"Da helfen Raketen und Bomben nichts..."

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Der Terrorangriff in den USA wirft nicht nur die Frage nach Bestrafung und Gegenschlägen auf. Trauer, Schock und der Ruf nach Vergeltung sollten nicht die wichtige Frage nach dem Warum der mörderischen Anschläge verdecken, meint der Friedensforscher Johan Galtung.

die furche: Ihre Statements zu den Anschlägen in den USA sind auf ziemliche Kritik gestoßen ...

Johan Galtung: Man hat mir vorgeworfen, ich rechtfertige den Terrorangriff auf New York und Washington. Davon kann keine Rede sein. Mein Ansatz ist zu erklären, wieso gerade die USA Ziel solcher Attacken sind, ohne dass ich solche Terrorakte billige! Es fühlen nicht nur die Menschen in den USA Angst und Hass. Auch in den von den Gegenschlägen bedrohten Ländern, in Afghanistan, Pakistan, dem Sudan, im Irak, wo die meisten Menschen in Armut und Repression leben, herrscht jetzt große Furcht vor einem Schlag des militärisch übermächtigen Gegners USA.

die furche: Wie wird das weitere Szenario aussehen?

Galtung: Sehr wahrscheinlich sind massive US-Militärschläge, auch Angriffe mit Bodentruppen. Derzeit gibt es in den Medien und - verständlicherweise - in der Bevölkerung dafür eine enorme Zustimmung und Rückendeckung, nicht nur in den USA. Nach diesem unvorstellbaren Grauen verlangen die Menschen, dass etwas geschehen muss. Aber wenn Außenminister Colin Powell verspricht: "We will crash this network", "wir werden dieses Netzwerk zertreten", dann ist dem entgegen zu halten: Es ist unmöglich, dieses auf der ganzen Welt verstreute Netzwerk zu zerstören. Da helfen Raketen und Bomben nichts! Dann werden ganze Länder bombardiert, und es kommt nur zur Eskalation der Vergeltungsspirale wie in Israel! Der öffentliche Druck ist so groß, dass man nicht ausschließen kann, dass US-Geheimdienste Beweismittel manipulieren, um den Feind zu personalisieren, zu identifizieren. Da müssen die europäischen Alliierten in der Nato aufpassen! Aber welcher Politiker wird den Mut zum Widerspruch haben, wenn so vehement Bündnistreue angesagt ist, wer wird Bedenken äußern gegen die USA und gegen die öffentliche Meinung?

die furche: Aber gibt es denn überhaupt eine Alternative zur Vergeltung. Würde das nicht Ermunterung für weiteren Terror bedeuten?

Galtung: Der Anschlag selbst - den ich missbillige und verurteile - sollte schon auch als Vergeltung für die US-Politik des "big stick", Vergeltung für die "Neue Weltordnung", die so viel Armut schafft, gesehen werden. Diese Armut ist eine der Wurzeln des islamischen Fundamentalismus! Die Täter sollen ihrer gerechten Strafe zugeführt werden, aber im Moment sieht es nach wahllosen überharten Zuschlägen gegen vermeintliche Schurkenstaaten aus. Das ist das sicherste Mittel, um weitere Anschläge zu provozieren. Verzicht auf Rache, auf Vergeltung - kann das zu weiterer Gewalt ermuntern?

Versöhnung heißt, die Verletzungen von Körper und Seele zu heilen und die zerbrochenen Beziehungen aufzuarbeiten. Aufarbeiten heißt aber auch für die USA, sich ihrer Geschichte und damit auch der Vorgeschichte dieser Anschläge zu stellen.

die furche: Ist das denn bisher etwa nicht geschehen?

Galtung: Bisher kaum. Nehmen sie den Krieg in Vietnam mit seinen zwei Millionen toten Vietnamesen - auch die "US-Army" hatte schwere Verluste und letztlich den Krieg verloren. Aber in den Schulbüchern der USA hat man vor sechs Jahren die Bilder und Berichte der Gräuel: napalmverbrannte Kinder, das Massaker von My Lai, Erschießungen und anderes, einfach herausgenommen. Untersuchungen an US-Universitäten zeigen, dass heute über den Vietnamkrieg grenzenloses Unwissen herrscht: Ein Viertel der Studenten meinten, der Vietnamkrieg hätte zwischen Nord- und Südkorea stattgefunden! Und nach dem Bombardement des Irak 1991 sagte Präsident Bush senior: "We have kicked out the Vietnam syndrom for ever...", das Vietnam-Syndrom sei also für immer überwunden.

die furche: Das steht aber nicht direkt mit der Vorgeschichte der schrecklichen Terroranschläge der Vorwoche in Beziehung ...

Galtung: Die USA haben 228 Militärinterventionen ohne Mandat der UNO durchgeführt. Mit Hilfe des CIA sind von 1949 bis 1987 an die sieben Millionen Menschen umgebracht worden. Das waren zumeist kleine Leute in sogenannte "linken" Organisationen in Indonesien, auf den Philippinen, im Iran des Schah, im Sudan unter Numeiri, im Nato-Land Türkei, in Latein- und Zentralamerika, in Guatemala, El Salvador... Schon 1992 hat US- General Rock festgestellt: In Bezug auf Invasionen haben die USA bereits das Römische Weltreich übertroffen!

Auf diesem Hintergrund ist es verständlich, warum ich schon seit über zehn Jahren mit solchen Anschlägen rechne. Ja, noch schlimmere Szenarien kann man sich vorstellen! Bedenken Sie doch, wie oft die USA zur Waffe gegriffen haben: 1983 im Libanon; 1986 beim Bombenangriff auf Libyen; 1989 die Panama-Invasion, wo man von den tausenden Toten nichts gehört hat. Denken Sie an den Irak, wo von 1991 bis heute die Bomben und das Embargo über eine halbe Million Tote, großteils Kinder, fordert... Dass die Medien nur wenig über diese und die Opfer der Angriffe auf Serbien und den Kosovo berichten, lässt sich leicht erklären: Große PR-Agenturen in den USA wie "Ruder Finn Global Affairs" oder "Hill and Knowlton" steuern und beeinflussen die Berichterstattung in den USA. Dazu ein Beispiel aus dem Golfkrieg: Sicher haben die Irakis in Kuwait sehr übel gehaust und Greuel begangen, aber "Hill and Knowlton" haben darüberhinaus noch schlimme Lügen sehr publikumswirksam überden Irak verbreitet, etwa dass die Irakis im Spital in Kuwait City Brutkasten-Babys ermordet hätten. So werden die Schurkenstaaten verteufelt und die "good guys" positiv hervorgehoben, ihre Untaten verschwiegen.

die furche: Ist das in der Demokratie USA möglich?

Galtung: Es gibt natürlich auch viele kritische Publikationen - insoweit funktioniert die US-Demokratie. Die Analyse von Noam Chomsky über die Dominanz des militärisch-industriellen Komplexes ist ein Beispiel dafür. Da wird herausgearbeitet, welchen politischen Einfluss das Streben nach Macht und Profit in den USA hat. Ich möchte aber noch einen Faktor zu Chomskys Analyse einbringen: das Sendungsbewusstsein der USA. Diese drei Faktoren bilden diese außergewöhnliche Machtausübung der USA.

die furche: Aber das rechtfertigt doch nicht so eine Gewaltausübung!

Galtung: Diese Gewaltausübung wird ja von vielen Staaten gutgeheißen, von Staaten, die dasselbe wollen, aber nicht die Macht dazu haben - und von Staaten, die vor den USA Angst haben, wie jetzt viele arabische Staaten und Pakistan zum Beispiel. Die Bevölkerung reagiert mit Wut und Hass auf das, was sie als Folgen der US-Hegemonie zurechnen.. Nehmen sie nur die zigtausend Opfer von Unterernährung, Krankheit, fehlender sozialer Absicherung. Wieviel Hass und Wut hat sich da gegen die "Neue Weltordnung" zusammenmgeballt, gegen das Finanzsystem, die Spekulation, die im Schutz der militärischen Supermacht USA agieren! Die Attentäter haben ja einen eine Botschaft hinterlassen. Die beiden World-Trade-Center-Türme stehen für Welthandel, Investmentfirmen, Banken, das Pentagon für die militärische Supermacht USA.

die furche: Welches Szenario für eine friedliche Lösung schwebt Ihnen vor?

Galtung: Viele Gruppen in den USA und bei uns arbeiten für Versöhnung, Gerechtigkeit, Einsicht, sind aber in den Medien kaum präsent, werden oft denunziert als Verräter und Narren. Sie haben aber trotzdem Erfolge gehabt: Denken sie an Vietnam: Veteranen trafen sich in Hanoi, haben Hilfslieferungen organisiert, sich entschuldigt. Ein ehemaliger in Gefangenschaft geratener US-Bomberpilot ist US-Botschafter in Vietnam. Denken sie an die Friedensbewegung gegen die Nuklearaufrüstung 1983-84, vor allen an die vielen kirchlichen Gruppen. Der Bischof von Auckland hat damals ein großartiges Buch geschrieben über die "Natur Gottes": "Gott hat die Schöpfung nicht geschaffen, damit sie vom Menschen vernichtet wird - das ist nicht Gottes Wille!" schreibt er. Ich hoffe, dass solche Bewegungen wieder stärker werden - derzeit aber ist der Schmerz über die Opfer, die Wut über diesen Terrors noch zu groß.

Wenn auch die Regierungen der europäischen Nato-Staaten einig mit den USA sind, werden sie vielleicht bald das "falsche" Volk haben, das da nicht mehr mitspielt und sagt: Diese Spirale der Rache ist keine Lösung! Vielleicht kommt die Wende auch in den USA, vielleicht werden bald Fragen gestellt wie: Warum waren wir direkt oder indirekt an fast allen Kriegen beteiligt? Und: Was machen wir falsch?

Das Gespräch führte Peter Schmidt.

Zur Person: Alternativer Nobelpreisträger

1930 ist Johan Galtung in Norwegen geboren. An verschiedenen Universitäten hat er Sozial- und Politikwissenschaften studiert. 1959 gründete er das Internationale Institut für Friedensforschung in Oslo und 1964 das "Journal of Peace Research". An der Universität Oslo hatte er auch den Lehrstuhl für Friedensforschung inne. Derzeit lehrt er an verschiedenen Universitäten. Gastprofessuren führten ihn an mehr als 50 Universitäten rund um dieWelt. Längere Zeit lehrte er in den USA.

1987 wurde Professor Galtung mit dem Alternativen Friedensnobelpreis ausgezeichnet und 1993 wurde ihm der Gandhi-Preis verliehen. Er veröffentlichte hunderte Artikel und über 70 Bücher. Außerdem ist er Begründer des internationalen Netzwerkes "Transcend" für Frieden und Entwicklung.

Johan Galtung gilt als einer der bekanntesten Begründer der Friedens- und Konfliktforschung.

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