Wer gewinnt den Vierten Weltkrieg?

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Fünf Jahre "Krieg gegen Terror" haben Al Kaida zwar geschwächt, aber die

Terrorbedrohung ist um nichts kleiner geworden.

Die USA haben nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 den weltweiten "Krieg gegen den Terrorismus" ausgerufen (Global War on Terrorism /GWOT). Zweifellos stellt dies nach dem Ende des Kalten Krieges 1989 eine weitere Zäsur auf dem Weg zu einer neuen Welt(un)ordnung dar, die maßgeblich (wenngleich nicht nur) vom Verhalten der einzig verbliebenen SupermachtUSAbestimmt wird. Dabei ist davon auszugehen, dass die meisten geopolitischen und geostrategischen Entwicklungen und Ereignisse der letzten Jahre nicht monokausal auf denGWOTzurückgehen, sondern eher als Bestätigung und Fortsetzung eines sicherheitspolitischen Paradigmenwechsels zu sehen sind.

Der Kampf gegen den Terrorismus - von manchen US-Analytikern schon als "Vierter Weltkrieg" (nach den beiden Weltkriegen und dem Kalten Krieg mit der UdSSR) apostrophiert - wurde dabei zum Kristallisationspunkt und Katalysator. Der Begriff "Krieg gegen den Terror" wirft die Frage auf, welche Art von "Krieg" hier eigentlich stattfindet. Ist es ein trinitarischer Krieg im Clausewitz'schen Verständnis, ist es ein "totaler Krieg" (dessen Vorstellung in Westeuropa und Nordamerika von den beiden Weltkriegen geprägt ist) oder ist es eher ein der inflationären Verwendung des Terminus "Krieg" folgendes Engagement der USA, wie es zum Beispiel auch im "Krieg gegen Drogen", dem "Krieg gegen Armut" oder im "Krieg gegen Verbrechen" geschieht?

Krieg für liberale Werte

Lawrence Freedman, Professor für War Studies am King's College (London) schließt sich der Bezeichnung "Krieg" grundsätzlich an und begründet dies damit, dass der Kampf gegen Terrorismus ein gewaltsames Eintreten für liberale Werte darstelle und somit existenziellen Charakter für die gesamte westliche Welt, allen voran die USA, habe. GWOT ließe sich demnach in die Reihe der beiden Weltkriege sowie des Kalten Krieges einfügen. Er stellt allerdings durch den Fokus auf humanitäre Werte und Minderheitenrechte und eine mitunter angestrebte Veränderung innerstaatlicher Machtverhältnisse eine offensive Variante des "liberal war" dar.

In diesem Zusammenhang ist auch zu fragen, welche Absicht hinter der bewussten Verwendung des Kriegsbegriffs steckt und was er bewirkt. Dabei ist einerseits zu erkennen, dass US-Präsident George w. Bush einen gewissen nationalen wie internationalen Solidarisierungs-und Mobilisierungseffekt erzielen konnte. So war es möglich, noch lange nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 die US-Bevölkerung hinter sich zu versammeln und oppositionelle Kräfte zu zügeln. Die Aktivierung der NATO-Beistandsverpflichtung - ohne explizites Ersuchen der USA und maßgebliche Konsequenzen - und die breite politische Akzeptanz des Afghanistaneinsatzes reflektieren die internationale Solidarität und Unterstützung vor allem der westlichen Welt.

Der Ausdruck "Krieg" sollte andererseits auch für jeden klar zum Ausdruck bringen, dass friedliche Mittel wie Verhandlungen und Sanktionen nicht mehr ausreichend seien, um die Sicherheit zu gewährleisten, sondern nunmehr (auch) gewaltsame Lösungen gerechtfertigt wären. Somit verschaffte sich der Präsident eine größere Handlungsfreiheit bei der Wahl der strategischen Mittel, die allerdings von einer reduktionistischen Sichtweise und einer Konzentration auf das Instrument Militär begleitet wurde.

Die zahlreichen Maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft zur Bekämpfung des transnationalen Terrorismus haben diesen in seiner Grundkonzeption nicht wesentlich verändert. Die vier bereits vor 9/11 identifizierbaren Trends setzen sich weiter fort.

Abzielen auf Schockeffekte

So ist erstens ein wachsendes Zerstörungspotenzial erkennbar, das vor allem infolge der Nutzung von Hochtechnologie durch entsprechend gebildete Akteure entsteht; zweitens das Abzielen auf Schockeffekte, die durch die massenmediale Verbreitung erst ihre volle Wirkung erzeugen; drittens die zunehmende Fähigkeit zur Planung komplexer Operationen und viertens das Zeichnen eines klaren Feindbilds in Gestalt der USA und des Westens. Obwohl durch die US-Intervention in Afghanistan die Taliban die Macht und Al Kaida ihre Planungs-, Ausbildungs-und Rückzugsräume verloren hatte, gewann Al Kaida als Identifikationsfaktor an Bedeutung.

Die Bekämpfung "des Westens" wurde für viele Moslems zur Ideologie, und die von Osama bin Laden und seinem engsten Führungskreis vermittelten Botschaften ("Kriegserklärungen") werden weltweit von Muslimen als Appell verstanden und vielfach ungeprüft übernommen.

Bin Ladens Strategie-Mix

So halten beispielsweise zwei von drei Marokkanern Selbstmordanschläge im Irak gegen westliche Kräfte für gerechtfertigt. Trotz der grausamen Bilder der Anschläge von Madrid 2004 und London 2005 sowie Hunderter unschuldiger Toter ist aber festzustellen, dass sich ein Anschlag in der "Qualität" des 11. September 2001 bislang nicht mehr ereignete. Allerdings stellt sich dabei die Frage, ob dies auf die Terrorismusbekämpfung oder auf strategisches Kalkül der Terroristen zurückzuführen ist.

Philippe Errera, stellvertretender Direktor des Planungsstabes im französischen Außenministerium, ging bereits 2005 davon aus, dass bin Laden und sein engster Kreis einen Strategie-Mix anstreben: Demnach sollen durch eine möglichst hohe ideologische Kohäsion zugleich die Vorteile einer hierarchischen sowie einer dezentralen Organisation genutzt werden können. Aufwändige, komplexe und vor allem spektakuläre Operationen sind dabei genauso vorgesehen wie ein Abtauchen in die Anonymität, um sich dem Zugriff der Fahnder zu entziehen. Die Aufsehen erregenden Meldungen über die verhinderten Terroranschläge auf Flugzeuge im letzten Monat, die von London aus in die USA hätten fliegen sollen, können als Bestätigung für die Existenz von drei Al-Kaida-Kreisen und des vermuteten Strategie-Mix angesehen werden. An diesem Vorfall wird aber auch erkennbar, dass die Arbeit und internationale Zusammenarbeit der Nachrichtendienste - in diesem Fall des britischen und des pakistanischen - merkliche Fortschritte macht.

Am Fortbestehen der terroristischen Bedrohung kann kein Zweifel bestehen. So schätzt der britische Inlandsgeheimdienst MI5 die Zahl potenzieller islamistischer Attentäter alleine in Großbritannien auf bis zu 1200.

Die Analyse der letzten fünf Jahre GWOT ergibt somit ein ambivalentes Bild, das aber gut die Komplexität der Bedrohung durch den Terrorismus und dessen Bekämpfung zeigt:

* Die Verwendung des Terminus "Krieg" ist kontraproduktiv. Er verengt und verzerrt die Sicht auf die Komplexität der Problematik, bewirkt falsche Erwartungen auf Seite der eigenen Bevölkerung und unbeabsichtigte Solidarisierungseffekte im Umfeld terroristischer Gruppierungen. Letztlich verhindert diese Bezeichnung die Entwicklung umfassender, langfristiger und den jeweiligen Erfordernissen angepasster Gesamtstrategien.

* Die USA sind durch die Konzentration auf die Terrorismusbekämpfung in eine ungünstige strategische Position geraten. Sie haben durch ihr unilaterales Vorgehen an Glaubwürdigkeit und Legitimation verloren und gleichzeitig geopolitischen Konkurrenten wie China und Russland, vor allem aber dem Iran, in die Hände gespielt. Die US-Strategie eines HiTech-War würde eigentlich ein multilaterales Vorgehen erfordern, um nach ersten militärischen Erfolgen genügend Unterstützung, vor allem Truppen verbündeter Staaten für eine nachhaltige Stabilisierung und politischen wie wirtschaftlichen Wiederaufbau, zu haben.

9/11 bleibt die Ausnahme

* Der Krieg gegen den Terrorismus bewirkte vorwiegend in Europa einen Sensibilisierungs-und Umdenkprozess. Auch Staaten, die sich bislang subjektiv sicher fühlten, wurden sich des Bedrohungspotenzials und der Komplexität der Terrorgefahr bewusst. Dies erzeugte eine verstärkte sicherheitspolitische und auch nachrichtendienstliche Zusammenarbeit in internationalen Gremien und auf zwischenstaatlicher Ebene, die es in diesem Ausmaß und in dieser Intensität vorher nicht gegeben hatte. Damit wurden wesentliche Voraussetzungen geschaffen, einer sich global darstellenden Bedrohung entsprechend geschlossen und akkordiert begegnen zu können.

* Seit dem 11. September 2001 hat sich kein Einzelanschlag vergleichbaren Ausmaßes mehr ereignet, das Taliban-Regime wurde gestürzt, Al Kaida empfindlich getroffen. Die Bedrohung durch den Terrorismus ist aber - wie die vereitelten Pläne von London 2006 zeigen - nicht geringer. Vor allem das Entstehen autonomer Terrorzellen stellt ein unüberschaubares, unberechenbares Gewaltpotenzial dar.

Nebeneffekt: Kluft wächst

* Es ist zu befürchten, dass als unerwünschter Nebeneffekt des GWOT weltweit Teile der islamischen Glaubensgemeinschaft gegen die USA und den gesamten Westen weiter aufgebracht wurden. Durch die militärischen Interventionen im Nahen/Mittleren Osten entsteht eine immer größere Kluft zwischen der westlichen und der muslimischen Welt, die sich nicht nur in der Region, sondern weltweit und vor allem auch in westlichen Staaten in Gestalt islamischer Bevölkerungsteile zu einem steigenden Bedrohungspotenzial entwickeln kann. Darüber hinaus werden verstärkt Spannungen innerhalb der islamischen Welt gewaltsam ausgetragen.

* Der Versuch einer politischen Neuordnung des Nahen/Mittleren Ostens ist misslungen. Statt eines Stabilisierungs-und Demokratisierungseffektes ist vor allem durch den Krieg im Irak auf Dauer eine Konfliktzone entstanden, deren Auswirkungen noch nicht endgültig abzuschätzen sind. Radikal-islamistische Strömungen, die auch zum Sturz "prowestlicher" politischer Führungen führen könnten, sind jedenfalls im Aufwind.

* Der global bestehende sicherheitspolitische Paradigmenwechsel wurde verstärkt. Als wesentliche Merkmale sind dabei die globalen Auswirkungen einer nichtmilitärischen Bedrohung, die "Privatisierung von Sicherheit" im Zuge einer steigenden Bedeutung nichtstaatlicher Akteure und die "perfektionierte Asymmetrierung" gewaltsamer Auseinandersetzungen anzuführen.

* Die UNO ist unter erheblichen Handlungsdruck geraten. Im Kontext der Terrorismusbekämpfung haben Fragen nach dem Umgang mit "schwachen" Staaten, bevorzugt dort anzutreffenden nichtstaatlichen Gewaltakteuren und vor allem nach dem Einsatz insbesondere präventiver und präemptiver Gewalt zur Selbstverteidigung, an Dringlichkeit zugenommen. Der Gedanke vorbeugenden Gewalteinsatzes findet denn auch bereits vermehrt in Sicherheitsdoktrinen und strategischen Konzepten von Staaten und Sicherheitsorganisationen Eingang.

* Terrorismusbekämpfung kann keine große sicherheitspolitische Bindekraft entwickeln. Vielfach entsteht eher der Eindruck, dass Kooperationen erfolgen, um bei den USA nicht in Misskredit zu geraten oder in Ungnade zu fallen. Auch Spannungen im transatlantischen Verhältnis konnten durch das Ziel gemeinsamer Terrorismusbekämpfung nicht gelindert werden, es sind eher zusätzliche Irritationen eingetreten.

* Transnationaler Terrorismus und seine Bekämpfung haben zu individuellen Einschränkungen und zur Marginalisierung von Menschenrechten in Konflikten geführt. Viele Sicherheitsvorkehrungen führen zum Verlust individueller Freiheiten und zu Belastungen im öffentlichen Bereich. Der Kampf gegen den Terrorismus hat sich auch weltweit zu einem "Killerargument" gegenüber politischen Widerstandsgruppen entwickelt, die pauschal als "Terroristen" eingestuft werden und nur mehr geringe Chancen auf eine differenzierte internationale Wahrnehmung haben. Kurz gefasst kann festgehalten werden, dass der GWOT zu einem bestimmenden sicherheitspolitischen Paradigma wurde. Die Art und Weise der bisherigen Kriegsführung rief allerdings erhebliche geopolitische Kollateralschäden hervor, die eine gesamtstrategische Anpassung dringend anraten. Dies gilt allerdings nicht nur für die USA, sondern für alle relevanten Akteure. Etwas einfacher drückt es der britische Sicherheitsexperte David Omand aus, wenn er meint: "We need to keep lowering the temperature." Dagegen erscheint die Auffassung eines hohen Repräsentanten der US-Regierung als zu simpel, der auf die Frage, wie der Krieg gegen den Terrorismus enden würde, meinte: "With the elimination of the terrorists." Das ist nämlich keinesfalls gewiss.

Der Autor ist Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktlösung an der Landesverteidigungsakademie Wien.

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