züge anzunehmen; er wird also ohne Nachlässigkeit und Opportunismus, aber auch ohne Hysterie und Ubermaß handeln müssen.

Die österreichische Innenpolitik sollte sich für Ernstfälle die Bereitschaft zu „großen“ Lösungen, wie sie etwa 1975 unter dem Titel „Kooperationsregierung“ diskutiert wurden, offenhalten und nicht alle Erwartungen auf jeweils „kleine“ Kombinationen der politischen Parteien setzen.

Terrorismus ist eine extreme Handlungsform der Jugend. Wir müssen unseren Jugendlichen Chancen, Aktivitäten, Optionen bereithalten, um ein massenhaftes Abgleiten in den Terror zu vermeiden Die österreichische Geschichte der zwanziger Jahre hat gezeigt welch katastrophale Folgen Jugendarbeitslosigkeit hat.

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