Supermacht Öffentliche Meinung

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"Hybris" ist der Titel des neuen Buches von Noam Chomsky, das dieser Tage auf Deutsch erscheint. Ausgehend von diesem Buch sprach die furche mit Amerikas Kulturkritiker Nummer Eins über die (Irr-)Wege der US-Politik - nicht nur unter George W. Bush. Trotz allem konzediert Chomsky, dass die amerikanische Gesellschaft kritischer geworden ist.

Die Furche: Ihr neues Buch heißt im Original "Hegemony or Survival". Ist die US-Hegemonialpolitik von heute schlimmer als in den letzten 30 Jahren?

Noam Chomsky: Ja, die Gefahren haben signifikant zugenommen. Nicht, dass es vorher nicht schlimm gewesen sei: Arthur Schlesinger hat die Kuba-Krise 1962 als den gefährlichsten Moment der Menschheitsgeschichte beschrieben. Letztes Jahr lernten wir, dass es viel gefährlicher war, als wir bisher angenommen hatten. Wir waren praktisch nur ein Wort vom endgültigen Atomkrieg entfernt. Aber nun ist es viel gefährlicher. Die Bushregierung beharrt auf einer Extremposition, einer Art radikalen Nationalismus: Die derzeit entwickelten Pläne und die Politik, die ihnen zugrunde liegt, bedrohen in der Tat das Überleben der Menschheit.

Die Furche: Sie meinen, ein Atomkrieg sei wahrscheinlich?

Chomsky: Man kann nicht sagen, wie wahrscheinlich, aber so wahrscheinlich, dass ein vernünftiger Mensch das nicht tolerieren kann. Und die neuen Pläne erhöhen die Möglichkeit dazu. Selbst der Mainstream der US-Außenpolitik und die Geheimdienste wissen genau, dass die aktuellen Regierungsprogramme die Proliferation von Massenvernichtungswaffen und neue Formen von Terror fördern. Über kurz oder lang kommen diese beiden Probleme zusammen. Und das kann ein Horrorszenario werden. Die Regierung verkündete im September 2002 nicht nur die Nationale Sicherheitsdoktrin und die Invasion des Irak. Sofort danach wurden internationale Abkommen unterlaufen, die Massenvernichtungswaffen und die Militarisierung des Weltraums begrenzen sollen.

Die Furche: Aber ist die BushRegierung nicht innerhalb der amerikanischen Gesellschaft isoliert?

Chomsky: Ja, es gab eine beispiellose Kritik aus dem Establishment der amerikanischen Außenpolitik. Das ist richtig. Und es gab überwältigende internationale Proteste. Aber das Problem ist komplex: Die Wirtschaftsbosse sind besorgt über die Außenpolitik, aber sie mögen die Innenpolitik von Bush. Die bringt die US-Gesellschaft auf lange Sicht in eine sehr schwere Krise verbunden mit vielen kurzfristigen Geschenken an einen sehr kleinen Kreis von Wohlhabenden.

Die Furche: Sie erwähnen die Steuerpolitik. Die US-Regierung vergrößert damit das große Haushaltsdefizit.

Chomsky: Es gibt einen enormen Transfer von Gütern an die extrem Wohlhabenden und den absichtlichen Versuch, die sozialen Sicherungssysteme zu zerstören. Wir erleben ein starkes Anwachsen der Macht des Staates. Die Wirtschaft ist immer mehr vom guten Willen von Fremden z. B. aus Asien abhängig, die die US-Politik finanzieren, die sowohl zum Handelsbilanz- wie zum Haushaltsdefizit führt. Früher oder später muss das zusammenbrechen. Kurzfristig gibt es enorme Gewinne für die Privatwirtschaft. Die Steuerzahlungen von Unternehmen sind auf niedrigstem Stand seit den dreißiger Jahren - durch Steuersenkungen für die Wohlhabenden wie durch vermehrte Möglichkeiten, der Steuer ganz zu entkommen.

Die Furche: Führt das wachsende Defizit zum Krieg? Die USA brauchen ja Geld oder Güter von irgendwoher.

Chomsky: Ja, sie verdienen durch den Krieg ein bisschen, aber das ist nicht der Rede wert angesichts der Ausmaße, die wir vor uns haben. Ich glaube nicht, dass das Ziel der Irakinvasion die Ausbeutung der Ölreserven war. Indirekt war es das vielleicht, aber es war nicht der ausschlaggebende Punkt.

Die Furche: Sie schreiben in Ihrem Buch, nur noch zwei Supermächte seien übrig geblieben: Die amerikanische Regierung und die öffentliche Meinung. Der einen Supermacht widmen Sie über 200 Seiten, der anderen nur zwei.

Chomsky: Es war ein Zitat aus der New York Times, dass es nur noch zwei Supermächte auf der Erde gibt: Washington und die öffentliche Meinung der Welt. Was ich schreibe ist ja an die zweite Supermacht adressiert: Ich glaube und hoffe, dass die öffentliche Meinung in der Welt und in Amerika die schlimmsten Gefahren beseitigen und den Kurs in eine konstruktive Richtung ändern kann. Ich brauche nicht über die zweite Supermacht zu schreiben, weil ich sie ja anspreche.

Die Furche: Sind Sie sicher, dass die zweite Supermacht das tun kann?

Chomsky: Ich bin keineswegs sicher. Würde ein intelligenter Beobachter vom Mars sich die Ereignisse hier anschauen, so würde er die Wahrscheinlichkeit für ein langfristiges Überleben der menschlichen Spezies vermutlich nicht sehr hoch einschätzen.

Die Furche: Im Irak-Krieg gelang es der US-Regierung wieder einmal, wie Sie sagen, "Konsens herzustellen".

Chomsky: Das ist wahr. Es gab eine massive Propagandakampagne von Regierung und Medien, die im September 2002 begann, als der Krieg angekündigt wurde. Und es ist wahr, dass diese Kampagne die amerikanische Öffentlichkeit von der Weltöffentlichkeit völlig isoliert hat. Aber der Erfolg war begrenzt: Die Kampagne erreichte wohl etwa die Hälfte der Bevölkerung. Die Opposition gegen den Irak-Krieg in den USA war dagegen jenseits jeden historischen Vergleichs. Es gab massiven Protest, bevor der Krieg überhaupt öffentlich verkündet wurde. Und die Effekte auf die öffentliche Meinung sind zeitlich eng begrenzt. Letzten April wollte eine große Mehrheit der Bevölkerung die Verantwortung im Irak komplett an die UNO übertragen. Und dieselbe Mehrheit ist gegen weitere US-Interventionen. Um diese Stimmung zu überwinden, werden neue Propagandakampagnen nötig sein.

Die Furche: Sie kritisieren die US-Politik seit 40 Jahren. Ist es nicht enttäuschend zu sehen, wie sehr solche Propaganda immer noch wirkt?

Chomsky: Sie wirkt zwar, aber immer weniger. Wenn sie heute mit vor 40 Jahren vergleichen, hat sich viel verbessert. John F. Kennedy schickte 1962 die Luftwaffe, um Südvietnam zu bombardieren, ließ chemische Waffen einsetzen und Millionen Menschen in Lager sperren. Es gab keinen Protest, keine Diskussionen. Wenn ich sprach, war ich froh, wenn vier Leute kamen. Es dauerte fünf Jahre, bis es zu signifikanten Protesten kam. Da war Südvietnam so gut wie völlig zerstört.

Vor dem Irak-Krieg gab es aber massive Proteste, bevor der Krieg überhaupt anfing. Interne Dokumente zeigen, die Regierung weiß genau: Sie können nur gegen viel schwächere Gegner militärisch vorgehen. Und das auch nur, wenn die Militäraktion schnell beendet werden kann. Sonst können sie die politische Unterstützung nicht aufrecht erhalten. Das ist eine sehr bedeutende Veränderung der letzten 40 Jahre - und nur eine von vielen.

Das Gespräch führte Christoph Fleischmann.

Linguist und US-Kritiker

Der amerikanische Linguist Noam Chomsky, der am 7. Dezember seinen 75. Geburtstag feiert, ist seit den fünfziger Jahren eine feste Bezugsgröße für Linguisten. Seit 1955 lehrt er am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston. Mit seiner Theorie von der generativen Transformationsgrammatik erklärte er, dass Kinder die wesentlichen Voraussetzungen zum Spracherwerb nicht erlernen müssen, sondern bereits vererbt bekommen.

Seit dem Vietnam-Krieg kritisiert Chomsky regelmäßig die US-amerikanische Außenpolitik. Dadurch hat er sich weltweites Ansehen erworben. Aus gründlicher Zeitungslektüre und guter Kenntnis von Fachliteratur trägt er viele Belege für die Untaten der US-Politik zusammen und stellt sie der "veröffentlichten Meinung" gegenüber. Dabei ist seine Kritik am Machtstreben der USA aus anarchistischen wie aus liberalen Motiven gespeist.

Im deutschen Sprachraum war Chomsky lange Zeit nur Linguisten und Anarchisten bekannt. Seit dem Jahr 2000 erscheinen seine politischen Schriften im Europa Verlag.

Hybris. Die endgültige Sicherung der globalen Vormachtstellung der USA. Von Noam Chomsky. Aus dem Amerikanischen von Michael Haupt, Europa-Verlag Hamburg/Wien 2003, 320 Seiten, e 20,50

Wer ist Noam Chomsky? Von Larissa MacFarquhar und Michael Haupt, Europa-Verlag Hamburg /Wien 2003, 136 Seiten, e 10,20

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